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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Ein Artikel für den Spiritualismus in Thackeray’s Monatsschrift, das war schon literarisches Ereigniß genug. Und nun erst, was darin stand! Die höchsten, geachtetsten, ehrwürdigsten Namen des Standes, der Politik und Wissenschaft, die darin als gläubige und bekehrte Spiritualisten auftraten! Es klang fast ebenso fabelhaft, wie die darin erzählten Wunder selbst. Hernach trat sogar noch William Howitt, ein alter Literat und Gelehrter mit viel deutscher Bildung und Verfasser eines pfaffenfeindlichen Buchs, als Vertheidiger gegen Angriffe und als eifriger Spiritualist öffentlich auf und bürgte für eine Menge fabelhafter spiritualistischer Offenbarungen und zwar mit Zeugen und Bürgen erster Classe. Merkwürdig: lauter Namen ersten Ranges. Der Spiritualismus tritt in Europa entschieden als noble Passion der höchsten Stände auf. Mr. Home, „der Geisterkönig des neunzehnten Jahrhunderts“, als welchen wir ihn unsern Lesern früher einmal vorstellten, hatte in England fast nur mit höchster Aristokratie und im übrigen Europa bis Petersburg nur mit Kaisern, Königen und Fürsten zu thun. Nur in Amerika, seiner Heimath, ist der Spiritualismus bereits eine Institution, eine Religion aller Classen geworden, weil es dort keine Kaiser und Könige gibt, auf die er sich beschränken könnte. Es blieb ihm nichts Anderes übrig, als im „Lande von Freiheitsflegeln, wo sie ohne König kegeln, wo sie ohne Spucknapf spei’n“, sich mit den großen Massen gemein zu machen. In der alten Welt hat er sich aber bis jetzt ziemlich hoch und vornehm gehalten, jedoch ohne sich den Neu- und Wißbegierigen zu verschließen. Das Schlimmste für uns Ungläubige dabei ist, daß er’s nicht blos Kaisern und Königen und englischen Lords angethan, sondern leider auch Männern der Wissenschaft, die nun kühn als Bekenner und Apostel des Spiritualismus auftreten und in ihm eine neue Religion des Heils begrüßen.

Was ist das für eine Macht, der sich nicht nur absolute Potentaten beugen, sondern auch Männer der Wissenschaft? Lächerlicher Weise nichts als die alte Klopfgeisterei, tanzende Stühle, drehende Tische, verdrehte Köpfe – aber mit einigen neuen, schauerlichen Kunststücken, als da sind: frei in der Luft schwebende Tische, frei in der Luft schwebende Menschen, aus lichtem Luftnebel hervorwachsende Hände citirter Geister, Schwefel- und Phosphorgeruch, eigenthümliches Wehen und Hauchen in der Luft, Prickeln und Kribbeln an den Haarwurzeln, Kneifen in Damenwaden, Kitzeln unter den Strumpfbändern und sonstige unanständige Foppereien, gelegentlich musikalische Leistungen aus unsichtbaren Regionen bis zu Mozart, der unlängst persönlich in einer Kirche zu Rom eine seiner Messen vortrug.

Also das nennt man Spiritualismus? Und an diesen Blödsinn, Betrug und Schwindel, zu schlecht für die ältesten, dem Trunke ergebenen Wasch- und Hökerweiber in unsern aufgeklärten Tagen, glauben Kaiser, Könige, Lords und Naturforscher? Ja, so ist’s. Und dies ist just das größte Wunder dabei, das wir Ungläubigen durchaus nicht mehr mit bloßer Verspottung abweisen können, wenn wir uns nicht eben so stark an der Menschheit versündigen wollen, wie die Geisterkönige und ihre Millionen treuer Unterthanen.

Wir haben zu viel Zeugnisse gebildeter Männer für die Thatsachen des Spiritualismus, als daß wir ihm ohne weitere Complimente den Rücken kehren dürften. Nein, unter den gegebenen und sich immer weiter entwickelnden Verhältnissen ist es unsere Schuldigkeit, diese Leute mindestens anzuhören und zu untersuchen, wie’s etwa zugegangen sein könnte, daß sie sich alle täuschten und respective betrügen ließen, wie’s der Spiritualismus zu Anhängern und Gläubigen der höchsten Stände, der exactesten Wissenschaft, zu Millionen Opfern bringen konnte. Wir von unserm Standpunkt aus sehen das Ganze als kolossalen Schwindel an, dessen Aufklärung freilich noch außer unserer Macht liegt.

Geben wir jetzt eine Reihe der hauptsächlichsten Thatsachen, wie sie in den Zeitungen und Büchern uns vorliegen (der Setzer wird doch nicht „vorlügen“ setzen?), und für welche Männer mit den besten Namen bürgen.

Zunächst einen Blick auf Amerika. Die pfiffigen, klugen, scharfen, nüchternen, materialistischen Yankees bekämpften den etwa vor zehn Jahren zuerst unmerklich auftretenden Spiritualismus mit allen ihren in freier Presse, Witz und Scharfsinn zu Gebote stehenden Mitteln. Das half aber so wenig, daß sich im Gegentheil die anfangs kleine, unbedeutende Schaar seiner Jünger auf mehr als drei Millionen vermehrte, unter denen man Männer der höchsten Bildung findet, die zum Theil in den siebzehn Journalen des Spiritualismus energisch und begeistert für die neue Offenbarung kämpfen. Mancher war vorher ein Saulus und wurde zum Paulus. So z. B. Professor Hare, einer der ersten Naturforscher der neuen Welt, der Faraday oder Dove Amerika’s. Er lachte, wenn er gelegentlich von den verrückten Tischdrehern hörte, bis es ihm endlich zu arg ward und er sich entschloß, den Hokuspokus und diese neue Taschenspielerei zu untersuchen und zu entlarven. Gerüstet mit Naturwissenschaft wie Keiner, besuchte er Spiritualisten-Gesellschaften und ließ sich alle ihre Wunderkünste wieder und immer wieder vormachen, um durch genaues Aufpassen und scharfsinnige Untersuchungen – woran er nie gehindert ward – endlich des Pudels Kern zu entdecken. Vergebens. Im Gegentheil – das gespannte wissenschaftliche Publicum las bald mit Erstaunen Professor Hare’s Erklärung, daß er in den ihm bekannten Gesetzen und Kräften der Natur keine Erklärung der von ihm untersuchten Erscheinungen und Thatsachen des Spiritualismus habe entdecken können und er sich daher gezwungen fühle, unirdische (un-earthly) Ursachen derselben anzunehmen. In diesem etwas starken Glauben schrieb er weiter, lebte und starb er. Unzählige gebildete und wissenschaftliche Amerikaner, gereizt durch dieses Saulus-Paulus-Wunder, besuchten nun ebenfalls Spiritualisten-Media, hörten es klopfen, sahen es tanzen und erhielten erstaunliche Antworten auf Fragen an die „andere Welt“, wußten nicht, wie’s zuging – und sind jetzt Spiritualisten.

Noch mehr zog der berühmte Advocat Edmonds, mit einer Praxis von jährlich 30,000 Dollars, mit sich hinüber. Der schlaueste Jurist von der Welt, dem in Processen nicht das feinste Fädchen oder Häkchen entgeht, ließ sich von den Geistern etwas klopfen, von den Tischen und Stühlen etwas tanzen und alle sonstige Kunststücke von den verschiedensten Mediis unendlich oft wiederholen, ohne daß er je daraus klug werden konnte. Er erklärte, daß er nie Spuren von Betrug, Täuschung oder Humbug irgend einer Art entdeckt habe und er vollkommen überzeugt worden sei, daß hier bis jetzt unbekannte, äußerst merkwürdige Ursachen wirken. In dieser Ueberzeugung schreibt und wirkt er jetzt noch. Unzählige andere Spiritualisten Amerika’s, welche die siebzehn Journale der „neuen Offenbarung“ füllen, sind zum Theil auch von Bedeutung in der Wissenschaft, aber wir wollen’s bei den beiden Erwähnten lassen, um uns einige englische Autoritäten anzusehen.

Sir David Brewster ist ein Mann von europäischer Bedeutung in der Wissenschaft, ebenso Lord Brougham, der hohe Achtziger. Beide sind freilich schon sehr alt, und die Gediegenheit des Urtheils dürfte doch in den achtziger Jahren etwas leiden.

Beide hatten schon am 9. October 1855 Gelegenheit, den Geisterkönig Home operiren zu sehen. Sie sahen und hörten die bekannten Tischwunder unter ihren eigenen Händen. Endlich – das Wunder steht schwarz auf weiß in der Erklärung – machte sich der drehende Tisch los und hob sich in die Luft. Dasselbe wiederholte sich in einer zweiten Zusammenkunft. Die Sache stand damals in den Zeitungen, verbürgt von allen Anwesenden: Sir David Brewster, Lord Brougham, Mr. Cox (in dessen Hause sie sich versammelt hatten), Mrs. Trollope, Mr. Home und Dr. Maitland, rationalistischem Verfasser eines Buches: „Wissenschaft und Aberglaube“.

Mr. Home, das Hauptmedium dieser und anderer Wunder, zeichnete sich stets durch die größte Offenheit aus und forderte in der Regel sein Publicum auf, ihn, die Zimmer, die Tische etc. beliebig zu untersuchen, ob sie Humbug u. dgl. entdecken könnten. Mehr als dreißig Mal experimentirte er vor Napoleon und einer Menge Standes- und wissenschaftlicher Personen, die eingeladen worden waren, denen er stets und zu jeder Zeit jede Art von Untersuchung gestattete. Dasselbe gilt von allen seinen „Vorstellungen“, die er beinahe über ganz Europa hin vor Königen und Kaisern gab. Sollten diese Könige und Kaiser und die Generäle, Räthe und Professoren, die zu diesen Gelegenheiten eingeladen waren, grade am leichtesten zu betrügen gewesen sein? Wohl möglich. Allerdings hat auch Bosco Jahrzehende lang vor allen möglichen Potentaten und dem Publicum zugleich noch ganz andere unerklärliche Zauberkünste gemacht, als Home; aber Bosco hat seine Apparate, die er sich nicht aus der Hand nehmen, nicht untersuchen läßt. Home sitzt immer ganz harmlos und ruhig mit seinen berühmten blauen Augen (in einem sonst nichtssagenden blassen Gesicht) mitten unter

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verschiedene: Dirne Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 712. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_712.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)