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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

No. 42. 1860.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Mary Kreuzer.

Aus dem deutsch-amerikanischen Leben.
Von Otto Ruppius.
(Fortsetzung.)


Der Winter verging und der Frühling kam, ohne daß sich in den äußern wie innern Verhältnissen der Hausbewohner viel geändert hätte. Heinrich schien während der Tage bis zu Neujahr von einer steten Unruhe gepeinigt zu sein; bei jedem Tritte, welchen Mary aus der Hausthür that, sah sie die Augen des Burschen ihr folgen, und erst als George eines Mittags die Nachricht heimbrachte, daß er die „Jungen“ des Majors mit ihren großen Koffern habe fortfahren sehen, schien er beruhigt zu werden; in seinem Wesen dem Mädchen gegenüber aber begann von da ab ein eigenthümlicher Trotz sich geltend zu machen, während seine Blicke, wenn er sich unbeobachtet glaubte, doch oft in stillem Glühen wie festgebannt an der zu voller Jungfräulichkeit aufblühenden Gestalt hingen. Nur der Alte war unverändert sich gleich geblieben, und Mary fühlte in der ganzen Art seines Benehmens, daß er ihr für die ruhige Haltung, welche sie bewahrte, Dank wußte und gut zu machen suchte, so viel er vermochte.

Es war Ausgangs Juni, als von der Familie einer benachbarten amerikanischen Farm die Einladung zu einem Picknick im Grünen einlief. Der gewöhnliche Farmwagen wurde andern Tages bespannt, und Kreuzer mit Sohn und Tochter – die Mutter hatte die Einladung abgeschlagen – die ersteren Beiden im besten Farmerstaate, die Letztere in einem einfachen Kleide, in welchem sie sich indessen wunderbar zwischen ihren Begleitern heraushob, traten, versehen mit allerhand Lebensmitteln, die Fahrt nach dem nur wenige Meilen entfernten Festplatze an. Sie hatten diesen noch nicht ganz erreicht, als ihnen schon helles Mädchengelächter durch die Büsche entgegenklang; surrende Menschenstimmen, durchbrochen von einzelnen Violintönen, ließen sich hören, und bald lag ein offener Rasenplatz, belebt von den verschiedensten Gruppen, vor ihnen. Den Mittelpunkt bildeten die Quarré’s tanzender Paare, zu deren Seite ein fidelnder Neger auf einem Fasse stand, zugleich die Touren der Quadrille ausrufend und den Takt mit dem Fuße tretend, während zu seiner Seite auf dem Boden ein alter weißer Mann, dem die deutsche Ergebenheit in allen Zügen geschrieben stand, sich mit Secundiren abplagte. Rings umher lag ein anderer Theil der eingeladenen Gäste in bunten Gruppen im Grase – weiter hinten brannte ein helles Feuer, neben welchem ein letzter Theil der Gesellschaft sich in voller Heiterkeit mit Kochen und Braten zu beschäftigen schien – es war ein Bild von überraschender Lebendigkeit, was sich plötzlich zwischen den Bäumen des Urwaldes aufthat, und Mary’s Herz begann beim Anblicke desselben in einem Vergnügen zu klopfen, das ihr nach der eintönigen Stimmung des verflossenen Jahres fast fremd geworden war.

Kreuzer fuhr einer Waldecke zu, wo die Pferde und Wagen der übrigen Gäste zerstreut unter den Bäumen standen – die Ankunft der Familie war aber bereits bemerkt worden, und eine sichtliche Genugthuung drückte sich in des Alten Gesicht aus, als er den Festgeber mit seinem Sohne herankommen und ihm, noch ehe das Gefährt anhielt, die Hand zum Willkommen heraufreichen sah. Der letztere, dessen sich Mary aus einigen flüchtigen Begegnungen in der Stadt erinnerte, schüttelte kräftig des Mädchens Hand, nickte dem jungen Kreuzer einen Gruß zu und hob die Erstere nach einem kurzen Sträuben derselben vom Wagen. „Es fehlt gerade noch ein Paar, Miß, kommen Sie rasch mit mir!“ sagte er, während er das leichte Tuch von ihren Schultern nahm und ihr zugleich beim Entledigen ihres Hutes behülflich war, und ehe sich das Märchen nur recht besinnen konnte, sah sie sich schon lustig fortgezogen.

„Nur los, Mary, ’s ist nicht alle Tage Picknick!“ rief ihr der Alte nach, und sie folgte dem jungen Manne, wenn sie auch in ihrer augenblicklichen Verwirrung von dem wortreichen Gespräche desselben kaum etwas hörte.

Erst als sie in unmittelbarer Nähe der tanzenden Paare waren, hielt sie ihren Schritt an und überflog mit einem besorgten Blicke das heitere Schauspiel vor ihr. Sie verstand kein Wort von dem, was der Neger auf seinem Fasse ausschrie, und doch richteten sich augenscheinlich die Bewegungen der Tänzer danach; ein zweiter Blick aber zeigte ihr längst aus Deutschland bekannte Quadrillenfiguren, die Lust vergangener Kindertage erwachte plötzlich in ihr, und mit einem hellen Lächeln reichte sie ihrem Begleiter wieder die Hand, mit diesem einem offenen Platze in der Tänzergruppirung zueilend.

Kreuzer, der inzwischen Pferd und Wagen besorgt, wendete sich wieder dem Tanzplatze zu, und sein Auge hatte schnell Mary’s feine Gestalt unter der Menge der Uebrigen herausgefunden. Das Mädchen bewegte sich mit einer Sicherheit und Grazie in den Verschlingungen der Touren, die sie vor allen übrigen Tänzerinnen auszeichneten, ihr Gesicht strahlte von Heiterkeit und Erregung, während sie dennoch in den Ruhepausen den eifrigen Worten ihres Tänzers nur mit einer Gehaltenheit horchte, die fast über ihre Jahre ging.

Heinrich lehnte beobachtend an einem seitwärts stehenden Baume,


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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 657. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_657.jpg&oldid=- (Version vom 17.5.2018)