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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Rosenkreuzer und Illuminaten.
Eine culturhistorische Skizze.
Von Max Ring.

Zu allen Zeiten hat es Männer gegeben, welche sich mit der Kunst beschäftigten, unedle Metalle in edle und besonders in Gold zu verwandeln, sowie das Leben künstlich zu verlängern. Es waren dies nicht immer Betrüger und Charlatane, sondern oft aufrichtige Schwärmer von tieferem Wissen, Naturphilosophen und Chemiker, wie Jakob Böhme und der geniale Paracelsus. Der dem Menschen angeborene Hang zum Wunderbaren, die Sehnsucht nach der verborgenen Geisterwelt offenbarte sich in ihren oft tiefsinnigen Schriften, in ihren mystischen Werken, die freilich nicht unsere heutige Kritik aushalten. Es fehlte sogar nicht an fast glaubwürdig lautenden Berichten, daß es hier und da Einem wirklich geglückt sei, den „Stein der Weisen“ zu entdecken, mit dem räthselhaften Jenseits in nähere Berührung zu treten. So erzählte man von dem berühmten Raymundius Bullius, daß er dem Könige Eduard dem Dritten von England in der Katharinenkirche von London so viel Gold machte, daß dieser sechs Millionen Rosenobel daraus schlagen ließ, um sie für einen Kreuzzug gegen die Ungläubigen zu verwenden. Als die Johanniterritter auf der Insel Rhodus in Gefahr waren, von den Türken unter Mohammed dem Zweiten angegriffen und aus ihrem Besitzthum getrieben zu werden, soll der fromme und gelehrte Benedictiner Georg Stigläus ihnen zur Ausrüstung hunderttausend Pfund Gold geschenkt haben, die der Mönch auf chemischem Wege gewonnen hatte. Derartige Geschichten fanden in einer wundersüchtigen Zeit allgemeinen Glauben und wurden wesentlich durch den niedrigen Stand der Naturwissenschaften unterstützt.

Weit öfter aber erwiesen sich alle derartigen Angaben als absichtliche Täuschungen elender Betrüger, die ihre vorgebliche Kunst oft mit dem Tode büßten, wie jener unglückliche italienische Charlatan, den Friedrich der Erste von Preußen wegen seiner Betrügereien an einen vergoldeten Galgen hängen ließ. Nichtsdestoweniger tauchten von Zeit zu Zeit immer wieder derartige Adepten auf, die sogar unter sich eine geheime Brüderschaft der sogenannten „Rosenkreuzer“ bildeten. Der Name selbst stammte aus dem Anfange des siebzehnten Jahrhunderts und von dem verdienstvollen Johann Valentin Andreä her, der unter dem Titel: „Christian Rosenkreuz’ chymische Hochzeit“ einen satirischen Roman schrieb, worin er gerade das Treiben der falschen Goldmacher geißeln wollte. So entstand mit der Zeit die Brüderschaft der „Rosenkreuzer“, welche sich vorzugsweise mit dem Stein der Weisen und dem Lebenselixir beschäftigte und bald mit den schon vorhandenen Freimaurern in nähere Verbindung trat. Gewinnsucht und der Reiz des Geheimnißvollen führte dem Orden Mitglieder und Gläubige aus den höchsten Ständen zu, aber noch weit mehr Abenteurer und unreine Elemente, welche die Leichtgläubigkeit der Andern für ihre verschiedenen Zwecke ausbeuteten.

Dieses Unwesen erreichte seinen Höhepunkt im achtzehnten Jahrhunderte, das mit seiner gepriesenen Aufklärung einen hohen Grad von Aberglauben verband. Beide Extreme berührten sich in den Menschen jener Periode; die höheren Lebenskreise, von Genüssen aller Art erschöpft, geistig und moralisch vollkommen unterhöhlt, sehnten sich nach neuen Reizmitteln, um sich aufzustacheln. Der scharfe, ätzende Geist, wie er vorzugsweise in den Schriften der französischen Encyklopädisten zum Vorschein kam, hatte alle bestehenden Verhältnisse angegriffen und zum Theil aufgelöst. Die Religion mit ihren Priestern und Gebräuchen war ein Gegenstand des Spottes geworden, das Familienleben durch die überhand genommene Unsittlichkeit in seinen Grundfesten erschüttert. Es gab nichts Heiliges auf Erden, keine Stütze mehr, die nicht untergraben war. Gegen diese allgemeine Auflösung machte sich nach und nach eine gewisse Reaction bemerkbar. Das auf Kosten des Verstandes unterdrückte Gemüth und die Phantasie behaupteten ihr Recht. Das Streben nach dem Höheren und die Sehnsucht nach dem Ueberirdischen tauchten um so gewaltiger empor, je mehr sie sich bedroht fanden. Aber das vorhandene Geschlecht vermochte nicht, die reinen Elemente von den unreinen zu sondern, die wirklich bessere Richtung ohne beklagenswerthe Verirrungen und traurige Umwege zu verfolgen. Der neu erwachte Glaube führte zum Aberglauben, zum Pietismus und zur mystischen Schwärmerei. Ueberall entstanden geheime Verbindungen, pietistische Conventikel und Gesellschaften, welche von schlauen Betrügern für ihre besondern Zwecke benutzt wurden. Verwegene Abenteurer, wie der berüchtigte Cagliostro, rühmten sich im Besitze großer Geheimnisse zu sein; sie speculirten auf die Leichtgläubigkeit der Menge, auf die Habsucht und Lebenslust der vornehmen Stände, denen sie unerschöpfliche Goldquellen und Verjüngung ihrer vergeudeten Lebenskraft vorspiegelten. Mit ihnen verbanden sich religiöse und politische Intriganten, die ihre verschiedenen Zwecke unter diesem mystischen Deckmantel verfolgten und oft den größten Einfluß auf die ebenfalls leicht zu berückenden Fürsten ausübten. Geschickt wußten diese überall auftauchenden Aventuriers sich auf den einflußreichen und mächtigen Freimaurerorden zu stützen, indem sie den Brüdern durch ihre vorgeblich höheren Grade und tieferes Wissen imponirten. Häufig gelang es ihnen bei dem vorhandenen Dunkel über die eigentlichen Zwecke des Ordens, selbst die Eingeweihten zu täuschen, durch Stiftung neuer Systeme und Einführung von Reformen sich großes Ansehn zu verschaffen und eine oft unerklärliche Bedeutung zu gewinnen.

Meist standen diese Betrüger unter sich in Verbindung und unterstützten sich gegenseitig, zuweilen verfolgten sie entgegengesetzte Zwecke und bekämpften sich dann bis zur Vernichtung. Ohne es zu wissen, waren sie ebenso oft nur Werkzeuge in einer verborgenen Hand und dienten höheren Oberen, meist verkappten Jesuiten, von denen sie nach Gutdünken benutzt wurden. Bald fanden sie geheime Beschützer, bald eben solche Feinde und Verfolger, sodaß sie hier im größten Glanze, dort im tiefsten Elende erschienen. Ihre Geschichte ist ein wunderbares Gewirre überraschender Abenteuer und Wechselfälle, wunderbarer Begebenheiten, häufig mit den großen Weltereignissen verknüpft, aber leider noch immer nicht genügend aufgehellt. Wäre dies der Fall, so würde nicht nur manches psychologische, sondern auch politische Räthsel gelöst und der Schleier von mancher noch dunklen historischen Begebenheit gehoben sein.

Auch am preußischen Hofe und selbst schon unter der Regierung Friedrich’s des Großen zeigten sich die Spuren einer solchen Reaction, die vorzugsweise von den „Rosenkreuzern“ eifrig betrieben wurde. An ihrer Spitze standen der Major von Bischofswerder und der Lehrer der Staatswissenschaften, der bekannte Wöllner. Beide berüchtigte Männer gehörten zu den sogenannten „Erleuchteten“ und benutzten ihren Einfluß auf das Gemüth des Thronfolgers, um ihn für den damaligen Pietismus zu gewinnen. Sein von Natur nur zu gutes und weiches Herz wurde vielfach von seiner Umgebung gemißbraucht, bei deren Auswahl er nicht mit der nöthigen Vorsicht verfuhr. Wie bei den meisten sinnlichen Naturen folgten auch bei ihm auf den höchsten Genuß Stunden der tiefsten Reue und moralischen Niedergeschlagenheit, wo er nur zu sehr der Stütze bedurfte. Diese glaubte er in jenem Pietismus zu finden, der zu allen Zeiten für blasirte Lebemänner einen besondern Reiz bietet. Aus den Armen des Vergnügens stürzte er in die des überirdischen Glaubens, bei dem er Trost und Vergebung zu finden hoffte; nach einer durchschwelgten Nacht empfand er um so lebhafter das Bedürfniß, sich wieder geistig zu erheben. So schwankte er fortwährend zwischen Genuß und Reue, zwischen Himmel und Erde, bald in feierlichem Rausche, bald in übersinnlichem Taumel schwelgend.

Von Bischofswerder und Wöllner geleitet, ließ auch er sich in den Freimaurerorden aufnehmen, und bald gehörte er zu dem engern Verein der Rosenkreuzer, angelockt von dem geheimnißvollen Wesen und den Mysterien dieser Gesellschaft, von der er nicht nur die Lösung so mancher Räthsel des Daseins, sondern auch verschiedene materielle Vortheile erwartete. Hoffte er auch nicht, den Stein der Weisen mit ihrer Hülfe aufzufinden, so traute er ihnen wenigstens die Macht zu, das Leben zu verlängern und durch ihre geheimen Kräfte die verlorenen Körperkräfte zu ersetzen. Sie bestärkten ihn in seinem Glauben durch allerhand Reizmittel, die wenigstens für kurze Zeit ihn in eine künstliche Aufregung versetzten. Noch weit wirksamer auf den Geist des Kronprinzen erwiesen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 681. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_681.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)