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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

sein Herzog werde ihn verfolgen und fangen lassen – als weiter zu fliehen, und deshalb von dem Anerbieten einer edlen Frau, der Mutter seines ehemaligen Mitschülers Wilhelm v. Wolzogen, Gebrauch zu machen, die schon von seiner Flucht aus Stuttgart benachrichtiget gewesen war, und ihm damals für den Nothfall ihr Dorf Bauerbach bei Meiningen als Zufluchtsstätte zur Verfügung gestellt hatte, obgleich sie fürchten mußte, den Herzog zu erzürnen, wenn er Nachricht davon erhalte, da vier ihrer Söhne sich auf der Karlsschule befanden, und sie selbst deswegen meist in Stuttgart wohnte. Er erinnerte sie jetzt in der That an ihr Versprechen, und sie ließ alsbald, wie wir gesehen haben, Vorbereitungen zu seiner Aufnahme treffen, meldete ihm auch, daß sie selbst zu Neujahr auf einige Tage nach Bauerbach kommen werde.

Schiller-Asyl in Bauerbach.
Nach der Natur aufgenommen.

Um wenigstens die Mittel für die in damaliger Zeit gar nicht unbedeutende Reise zu erlangen (man fuhr von Frankfurt a. M. nach Meiningen 45 Stunden), überließ er dem Buchhändler Schwan in Mannheim seinen „Fiesco“ für ein Honorar von 10 Louisd’or.

Seine glückliche Ankunft meldete er bald nach derselben seinen Freunden in Mannheim und Stuttgart. War es ihm doch zu Muthe „wie einem Schiffbrüchigen, der sich aus den Wogen gekämpft hat“. „Das Haus meiner Wolzogen ist ein recht hübsches und artiges Gebäude, wo ich die Stadt gar nicht vermisse. Ich habe alle Bequemlichkeit, Kost, Bedienung, Wäsche, Feuerung, und alle diese Sachen werden mir von den Leuten des Dorfes auf das Vollkommenste und Willigste besorgt.“

Ruhig und sicher durfte er sich allerdings fühlen, denn er befand sich auf reichsritterschaftlichem Boden, wo die Polizei eines Herzogs von Württemberg nichts vermochte, abgesehen davon aber war der Aufenthalt nichts weniger als angenehm. Die von Hügeln, Wald und Wiesenthälern durchzogene Gegend gewährte zwar einen freundlichen Anblick, aber sie war rauh und ziemlich unfruchtbar. Das Dorf mit den meist kleinen Häusern hatte, wie die fast sämmtlich von dem herrschaftlichen Gute abhängigen Bewohner ein ärmliches Aussehen. Unter diesen Bewohnern befinden sich heute noch wie damals viele Juden. Das sogenannte Herrenhaus selbst war sonst das ansehnlichste Bauernhaus gewesen, erst vor kurzem von der Gönnerin Schiller’s, der Wittwe des geh. Legationsrathes Ludw. v. Wolzogen, angekauft und soweit wohnlich eingerichtet worden, daß sie einige Tage darin sich aufhalten konnte, wenn die Verwaltung des Gutes, die sie als Vormünderin ihrer Kinder zu führen hatte, ihre Anwesenheit erforderte. Es steht heute noch ziemlich unverändert und bildet einen langen, schmalen Bau mit der Giebelseite[1] der Dorfstraße zugewendet, die noch im Anfange des jetzigen Jahrhunderts fast das ganze Jahr hindurch grundlos und kaum passirbar war. Die Hauptlangseite sieht in den Hof, die Rückseite nach dem Garten des Nachbars. Hinter dem Hause befinden sich Scheuer und Ställe. Ein großer Garten fehlt nicht und in dem nördlichen Theile desselben steht eine Laube, in welcher Schiller im Frühling zu sitzen und zu arbeiten pflegte. Sein Stübchen selbst befand sich auf der Rückseite des Hauses, und in das anstoßende Schlafcabinet führte eine rundbogige Thür. Heute noch enthält es sechs Stück, die zu seiner Zeit sich darin befanden: einen Lehnstuhl nämlich, einen auf einem gewundenen Fuße stehenden Tisch, an dem er arbeitete, ein hölzernes Tintenfaß, zwei Bilder an der Wand und einen Ofen mit Messingverzierungen in Rococogeschmack.

Den ganzen December über kam er selten aus diesem Stübchen, wahrscheinlich nie aus dem verschneiten Dorfe heraus. Von den Bewohnern lernte er zu dieser Zeit nur wenige kennen, außer dem Verwalter und seinem nächsten Nachbar, Martin Flock, sowie dem Wirth zum braunen Roß, Debertshäuser, der ihm das Essen lieferte und gegen den er sich nur über das zu oft wiederkehrende

  1. Wurde im Jahre 1859 bei der Schillerfeier mit der darüberstehenden Platte geziert.
    D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 732. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_732.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)