Seite:Die Gartenlaube (1860) 701.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Aus Garibaldi’s Leben.
Nr. 5.

Da die wenigen Thaler, die ihm der Verkauf seiner Ochsenfelle eingebracht, verausgabt waren und er nicht Lust hatte, mit Frau und Kind seinen Freunden zur Last zu fallen, unternahm Garibaldi zwei Geschäfte, die jedoch, wenn auch vereinigt, selbst seine geringen Bedürfnisse kaum befriedigt haben würden. Zuerst wurde er Waarenmäkler, der Proben aller Art, von italienischen Nudeln an bis zu Stoffen aus Rouen, mit sich herumtrug. Dann bekleidete er in dem Hause eines gewissen Paolo Semidei das Amt eines Lehrers der mathematischen Wissenschaften, und diese Lebensweise führte er bis zu seinem Eintritt in die orientalische Legion fort. Die Frage von Rio Grande nahte ihrer Lösung, und so bot ihm die orientalische Republik, wie sich damals die Republik von Montevideo nannte, eine Beschäftigung an, welche mehr in Harmonie mit seinen Mitteln und namentlich mit seinem Charakter stand, als die eines Lehrers der Mathematik oder Musterreiters. Man übertrug ihm das Commando über die Corvette la Constitucion, während sich das gesammte orientalische Geschwader unter dem Befehle des Obersten Cosse, das von Buenos-Ayres aber unter dem des Generals Brown befand. Mehrere Zusammentreffen zwischen beiden hatten nur geringe Erfolge, bis endlich ein gewisser Vidal, traurigen Gedächtnisses, das Ministerium übernahm und die mit ungeheuren Summen errichtete und unterhaltene Flotte um ein Lumpengeld verschleudern ließ. Garibaldi wurde hierauf mit der Brigantine Pereira von achtzehn Geschützen nach Corrientes gesendet, das damals gegen Rosas kämpfte und dem er in seinen Bewegungen gegen diesen Dictator helfen sollte. Die ganze Expedition hatte jedoch einen andern, nur dem Herrn Premier-Minister bekannten Zweck: man wollte sich Garibaldi’s entledigen. Schon beim ersten Auslaufen von Montevideo hatte er einen Kampf gegen die Batterie von Martin Garcia, einer am Ausflusse des Uruguay in den Parana gelegenen Insel, zu bestehen, der ihm mehrere Todte und acht bis zehn Verwundete kostete. Drei Meilen von dieser Insel entfernt strandete die Constitucion, leider zur Zeit der Ebbe; es kostete unsägliche Arbeit, das Schiff wieder flott zu machen, aber die muthige Ausdauer der Mannschaft brachte es endlich zu Stande. „Während wir,“ berichtet Garibaldi, „noch damit beschäftigt waren, alle schweren Gegenstände auf die uns begleitende Goelette la Proceda zu bringen, sahen wir die feindliche Flotte auf uns lossteuern; in schöner Schlachtordnung nahte sie von der andern Seite der Insel. Ich befand mich in einer bösen Situation; um die Constitucion zu lichten, ließ ich sämmtliche Geschützstücke auf die Goelette bringen, wo sie übereinander geworfen wurden; sie waren uns daher vollständig nutzlos; so blieb uns nur noch die Brigantine Peresia, deren muthvoller Commandant bei mir war und uns mit der Mehrzahl seiner Mannschaft in unserer Arbeit beistand.

„Inzwischen nahte der Feind mit sieben Kriegsschiffen, voll der begründetsten Siegesgewißheit. Trotz der drohenden Gefahr, in der ich mich befand, überließ ich mich doch nicht der Verzweiflung. Nein, Gott erweist mir die Gnade, mir in den äußersten Nöthen stets das Vertrauen auf ihn zu bewahren; ich überlasse aber gern Anderen, namentlich Seeleuten, zu beurtheilen, in welcher Lage ich mich befand. Hier handelte sich’s nicht allein um’s Leben, auf welches ich in diesem Augenblicke gern verzichtet hätte, es galt, die Ehre zu retten. Diese blutig, aber rein aus dieser schlimmen Lage herauszuretten, war mein fester Entschluß. Es handelte sich nicht darum, sich dem Kampfe zu entziehen zu suchen, sondern ihn in der bestmöglichen Stellung aufzunehmen. Da nun meine Fahrzeuge, leichter als die des Feindes, nicht so tief im Wasser gingen, so ließ ich sie möglichst nahe an die sich mir darbietende Küste bringen, um, da auf dem Flusse Alles verloren war, ein letztes Auskunftsmittel, die Landung, zu versuchen. Ich ließ hierauf, so weit es anging, das Verdeck der Goelette frei machen, um wenigstens einige Kanonen gebrauchen zu können, und erwartete also gerüstet den Feind.

„Das Geschwader, das mich anzugreifen im Begriff stand, wurde von Admiral Brown befehligt; ich wußte daher, daß ich es mit einem der tapfersten Seemänner zu thun haben würde. Der Kampf dauerte drei Tage, ohne daß der Feind es für angemessen hielt, zu entern. Am Morgen des dritten Tages blieb mir zwar noch Pulver, aber die Kugeln waren ausgegangen. Ich ließ daher die Ketten der Fahrzeuge auseinander sprengen, ließ die Nägel, die Hämmer, alles Leder oder Eisen, was die Geschosse ersetzen konnte, herbeischaffen und schleuderte dies dem Feinde in’s Gesicht; so hielten wir uns den Tag über hin. Endlich, gegen Sonnenuntergang des dritten Tages, als ich keine Kugel mehr am Bord, und mehr als die Hälfte meiner Mannschaft bereits eingebüßt hatte, ließ ich Feuer an die drei Schiffe legen, während wir unter dem feindlichen Kanonendonner das Land zu erreichen suchten. Jeder nahm sein Gewehr und den Antheil an den uns verbliebenen Patronen mit. Alles, was von Verwundeten transportabel war, wurde mit fortgeschafft. Was die Uebrigen betrifft, … ich habe schon gesagt, wie’s unter solchen Umständen zu geschehen pflegte.

„Wir befanden uns noch 150 bis 200 Miglien von Montevideo entfernt und auf einer feindlichen Küste. Zunächst suchte die Besatzung der Insel Martin Garcia uns zu belästigen; da jedoch in uns noch das Feuer glühte, in welches uns der Kampf mit dem Admiral Brown versetzt hatte, so empfingen wir sie dergestalt, daß sie an kein Wiederkommen dachten. Hierauf schlugen wir den Weg durch die Wüste ein, während dessen wir von dem wenigen Proviant, den wir mit uns genommen, und von dem, was wir auf der Reise fanden, uns unterhielten. Die Schlacht von Arroyo-Grande war inzwischen verloren worden; wir schlossen uns den Flüchtlingen an und nach fünf bis sechs Tagen des Kampfes, der Gefechte, der Entbehrungen und Leiden aller Art, von denen sich Niemand eine Idee zu machen vermag, trafen wir wieder in Montevideo ein und brachten das rein und unversehrt zurück, was ich, wie man geglaubt, unterwegs einbüßen würde, die Ehre!“

Nach dem Siege von Arroyo-Grande marschirte der Feind auf Montevideo und erklärte, Niemand, selbst nicht den Fremden, die in seine Hände fallen würden, Pardon zu geben. Und in der That wurde Jedermann, der ihm unterwegs aufstieß, enthauptet oder erschossen. Da sich nun in Montevideo eine große Anzahl Italiener befand, die daselbst theils in Handelsgeschäften, theils als Proscribirte lebten, erließ Garibaldi eine Proclamation an seine Landsleute, in welcher er sie aufforderte, zu den Waffen zu greifen und auf Tod und Leben für die zu kämpfen, die sie in ihrer Mitte gastlich aufgenommen hätten.

Inzwischen sammelte Ribeira die Ueberreste seiner Armee, und genehmigte mit Freuden den Vorschlag Garibaldi’s. Diese italienische Legion bekam keinen Sold, sondern Rationen an Brod, Wein, Salz, Oel u. dgl., während man nach beendigtem Kriege den Ueberlebenden, oder den Frauen und Kindern der Legionairs Besitzthum in Ländereien und Vieh versprach. Anfangs vier- bis fünfhundert Mann stark, stieg die Legion bald bis auf achthundert Mann, größtentheils proscribirte Italiener oder Leute, die aus Europa kamen, um hier ihr Glück zu versuchen.

Als die Legion zum ersten Male aus den Verschanzungen herausmarschirte, ergriff sie, man weiß nicht, ob aus Schuld der Führer oder der Soldaten, ein panischer Schrecken, und sie zog sich eiligst, ohne einen Schuß abgefeuert zu haben, wieder in die Verschanzungen zurück. Garibaldi hielt eine heftige Anrede an sie, setzte einen der Bataillonscommandanten ab und schrieb wiederholt an Auzani, der sich in einem Handelshause zu Uruguay befand, und endlich den Bitten des Freundes nachgab, um sich wieder mit Garibaldi zu vereinigen. Mit ihm kam neue Kraft und neues Leben in die Legion; die zeither schauderhafte Verwaltung derselben nahm seine ganze Sorgfalt in Anspruch. Inzwischen hatte man, wohl oder übel, eine kleine Flottille reorganisirt, deren Befehligung man Garibaldi übertrug. Auch in dieser neuen Stellung leistete dieser treffliche Dienste, und zwang namentlich den Admiral Brown, sich mit ansehnlichem Verlust von der Insel de los Ratos zurückzuziehen. Bald darauf treffen wir ihn wieder an der Spitze seiner italienischen Legion, die sich nach ihrem ersten traurigen Auftreten durchaus ehrenhaft benahm. Er versuchte mit ihr, im Verein mit Pacheco, die Truppen Oribe’s anzugreifen, und seine Soldaten hielten sich so brav, daß der Feind nach dreistündigem Kampfe in die Flucht geschlagen wurde. Dies geschah am 28. März 1843. Triumphirend zog Garibaldi wieder in Montevideo ein;

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 701. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_701.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)