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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Unter ihr waren die Klagen der Frau verstummt, dafür tönte es aber dumpf wie sprechende Männerstimmen, und sie hörte Kreuzer’s Tritt die Stube durchmessen. Bald klappte die Frontthür wieder, und eine neue Stimme wurde laut, von den gesprochenen Worten aber war nichts unterscheidbar, und bald hatte sich über Mary ein tiefer Schlaf gesenkt, jede Erinnerung an die Schrecken des Tages verwischend.

(Fortsetzung folgt.)


Der Schneesturm im Gebirge.[1]

Das Ausgraben der Verschütteten.

     – – Tollheit ist
Der Muth des Menschen,
wenn ein Gott ihm zürnt.
     Stollberg

Zu den ungestümsten und schreckenserregendsten Naturerscheinungen des Hochgebirges gehören die Schneestürme. Von ihrer Heftigkeit, Gewalt und quantitativen Dichtheit der Schneemenge, welche durch die Lüfte getragen die Möglichkeit zuläßt, daß binnen wenig Minuten kurz vorher noch sichtbare Wege gänzlich vergraben und fußhoch überdeckt werden, kann nur derjenige sich einen lebhaften Begriff machen, der die wilden Kraftäußerungen der Elemente im Gebirge schon in anderer Weise kennen lernte. Der Schneesturm in den Alpen ist gleichsam der entgegengesetzte Pol einer anderen, ebenso furchtbaren atmosphärischen Erscheinung, nämlich des Samum der Wüste. Wie dort der rasend einherbrausende Flügelschlag des Wüstenwindes unberechenbare Milliarden glühendheißer Sandkörnchen emporhebt und in jagender Flucht durch die Lüfte trägt, tiefe Mulden hier aufwühlt, um neue, vorher nicht dagewesene, haushohe Hügel dort abzuladen, – so erfüllt der Schneesturm die Luft auf große Entfernungen hin mit dichten, ringsumher Alles verfinsternden Wolken kleiner feiner Schneekrystalle, die Alles durchdringen, an Alles sich einbohren und mit der Atmosphäre eine völlig verschmolzene Masse zu sein scheinen. Die Verwandschaft der mechanischen Thätigkeit dieser beiden schrecklichen Lufterscheinungen ist frappant und bietet selbst bis in die kleinsten Einzelheiten Parallelen dar, freilich eben immer unter den Bedingungen der äußersten Temperatur-Gegensätze.

Der Schnee des Hochgebirges ist, sowohl nach Gestalt und Umfang, als nach Dichtheit und specifischer Schwere seiner einzelnen Körpertheilchen, in der Regel wesentlich verschieden vom Schnee der Tiefebene und des Hügellandes. Wenn er auch unter gleichen Bedingungen entstehen mag, so ist doch höchst wahrscheinlich sein Bildungsproceß ein viel einfacherer; ja, es fragt sich, ob er nicht unmittelbar aus jenen Elementarkörperchen besteht, aus deren nach organischer Anordnung erfolgender Conglomeration sich die Schneeflocke, wie man sie drunten im Lande allgemein kennt, erst construiert. Denn in die Geheimnisse der Schneekrystallisation sind die Naturwissenschaften bis jetzt erst wenig eingedrungen; nur Vermuthungen und Wahrscheinlichkeitsgründe konnten sie darüber aufstellen, in welcher Region und unter welchen meteorologischen Einflüssen die erste Schneebildung beginnt, – und es ist noch eine schwebende Frage, ob der stets nach dem Gesetz der drei- oder sechskantigen oder sechsstrahligen Form sich darstellende, symmetrisch-schöne Schneestern durch das Anschließen kleiner, unendlich feiner, aber schon vorhandener Eisnädelchen entstehe, – oder ob er durch Anhängen (Adhäsion) der dunstförmig im Aether schwebenden Wasserbläschen und deren Gefrieren seine allmähliche Bildung vom Centrum aus herbeiführe. – Die beiden Schneearten, nämlich der Hochschnee und der Flockenschnee, verhalten sich etwa zu einander wie der chemische Gehalt und das specifische Gewicht der schweren, mit vielen Stoffatomen gesättigten Luft tiefliegender Regionen, gegenüber jener feinen, dünnen, leichten, reinen Bergluft, die, je höher man in den Dunstkreis empordringt, um so mehr sich verflüchtigt.

Die große, breite, fette Flocke des Tieflandes ist eine Vereinigung vieler mehr oder minder vollständig ausgebildeter, flächenhaft-krystallisirter Eissterne, die deshalb, weil die Schwere der darin enthaltenen gefrorenen Wassertheilchen nach ihrem räumlichen Umfange in keinem Verhältniß zu der zu durchschneidenden Luft steht, langsam wie ein von den Windwellen getragenes Fallschirmchen aus der Höhe niederschwebt und nur dann eine beschleunigtere Geschwindigkeit annimmt, wenn sie in Temperaturschichten

  1. Als Probe aus dem demnächst bei H. Costenoble erscheinenden Buche: „Berlepsch, die Alpen in Natur- und Lebensbildern“, circa 30 Bogen mit 16 Abbildungen von E. Rittmeyer, dem Illustrateur der Tschudi’schen Alpenwelt. Berlepsch lebt bekanntlich seit elf Jahren in der Schweiz und kennt Land, Berge und Leute wie sich selbst.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 661. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_661.jpg&oldid=- (Version vom 19.10.2021)