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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

und habe das menschliche Elend in seiner bejammernswürdigsten Gestalt gesehen. Gott, wie ist es möglich, daß Menschen so leben können? Der schrecklichste Mangel an Allem! Wie schwer versündigt man sich, wenn man klagt und sich unzufrieden fühlt – dorthin muß man schauen, um sich glücklich zu preisen. Und doch, wer weiß, ob das arme Weib auf dem Strohlager nicht glücklicher ist, als ich auf meinen seidenen Kissen. Sie hat ihren Mann, der sie pflegt, stützt und hütet; sie hat ihre Kinder – was ist mir geblieben?“ …

… „Warum kann ich mich nicht daran gewöhnen, allein in diesem Leben zu sein, wie es mir doch vom Geschick bestimmt ist? Grausames Geschick! Du hast mir ein Herz voll Innigkeit gegeben, eine Seele, die eben nur das Bedürfniß fühlt, verstanden, geliebt zu werden – und eben das muß ich entbehren. Ich habe Niemand auf der weiten Erde und fühle mein Alleinsein immer mehr und schmerzlicher, fühle, wie mein Herz blutet, wie es in banger Sehnsucht nach dem Unerreichbaren vergeht, und wie meine ganze innere Harmonie dadurch gestört wird. Ich bin zerstreut, gedankenlos, ungeduldig, verdrießlich. Ich möchte fort, hinaus in Wind und Wetter, soweit mich meine Kräfte tragen – sterben am liebsten, denn so vereinzelt in der Welt zu sein, ist ein traurig herbes Loos!“ …

Diesem Unglück zu entgehen, suchte Wilhelmine mit fieberhafter Hast nach einem Wesen, dem sie ihr sehnsüchtiges, leidenschaftliches Herz zu eigen geben könnte. Zuweilen glaubte sie gefunden zu haben, was sie begehrte. Die Sehnsucht löste sich in Entzücken, alles Gute, alles Schöne sah sie in dem geliebten Wesen, weil sie den ganzen Reichthum der eigenen Seele über dasselbe ergoß. Aber lange konnte der Traum nicht währen. Die Täuschung schwand, mit eigenen Händen entriß sie dem Götzenbilde, das sie sich selbst geschaffen hatte, den letzten Rest des erborgten Schimmers und wandte sich beim Anblick seiner Nichtigkeit voll Schmerz und Zorn von ihm ab. Sie war wieder allein mit ihrem sehnsüchtigen Herzen, und das Suchen begann auf’s Neue, um mit neuen Enttäuschungen zu enden. Wilhelmine hat schwer unter diesen Irrthümern gelitten, innerlich sowohl, wie in ihren äußern Verhältnissen.

Aber dann kam die Ungeduld über sie. Sie wollte nicht unglücklich sein. Sie suchte sich zu betäuben, zu zerstreuen, indem sie jede arbeitsfreie Stunde der Geselligkeit schenkte. Sie war die Fröhlichste unter den Frohen, konnte nächtelang tanzen, singen, lachen, war zu tausend tollen Streichen bereit, bis ihr die nächste einsame Stunde das alte Weh in verstärktem Maße zurück brachte und ihr nun plötzlich das gesellige Treiben ganz unerträglich erschien.

Während ihres Gastspiels in Wien, im Sommer 1830, wo sie von allen Seiten umdrängt und gefeiert wurde, schrieb sie:

„… Wie drückend und peinigend ist es für ein krankhaft erregtes, unruhiges Gemüth, in einer unruhigen, ewig angeregten Umgebung zu leben! Jede Nerve erbebt fieberhaft, und eine namenlose Angst und Beklommenheit treibt uns unstät umher. Es wäre für mich der sicherste Weg in’s Irrenhaus, wenn ich lange in solchem Trouble leben müßte. Ein so tiefverletztes, todtkrankes Gemüth, wie das meine, bedarf in seiner nächsten Umgebung der größten Ruhe, der strengsten Gleichmäßigkeit und Ordnung in der gewöhnlichen Tageseintheilung, denn nur durch die Einförmigkeit der äußern Eindrücke kann in etwas das verlorne Gleichgewicht in der schmerzlich wogenden Brust wieder hergestellt werden. Ein sturmbewegtes Meer, ein brausendes Ungewitter beruhigen die kranke Seele zwar auch, denn die ganze Spannkraft im Menschen ist dann auf das Außerordentliche gerichtet; man vergißt über die Allmacht die Gewalt der eigenen Schmerzen. Musik, die frommen Klänge einer Orgel an geweihten Stätten, der gestirnte Himmel, die untergehende Sonne, eine schöne Gegend, eine Blume, ein guter Dichter – sie lösen den Schmerz in der bangen Brust und entlocken dem Auge, wenn auch schmerzliche, doch wohlthuende Thränen. All das wirkt zerstörend, nicht zu leugnen: man vergeht an einem langsamen, aber süßen Gifte, während ein ungeregeltes, der Ordnung entbehrendes Leben das kranke Gemüth qualvoll zu Grunde richtet. So ist es mir – die Ruhe in meinem Herzen, die Ruhe in meinem Hause fehlt mir.“ …

Und einige Jahre später: … „Dieses Nachaußenkehren nicht gefühlter Gefühle, nicht empfundener Empfindungen, dies Verleugnen seiner eigensten Kraft, mit einem Wort, dies fatale conventionelle Leben bricht alle moralische und physische Kraft, erzeugt Nervenleiden und preßt die Seele gänzlich zusammen. Könnte man doch immer wie man wollte, wie vielen Menschen würde man sagen: „Hol dich der Teufel, du aus Langerweile gemachter Tropf mit einem Menschenangesicht!“ ….“

Wie oft mag Wilhelmine mühsam gegen dies Verlangen angekämpft haben, während sie mit lächelnder Miene im Kreise ihrer Bewunderer stand und eine Fluth geistloser Huldigungen über sich hinrauschen ließ – und wie oft mag ihr Herz bedrückt gewesen sein, während sie „wie eine Freude vor der Welt“ erschien!

„… Ich war erst 23 Jahre alt,“ schreibt sie, „als meine erste Ehe getrennt wurde. Aber ich hatte schon damals allen Schmelz der Jugend verloren, alle Illusionen, die das Leben schmücken. Ich konnte schon damals mit voller Wahrheit singen: „Ich bin ein Fremdling überall!““

Sie ging zu weit, wenn sie so klagte. Die ewige Jugend des Genius ist ihr bis an’s Ende geblieben, und ihr warmes Herz hat Illusionen, die Andern schon bei den ersten Schritten durch’s Leben verloren gehen, bis zum Tode festgehalten. Mißtrauen hat sie nie gekannt; jedes freundliche Entgegenkommen hielt sie für redlich gemeint; in jedem neugierigen Zudrängen sah sie ein warmes Interesse; trotz hundertfacher trüber Erfahrungen ist sie nie im Stande gewesen, Intriguen zu durchschauen oder zu vereiteln, und denen, die es darauf anlegten, sie für selbstsüchtige Zwecke auszubeuten, ist es immer gelungen. Dazu kam ein ganz wunderbares Talent, mit der Vergangenheit abzuschließen. Die Erinnerungen an das Erlebte kamen wohl wieder und kamen mit so furchtbarer Lebendigkeit, daß Wilhelmine alle alten Schmerzen auf’s Neue durchlitt. Die Qual war entsetzlich, aber sie ging vorüber wie ein böser Traum, ohne Einfluß auf die guten Stunden zu üben, die ihr die Gegenwart schenkte. War der Schmerzensausbruch vorüber, der Aufschrei des Zornes oder der Verzweiflung verklungen, so „schüttelte sie die Schwingen“, und die befreite Seele schwebte hoch über allen Nebeln und Wolken im heitersten Sonnenschein. Oft standen ihr noch die Thränen im Auge, welche ihr die Erinnerung erpreßt hatten, und schon flog wieder ein fröhliches Lächeln über ihr Gesichi; irgend eine komische Geschichte war ihr eingefallen – und der Mund, der eben noch so bitter geklagt hatte, ging zu Scherzen und Witzworten über. Jenen unablässigen, herzbeklemmenden Druck, jenes Ermatten und Insichversinken, das die gewöhnliche Folge schwerer Leiden oder leidenschaftlicher Kämpfe ist, hat Wilhelmine erst in der letzten Krankheit kennen gelernt.

Unvermittelt, wie der Uebergang vom Schmerz zur Freude, war aber auch der von Lust zu Traurigkeit. Mitten in der heitersten Gesellschaft, mitten im lebhaftesten Gespräch verstummte sie – ihre Lippen zuckten, ihre Augen wurden trübe. Es überschlich sie ein Erinnern, oder sie empfand inmitten der höchsten Triumphe, denen sie sich eben mit voller Seele hingegeben hatte, wie vergänglich ihre Kunstschöpfungen waren, oder es kam plötzlich jenes Verlangen nach Ruhe über sie, das sie durch ihr ganzes Leben begleitet hat, obwohl die Rastlosigkeit ihrer Natur aller Ruhe widerstrebte.

Wilhelminens Wesen war reich an solchen Contrasten, die von Allen, welche nur oberflächlich mit ihr bekannt waren – und dazu gehören Viele, die ihr äußeres Leben Jahrzehnte lang getheilt haben – falsch aufgenommen und ausgedeutet werden mußten. Nur die Wenigen, denen sie den Einblick in die Tiefen ihres Gemüthslebens gestattete, haben darin die Ausströmungen jener Doppelnatur erkannt, von welcher Goethe sagt:

„Zwei Seelen fühl’ ich, ach! in meiner Brust,
Die eine will sich von der andern trennen.
Die eine hält in derber Liebeslust
Sich an die Welt mit klammernden Organen.
Die andre hebt gewaltsam sich vom Duft –“

Mit welchen Schmerzen dies Ringen und Kämpfen verbunden war, läßt sich am besten aus Wilhelminens eigenen Aufzeichnungen erkennen.

„… Warum kann ich den erhabnen Geist, der sich so oft in meiner Brust niederläßt, nicht festhalten? Alle Quellen meines Gemüthes öffnen sich und strömen Gefühle voll warmen, unbeschreiblichen Entzückens aus. Könnte ich in solchen Augenblicken dichten, es müßte etwas ganz Gutes werden; könnte ich malen, wie wollte ich die weichen, lieblichen, kräftigen, blendenden Farben, in die sich meine Seele taucht, auf die Leinwand hauchen!, könnte ich componiren, wie sollten die Töne, die in tausendfachen Accorden, Harmonien und Liedern in meiner Brust erklingen, gegen den

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 666. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_666.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)