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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

No. 44. 1860.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Mary Kreuzer.

Aus dem deutsch-amerikanischen Leben.
Von Otto Ruppius.
(Schluß.)

Mary hatte mit großen, ernsten Augen und erhobenem Kopfe die Worte des Vertheidigers angehört, während ein leichtes Roth in ihr Gesicht getreten war. „Ich habe auf alles das nichts zu verschweigen, aber auch nichts zu bekennen,“ sagte sie, als der Advocat innehielt; „ich habe vor dem Unglücke den jungen Mr. Osborne nicht mehr als drei Mal in meinem Leben gesehen.“ Sie berichtete in kurzen Zügen, wie sie, unfähig englisch zu reden, ihn an der Einzäunung getroffen – wie er sie später auf den Wunsch des alten Kreuzer in seinem Schlitten nach Hause gefahren – und wie er zuletzt ihr auf dem Picknick entgegengetreten. Sie gab sodann von der letzten nächtlichen Begegnung zwischen ihr und dem Gefangenen eine genaue Beschreibung.

Der Advocat hatte, während sie sprach, den Blick auf sie geheftet, als wolle er ihre ganze Seele durchdringen; des Mädchens Haltung schien aber darunter nur immer freier zu werden und an Würde zu gewinnen. „Und so glaube ich, Alles gesagt zu haben, was ich nur zu sagen weiß!“ schloß sie; Osborne aber richtete ungeduldig den Kopf auf und erhob sich.

„Es ist das Alles nichts und es muß gerade herausgesprochen werden,“ begann er, „ein Mädchen wird natürlich nicht von selber reden. Die Welt sagt, mein Junge habe ein Liebesverhältniß mit der Miß hier gehabt, Kreuzer’s Junge habe Beide bei ihren Zärtlichkeiten im Walde ertappt, und so sei das Unglück fertig gewesen. Und wenn ich mir das Weitere dazu rechne, so scheint mir die Geschichte sehr wahrscheinlich. Mein James, um gleich Alles zu sagen, hat an dem einen dummen Streiche nicht genug und erklärt mir ganz einfach, daß er, sobald er frei sei, das Mädchen, das um seinetwillen ihre Heimath habe verlassen müssen, heirathen werde. In Bezug auf die Heirath werden natürlich noch einige Worte geredet werden,“ setzte er ärgerlich lachend hinzu; „es läßt sich davon aber auf das Vorhergehende schließen, und wenn ich wünschte, Miß, Sie wären lieber irgend wo anders hin, als zu uns verschlagen worden, wenn ich aus dem Ganzen nicht viel Rühmenswerthes für eine Person, die eine junge Lady sein will, herausfinden kann, so werden Sie mich jetzt wohl verstehen. Das ist aber nur unter uns gesagt und weil Sie es so verlangten; der Jury gegenüber ist es etwas Anderes; da handelt es sich vor Allem darum, alle Fragen zurückzuweisen, durch welche Ihnen ein besonderes Interesse an meines Sohnes Freisprechung nachgewiesen und so Ihre Glaubwürdigkeit als Zeuge geschwächt werden könnte. – Fragen Sie, Sir, da die junge Lady jetzt wohl genug wissen wird,“ wandte er sich an den Advocaten, „und fragen Sie, wie Sie denken, daß es im Kreuzverhör geschehen mag, Sie werden dann wohl bald klar sehen!“

„Lassen Sie nur das Fragen, Sir,“ fiel Mary ein, in deren bleichem Gesichte die Augen in einem tiefdunklen, feuchten Glanze schimmerten, während ihre Stimme leise bebte; „ich werde sicher auf nichts mehr antworten; ich habe versprochen, mein Zeugniß abzulegen, aber nicht die fortdauernden, absichtlichen Beleidigungen eines Mannes zu ertragen, der mich hätte in Schutz nehmen sollen –“ sie nahm einen neuen Ansatz zum Sprechen, aber als fürchte sie den Ausbruch ihrer Bewegung, erhob sie sich plötzlich und that einige Schritte nach der Thür.

„Halloh, Miß, warten Sie einmal!“ rief Osborne, rasch aufspringend, „es hat kein Mensch daran gedacht, Sie zu beleidigen; aber bei einer Sache, wo es um Leben und Tod geht, muß voll herausgesprochen werden – und zuletzt verlangen Sie wohl auch noch von mir, ich soll zu dem letzten Einfalle meines Jungen Ja und Amen sagen, nur um Sie nicht zu beleidigen?“

Mary war stehen geblieben und hatte sich langsam umgedreht, ihr Blick war wieder klar und fest. „Was ich verlange, ist, daß Sie einem Mädchen, das für Sie gut genug ist, Ihren Sohn befreien zu helfen, das Sie hierher in eine achtbare Familie gebracht, ihre Ehrenhaftigkeit nicht nehmen – das Einzige, was sie besitzt. Sie möchten dem boshaften Geschwätz Recht geben, weil es vielleicht das Bequemste für Sie scheint, dadurch den ausgesprochenen Absichten Ihres Sohnes in den Weg zu treten; ich aber sage Ihnen, Major Osborne, daß ich erst würde gefragt sein wollen, was ich zu einer solchen Absicht sage, deren Erfüllung nur Alles bestätigen müßte, was jetzt über mich geredet werden mag. Ich bin jetzt eine Waise, Sir, die nur auf ihre eigene Kraft angewiesen ist; aber wenn die Erziehung dem Menschen eine Stellung geben kann, so glaube ich dieselbe Stufe einzunehmen und dieselbe Rücksicht zu verdienen, als Ihre eigenen Töchter, Sir, wenn Sie deren hätten. Seien Sie vollkommen wegen der Absichten Ihres Sohnes beruhigt, Mr. Osborne, mein Wort hat er nicht dazu!“

Sie wandte sich ab und ging hochaufgerichtet aus dem Zimmer. Einige Secunden lang herrschte das Schweigen der Überraschung unter den Zurückgebliebenen. „Wie alt ist das Mädchen?“ begann endlich Osborne, der bis dahin den Blick auf die geschlossene Thür geheftet.

„Sie kann nicht viel über sechzehn Jahre sein,“ erwiderte der Hausbesitzer mit einem langsamen Kopfnicken; „sie muß aber


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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 689. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_689.jpg&oldid=- (Version vom 14.5.2017)