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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Damit ist aber der Minenkrieg noch nicht zu Ende. Ist der Angreifende bis zum Grabenrande gekommen, hat derselbe vielleicht sogar durch Hülfe der Minen die äußere Grabenseite eingestürzt, so kann er sich auch noch der Minen zur Eroberung der Festungswerke selbst bedienen, indem er, statt durch Brescheschießen, durch Wirkung einer Breschemine einen Wallbruch und Zugang in’s Innere der Festung hervorzubringen sucht. Dann muß der Mineur am jenseitigen Fuße der Mauer, durch eine Bedachung geschützt, in diese hineinbrechen. Bei nassen Gräben läßt man durch die Breschebatterien ein Loch in die Mauer schießen, dann den Mineur auf einem Flosse dahin übersetzen und durch die vorbereitete Oeffnung die Minenladung hinter der Festungsmauer ansetzen, wie dies die Franzosen bei der letzten Belagerung der Citadelle von Antwerpen 1832 ausführten. Man tritt dann in das letzte Stadium, für welchen Zeitpunkt es doppelt nothwendig ist, daß der Vertheidiger bereits vorbereitete Minengallerien zu seiner Verfügung hat, weshalb bei Erbauung der Festungen auf deren Anlage gleich Rücksicht genommen wird. Es liegen Beispiele in der Kriegsgeschichte vor, daß selbst nach erzielter Bresche der Angreifer nicht im Stande war, auf derselben stürmend in das Innere der Festung zu dringen, daß er sich entschließen mußte, auf der Bresche mit Laufgräben Schritt vor Schritt in die Höhe zu gehen, und daß der Vertheidigungsmineur bis zum letzten Augenblicke seine Schuldigkeit that, indem er diese Laufgräben auf der Bresche und auf den Wallgängen in die Luft sprengte oder den stürmenden Truppen Flatterminen auf der Bresche selbst legte. Ein letztes Mittel, sich von verlorenen Werken mit einem Schlage zu befreien, besteht endlich für den Vertheidiger darin, sie mittelst einer bereits vorbereiteten Demolitionsmine in die Luft zu sprengen und hierdurch für sich wie für den Feind zu vernichten, eine heroische That, zu der es indessen gewöhnlich nicht mehr kommt, da Verluste, Mangel an Lebensmitteln und Pulver, wie die Erschöpfung der am Ende bis auf’s Aeußerste angestrengten Besatzung die Belagerung schon früher zu Ende gebracht haben.




Eine Meisenhütte.
Von Dr. A. E. Brehm.

„Doctor, wollen Sie nicht morgen einmal mit uns auf die Meisenhütte gehen?“

„Wo liegt denn Ihre Hütte?“

„Drüben im Sächsischen; bei uns dürfen wir nämlich keine Meisen mehr fangen. – Nun, gehen Sie mit?“

„O ja, – doch nur unter einer Bedingung.“

„Und diese wäre?“

„Daß Sie die gefangenen Meisen wieder fliegen lassen!“

„Da müßte ich doch geradezu verrückt sein!“

„Im Gegentheil; Sie würden vielmehr beweisen, daß Sie ein vernünftiger Mensch sind. Wissen Sie nicht, daß die Meisen äußerst nützliche Thiere sind?!“

„Ja, das ist schon recht, nützlich mögen sie sein, – aber sie schmecken gut. Ich bin froh, wenn ich ein paar Schock gefangen habe, und lasse keine fliegen.“

„Und ich meinestheils nehme keinen Antheil an einer Bubenjägerei; denn nur als eine solche kann ich den Meisenfang ansehen.“ – –

Der Mann, mit welchem ich dieses Gespräch führte, nannte sich Forstmann. Er hatte auch wirklich als solcher gelernt und in Tharand studirt; er war wohl auch ein tüchtiger Jäger geworden, – ein Forstmann aber war er nicht! Ich muß gestehen, daß mir der ganze Mensch durch die Worte: „Nützlich sind sie – aber sie schmecken gut!“ zuwider wurde. Wenn mir ein ungebildeter Holzhauer dasselbe gesagt haben würde, hätte ich mir sicher die Mühe genommen, ihn zu belehren: einem Forstmann aber von der unberechenbaren Schädlichkeit einer Meisenhütte vorreden zu wollen, wäre mir als Hohn an jeder deutschen Forstlehranstalt und zumal an Tharand erschienen!

Auch dieser kurze Aufsatz soll keineswegs für diejenigen Waldfrevler, welche wissen, was sie thun, sondern vielmehr ausschließlich für solche bestimmt sein, welche den Meisenfang als ein unschuldiges Vergnügen betrachten, zugleich aber guten Willen besitzen, etwas Vernünftiges nicht allein anzuerkennen, sondern auch nach Kräften zu befördern. Den Lehrern der Jugend und den Eltern lege ich das Nachstehende besonders an’s Herz!

Ich habe zu meiner kleinen Arbeit die obige Ueberschrift weniger deshalb gewählt, um eine Meisenhütte ausführlich zu schildern, sondern vielmehr um einem abscheulichen und echt bubenhaften Waldfrevel den rechten Namen zu geben. Die Hütte selbst ist kaum einer Beschreibung werth. Sie ähnelt einem Würfel von ungefähr sechs Fuß im Durchmesser und wird von Pfählen und Stangen errichtet, mit passenden leichten Stoffen, namentlich mit Schilf, Rohr, Tannenreisern etc. dicht zugebaut und mit einer ganz niedrigen Thüre versehen, durch welche man kriechend aus- und eingeht. Man fängt mit Kloben, d. h. in der Mitte getrennten, mehrfach gefalzten runden Stäben, mit welchen man die Zehen der Meisen, die sich darauf setzen, einklemmt, oder berückt die Thierchen in Dohnen, Sprenkeln, auf Leimruthen, in Meisenkästen etc. und lockt die neugierigen und ziemlich zänkischen Vögel mit einer Pfeife, einer aufgehängten todten – oder einer lebenden Meise welcher man – echt neapolitanisch – einen Faden durch die Nasenlöcher zieht), ja selbst mit einem recht zur Schau gestellten Stückchen Tuch, Pelz etc. herbei. Unter günstigen Verhältnissen erbeutet man so in wenigen Morgenstunden zwei und drei Schock verschiedener Meisen, oder auch wohl Rothkehlchen, Laubvögel, Goldhähnchen, Zaunkönige und Kleiber – lauter nützliche Vögel! – drückt ihnen die Köpfe ein und bereitet aus einem Schock der niedlichen und fröhlichen Wesen ein Leckergericht, welches für das Frühstück eines gedankenlosen Gutschmeckers eben ausreicht. Hiermit ist die Meisenhüttte[WS 1] beschrieben, – nicht aber auch der auf ihr verübte Waldfrevel, von welchem das Nachstehende jeden Unbefangenen überzeugen wird.

In unserem Vaterlande leben neun leicht zu unterscheidende Arten der Meisen: die Kohl- oder Finkmeise, die Tannen-, Hauben-, Sumpf-, Schwanz-, Blau-, Lasur-, Bart- und Beutelmeise, von denen die erstgenannten sechs Arten fast überall und das ganze Jahr hindurch angetroffen werden. Man mag im Sommer oder im Winter, im Frühling oder im Herbst durch Wald und Garten streifen: stets wird man sie, die Immerfrohen, Ewigregsamen beobachten. Mit lautem und leiserem „Zitärrärärärr, Pink, tivüdivüdi, Tuiti, Sisi, sisi, sisi, Zit, Zit“, und andern ähnlichen Lauten durchstreicht das Völklein Wald und Gebüsch, Hag und Hecke, Hain und Garten, untersucht jeden Ast, jeden Zweig, jede Ritze, klettert, gaukelt, hämmert, klopft und arbeitet, zankt sich mit Seinesgleichen und anderen Vögeln, berichtet der ganzen Vogelwelt durch lautes Geschrei und Schelten getreulich das Erscheinen eines Hundes, einer Katze oder irgend welches furchtbaren Thieres, nähert sich aber vertrauensvoll dem Menschen und hält sich gern in dessen Nähe auf. Den Kundigen, nein, jeden Menschen, welcher nur etwas Sinn und Gefühl für Natur und Naturleben hat, erfreut und erheitert die muntre Gesellschaft; dem Beobachter wird sie bald unendlich lieb und werth. Ihre große Klugheit und noch größere Neugierde, ihr Muth, ihre Keckheit, ihre Lustigkeit, Gewandtheit und ihre ewige Unruhe sind aber auch Eigenschaften, welche jeden nicht unvernünftigen Menschen für sie gewinnen müssen. Im Winter thut ihr Anblick im öden kalten Walde jedem Herzen wohl; im Herbst bewirken sie durch ihr ununterbrochenes Rufen und Singen, daß man sich noch einmal den Frühling herbei träumt; im Lenz sind sie die Eifrigsten mit, welche ihn preisen, und nur im Sommer verschwinden sie einigermaßen unter der Menge der anderen Lustgestalten der Vögel. Gewiß, sie haben alle Eigenschaften, um des Menschen Herz für sich zu gewinnen.

Aber was fragt unsere Zeit nach Herz und Gefühl?! Geld! Gewinn! Vortheil! – so heißen die Triebfedern, welche das heutige Geschlecht bewegen. Nun, gerade die Meisen sind es, welche nicht blos dem Einzelnen, sondern ganzen Gemeinden, ja selbst dem größten Staate Geld, Gewinn und Vortheil eintragen, in reichem Maße eintragen können. Man möge nicht voreilig


  1. Vorlage: Meisenhüttte
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 698. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_698.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)