Seite:Die Gartenlaube (1860) 670.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Der neue Gesundheits-Polizei-Präsident in der Natur (Ozon).

Sauerstoff, Oxygen, Lebensluft, Feuergeist, der ewige, unermüdlich zerstörende Allbeleber, der Gott aller Lebenswärme und nie rastende Einheizer in dem langsamen Verbrennungstode alles Athmenden, der unsichtbar allgewaltige und allgegenwärtige Geist aller Wasser und Lüfte, dem selbst das stolze Eisen vergebens trotzt und welcher die kostbarste Damascenerklinge mit knisternder, blauer Flamme rasch in Asche verwandeln kann, mit aller Welt und aller Welt bekannt und verwandt, Duzbruder aller möglichen chemischen Familien und Vereine – wer kennt ihn? Welcher umsichtigste Polizei-Beamte könnte sein Signalement schreiben? Geschäft, Stand und Charakter? Alles todt machen oder Alles beleben? Was ist richtig? Beides, Beides! Sichert er nicht durch seine ewige Mordbrennerei allem Sterblichen und Geschaffenen just eine elementare Unsterblichkeit? Uebt er nicht, neben tausenderlei Geschäften, die mächtigste, wirksamste Gesundheits-Polizei?

Wir können ihn nicht in seinen unzähligen bekannten, mysteriösen Functionen verfolgen, da er selbst in den dicksten Lehrbüchern der Chemie nicht vollständig dargestellt wird, und wollen blos eine neuerkannte Wahrheit beleuchten, die sich hauptsächlich als Gesundheits-Polizei des Sauerstoffs offenbart. Dieses Amt verwaltet er besonders in chemischer Verbindung mit der Elektricität (wofür Andere „Magnetismus“ sagen) und unter der Firma Ozon, auf deutsch: Stinker. Schießbaumwollen-Schönbein in Basel muß für diese despectirliche Benennung, die von allen Naturalisten angenommen und beibehalten ward, auch als man gerade das Gegentheil der Verstänkerung erkannt hatte, verantwortlich bleiben. Aber wir denken nicht mehr an die Bedeutung des griechischen Worts, von welchem er den Taufnamen des elektrischen Sauerstoffs herleitete, und verstehen nun unter Ozon hauptsächlich folgende erfreuliche Wahrheiten und Processe in der Natur.

Die wissenschaftliche Welt verdankt dem Hauptarzte des Militär-Hospitals zu Metz, M. Scoutteten, die erste umfassende Zusammenstellung und Beleuchtung aller Entdeckungen und Beobachtungen, die bisher in Sachen des Ozon gemacht wurden. Ihm entlehnen wir in der Hauptsache, was wir in diesem Artikel zu sagen haben.

Schönbein entdeckte zuerst eine übelriechende Substanz, die sich bei den meisten galvano-elektrischen Processen einstellt, und nannte sie Ozon. Er hielt sie zuerst für eine Verbindung von Sauerstoff und Wasserstoff. Weitere Untersuchungen von ihm selbst und andern Chemikern Frankreichs und Deutschlands führten zu der Entdeckung, daß Ozon elektrisirter Sauerstoff sei, Elektricitäts-Oxyd, verrostete Electricität, wenn man in diesem luftigen Gebiete so sagen darf, Präsident und Director der Gesetze atmosphärischer Elektricität, Regulator des Luftdrucks und der Barometer, Thermometer und Hygrometer, Beleber und Auferstehungs-Engel des Sauerstoffs, der beim Athmen, Verbrennen und Verrosten, beim Kochen, Braten, Heizen von Eisenbahn- und Menschenlocomotiven, kurz bei den sonstigen tausenderlei Functionen des Sauerstoffs verzehrt ward.

Die mysteriös klingenden Functionen werden durch Thatsachen anschaulich werden. Ozon, rein ein farbloses, stechend-stinkend riechendes Gas, ist zunächst die allergewaltigste Oxydations-Macht. Es verzehrt Silber und Quecksilber in kaltem, feuchtem (nicht trockenem) Zustande. Es zerstört mit der größten Schnelligkeit organische Materien in der Luft, die so oft als Miasmen, Fieber- und Peststoffe wirken. Nach Dr. Letheby wäre halb London vorigen Sommer an der Themse gestorben, wenn nicht eine ungewöhnliche Quantität von Ozon in der atmosphärischen Luft die organischen Gifte derselben zerstört hätte.

Ozon verbindet sich nicht von selbst mit Wasser. Dies kann aber durch Pressung ozonisirt und so zu der mächtigsten Substanz chemischer Bleichung verwandelt werden. Es verbindet sich mit Chlor, Brom und Jod zu Säuren, die wahrscheinlich chemisch und medicinisch in Ruf kommen werden. Es zerstört am schnellsten das tödtlichste Luftgift Schwefelwasserstoffgas und alle oxydablen Miasmen und ist so die größte Desinfections- (Reinigung von Ansteckungsstoffen) Substanz, die man bis jetzt kennt, die erste Großmacht in der Gesundheits-Polizei der Natur. Auch wird es rasch von einer Menge vegetabilischer und animalischer Substanzen, z. B. Albumin, Caseïn, Fibrin und Blut, aufgesogen, sodaß alles Lebendige in der intimsten Verbindung mit ihm steht. Ein homöopathisches Nichts mehr oder weniger, und Tod wird Leben oder Leben Tod. Ein tausendstel Theil Ozon in der Luft ist wohlthätig, ein anderes Tausendstel mehr – und schon sterben eine Menge kleine Thiere in dieser Luft. In noch größerer Menge erstickt es die stärkste Lunge. Man hat Beweise genug, daß Menschen nach einem einschlagenden Blitze, nicht von dem Blitze getödtet wurden. Auf jeder Stelle, wo es eben eingeschlagen, riecht es wie Phosphor oder Schwefel, d. h. nach Ozon, das sich durch den Blitz bildet, da die Elektricität sich in ungewöhnlicher Menge mit dem Sauerstoff der atmosphärischen Luft verbindet. Jedes Gewitter producirt Ozon, das sofort miasmatische Stoffe zerstört und so, wie es längst sprichwörtlich geworden, „die Luft reinigt“. Als medicinische Gabe wird Ozon eine Rolle spielen, doch wird es dabei wirklich sehr wesentlich auf lächerlich kleine Dosen ankommen, da ein Atom unter tausend Atomen mehr Alles umkehren und die lebensrettende Medicin in Gift verwandeln kann. In einer gewissen kleinen Beimischung erregt es die Lungen zu größerer Thätigkeit und hilft verdauen, Magen, Appetit, „Gedächtniß“ etc. stärken, in größerer erregt es Schwindsuchtshusten und in noch größerer erstickt es Alles, was athmet.

Atmosphärisches Ozon bildet sich hauptsächlich durch die elektrische Thätigkeit in der Luft, besonders Gewitter. Künstlich und chemisch gewinnt man es am besten durch Stäbchen von Phosphor, halb in Wasser getaucht. Ein Glas Wasser mit einigen Stückchen Phosphor darin, so daß sie zur Hälfte herausragen, ist das beste Räucherpulver, das beste Mittel, in Krankenstuben und Hospitälern die Luft rein zu halten. Die Dämpfe, welche von den Phosphorstäbchen ausscheiden, verbinden sich mit Sauerstoff der atmosphärischen Luft zu hypophosphorischer Säure, die sich immer sofort im Wasser auflöst. Diese chemische Combination entbindet Elektricität, die sich mit dem Säurestoff in der Luft zu Ozon verbindet, der nun sofort alle schädlichen Bestandtheile der Luft aufsaugt oder sonstwie beseitigt. (Diese nur angedeuteten chemischen Processe sind nicht für die exacte Wissenschaft, welche sich in Scoutteten’s Werke nähere Auskunft holen mag, sondern für das Publicum.)

Schönbein in Basel und Jame, Apotheker in Versailles, haben Ozonometer oder Ozonoskope erfunden, um die Quantität des Ozon in der atmosphärischen Luft zu ermitteln. Der Ozonometer besteht aus Papierstreifchen, die mit einem empfindlichen Reagens (Jod und Stärke) getränkt sind und verschiedene Grade (10) von blauer Farbe haben. Beinahe Weiß ist 0, das dunkelste Violet Grad 10. Diese präparirten Papierstreifchen werden je zwölf Stunden der offenen Luft (ohne Sonne) ausgesetzt und dann in Wasser getaucht. Vergleichung der Farbe, welche das Papier jetzt annimmt, mit der, welche es ursprünglich hatte, gibt einen Maßstab für die Quantitäten Ozon in der atmosphärischen Luft. (Das Technische des Ozonometers und die große Vorsicht und Feinheit erfordernde Beobachtung muß man in Scoutteten nachlesen oder sich anderweitig darüber unterrichten. Hier würde es uns zu weit von unserer Darstellung der Hauptsachen ablenken.)

Diese Ozon-Messung ist noch sehr unvollkommen und unsicher, da Vieles von der Genauigkeit und Reinheit der präparirten Papiere und dann noch mehr von dem Farbensinne und dem Augenmaße abhängt. Ohne Zweifel wird man bald sicherere Ozonometer erfinden. Die Ergebnisse, die man mit den bisherigen ermittelte, sind schon interessant genug. Man hat z. B. gefunden, daß Ozon in bewohnten, geschlossenen Räumen ganz fehlt, während es sich draußen vor dem Fenster oft ganz entschieden in ungewöhnlicher Quantität kundgab. Dies wird wahrscheinlich zu sichern Ermittelungen über den Unterschied des Stubenlebens und der Beschäftigung und Bewegung im Freien mit Rücksicht auf Ozon führen, eben so zu Mitteln, Ozon in Stuben künstlich zu erzeugen und so die Nachtheile der Stubenluft zu verringern, und wer weiß, zu welchen andern Gesundheitsmitteln. Die Quantität des Ozon in der Luft hat einen entschiedenen Einfluß auf jedes athmende Leben. Im Jahre 1845 litt Aarau bedeutend an Cholera. Director Wolf an der Sternwarte zu Bern beobachtete während dieser Zeit den Ozon-Gehalt der Luft und fand, daß die Cholera in demselben Verhältnisse stieg, als sich der Ozongehalt der atmosphärischen Luft – also deren Kraft, sich selbst zu reinigen, verminderte.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 670. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_670.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)