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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Schilderungen aus den westlichen Theilen Nord-Amerika’s.
Das Canalboot.
Von Balduin Möllhausen.

Das Canalboot Nordamerika’s verdient als Mittel zum Transport von Reisenden und Gütern gewiß nicht weniger Interesse, als Dampfboot und Locomotive, und die für dasselbe erbauten Canäle helfen das ungeheure Netz vervollständigen, welches durch Seen, Flüsse und Eisenbahnen auf dem colonisirten und civilisirten Theil des großen Continents gebildet wird.

Mit Recht nennt man die Vereinigten Staaten, was das Reisen anbetrifft, das Land des Comforts; denn Gasthöfe können nie Anspruch auf Ruf und in Folge dessen auf zahlreichen Besuch machen, wenn nicht ausgesuchte Bequemlichkeiten den Gast in denselben erwarten; Dampfboote dürfen nicht auf fashionable Passagiere rechnen, wenn sie von andern hinsichtlich der den Reisenden gebotenen Annehmlichkeiten übertroffen werden, und sogar auf den Eisenbahnen scheut man größere Umwege nicht, wenn man sich dafür des Vortheils eines mit Büffet, Eiswasser und nicht selten mit Betten ausgerüsteten Wagens erfreut.

Weniger bequem als Hotel und Dampfboot, weniger schnell als die Locomotive, aber nicht weniger originell und in seiner Art comfortable ist das Canalboot. Man unterscheidet zwei Arten desselben, nämlich das Passagierboot und das Frachtboot, welchem letzteren man, seiner weiten Landreisen wegen, eine Amphibiennatur zuschreiben möchte. In Größe und äußerer Form sind beide einander sehr ähnlich, nur daß ersteres sich durch das zum Aufenthalt von Reisenden eingerichtete Verdeck, so wie durch die kleinen Fenster auszeichnet, welche in schmalen, aber regelmäßigen Zwischenräumen die Seitenwände zieren. Außerdem wird dasselbe auch, statt wie das Güterboot von zwei, von drei Pferden gezogen, und diese eilen, statt im gewöhnlichen schweren Schritt, in leichtem Trabe mit ihrer Last von Station zu Station.

Wenn man nun z. B. nach langer Fahrt auf der Eisenbahn von New-York aus die großen Süßwasserseen erreicht hat, so ist es ein Genuß, sich auf einen der prächtig ausgestatteten Dampfer zu begeben, und in diesem in weitem Bogen den Erie-, den St. Clair-, den Huron- und den Michigan-See, jeden einzeln der Länge nach zu durchfahren. Steigt man dann nach fünf- oder sechstägiger Reise in Chicago an’s Land, und das Ziel liegt noch weiter südlich, so geht man hinunter zum Canal, wo Boote bereit sind, den Reisenden auf einer schmalen aber sehr regelmäßigen Wasserstraße durch Wälder und Prairien, durch Städte und Dörfer an den Illinois-Fluß zu bringen, wo wieder mächtige Dampfer harren, um die Weiterbeförderung nach dem Mississippi und, je nachdem man es wünscht, bis an den Golf von Mexico zu übernehmen.

Nachdem man den stolzen Seedampfer verlassen, fühlt man sich freilich beengt auf dem schlanken mastlosen Fahrzeuge, dessen Länge nicht fünfzig und dessen Breite nicht zwölf Fuß übersteigt, doch gleicht sich dieser Unterschied sehr bald wieder aus, wenn man die entsprechende Breite des Canals in’s Auge faßt, und vom Verdeck oder von den niedriger gelegenen Kajütenfenstern aus die Ufer zu beiden Seiten beobachtet, wo man jeden bunten Kiesel, jede schillernde Blume, ja jeden prächtigen Falter genau zu unterscheiden vermag, der, träge an den Blüthenkelchen hängend, dieselben ihres süßen Inhaltes beraubt.

Fast der ganze innere Raum des Bootes ist natürlich zur Kajüte eingerichtet, und nur im Hintertheil befindet sich ein Verschlag zum Aufbewahren der Matratzen, so wie im Vordertheil die kleine Küche, in welcher gewöhnlich einige Neger mit der Zubereitung von massenhaften und wohlschmeckenden Speisen beschäftigt sind, eine überaus wichtige Arbeit, von welcher vorzugsweise der Ruf eines solchen schwimmenden Speisehauses abhängig ist. Die sieben Fuß hohe Kajüte bietet, weil leicht bewegliche Tische und Stühle nicht zu viel Platz einnehmen, einen nothdürftigen Aufenthaltsort für ungefähr dreißig Personen, und da durch das Oeffnen der gegenüberliegenden Fenster eine beständige Zugluft erhalten wird, so entsteht nie eine ungesunde Atmosphäre, und selbst im hohen Sommer wird auf diese Weise in dem verhältnißmäßig beschränkten Raume eine ganz erträgliche Temperatur hergestellt. Wenn irgend das Wetter es gestattet, begeben sich übrigens die meisten Passagiere auf das Verdeck, wo Bänke, Stühle und Gepäck hinlänglich Sitze, und wenn erforderlich, ein leinener Baldachin Schutz gegen die sengenden Strahlen der Sonne gewährt.

Außer den beiden sich gegenseitig ablösenden Steuerleuten, welche mittelst eines leichten Ruders das Fahrzeug in der Richtung halten, und etwa fünf Negern gehören noch ein Capitain und ein Secretair zu der Bemannung. Berücksichtigt man nun, welche Summen nothwendig sind, den Anforderungen und Bedürfnissen eines solchen Personals zu genügen, ohne dabei der Erhaltung des Canals und der Zugthiere zu gedenken, so läßt es sich leicht ermessen, welche bedeutende Geschäfte mit diesen unscheinbaren Booten gemacht werden. Wie schon eben bemerkt, wird das Passagierboot von drei Pferden gezogen. Auf dem ebenen, dicht am Canal hinführenden Wege eilen dieselben in schnellem Trabe den Stationen zu, wo die Ablösung ihrer harrt. So reist man auf diese Weise sehr schnell und außerdem sehr gemächlich. Es sind keine Wogen da, welche die Seekrankheit erzeugen, keine verborgenen Baumstämme, welche das Fahrzeug mit einem Leck bedrohen, kein erschütterndes Arbeiten der Maschinen oder betäubendes Rasseln auf eisernen Schienen. Leise, ohne anzustoßen oder zu schwanken, gleitet das Canalboot auf seiner spiegelglatten Bahn dahin, und nur zeitweise vernimmt man den unmelodischen, langgedehnten Ton aus der kurzen Trompete des Capitains, wenn er seine Ankunft auf den Stationen anmeldet, oder zum Schließen und Oeffnen der Schleußen auffordert, in welchen das Fahrzeug bald hoch hinaufgehoben, bald tief hinabgelassen wird.

Die Zeit wird von den Passagieren auf verschiedene Weise hingebracht, größtentheils aber mit Lesen, Schlafen und Essen; denn der Amerikaner neigt zu wenig zum geselligen Verkehr hin, als daß er der bloßen Unterhaltung wegen mit fremden Menschen auf einige Stunden oder Tage Bekanntschaft schließen möchte, und nur ein geringer Theil wendet seine ungetheilte Aufmerksamkeit der stets wechselnden Naturumgebung zu.

In einschläfernder Ruhe verstreicht daher die Zeit; plötzlich tritt ein Neger in die Kajüte und fordert die anwesenden Passagiere sehr höflich auf, sich auf’s Verdeck zu verfügen, und Raum zum Aufstellen der Tische und zum Anrichten der Speisen zu gewähren. Schweigend leistet Jeder Folge, sucht indessen dort oben keine Ruhe, sondern einen günstigen Punkt, von wo aus er auf das gegebene Zeichen am schnellsten wieder hinabgelangen kann, um sich einen guten Platz am obern Ende der Tafel zu sichern. Endlich ertönt die Glocke; Alles stürzt hinab; einiges Schieben und Drängen folgt; man vernimmt Klappern von Tellern, Messern

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 684. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_684.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)