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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Sauerkraut beschwerte, nur den Juden Mattich, den er wegen seiner ziemlichen Bildung und seines gesunden Mutterwitzes gern sah und mit dem er bisweilen das damals in Bauerbach beliebte Kartenspiel „Sechs-Männchen“ spielte. Die Frau des Juden sah freilich den Umgang ihres Mannes mit dem Unbekannten sehr ungern, ja sie machte ihm häufig darüber Vorwürfe. „Was läufst Du zu dem Chattes (Lump)?“ zankte sie. „Geh lieber Deinen Massematten (Geschäften) nach.“ Der brave Jude aber antwortete seinem keifenden Weibe: „Schwag’ mer still! Ich waß net, wie mer werd, wenn er mich ruft. Ich muß folgen. Er ist ein braver, ein gescheidter Ma, und mer weß doch och nicht, was dahinter steckt.“

Darüber, „was hinter dem Fremden stecke“, zerbrachen sich allerdings die Leute im Dorfe und in der nächsten Umgegend vergebens

Schiller’s Wohnstube in Bauerbach.
Nach der Natur aufgenommen.

die Köpfe. Die Wenigsten beruhigten sich bei der Mittheilung des Verwalters. Dr. Ritter sei ein naher Verwandter der Gutsherrschaft; die Meisten glaubten, er stamme aus Baiern, halte nicht viel auf Religion und habe deshalb sein Vaterland verlassen müssen. Daß er den ganzen Tag und meist bis tief in die Nacht hinein las oder schrieb, kam schnell unter den Neugierigen herum, und deshalb galt er allgemein für einen „gescheidten Ma“. Er hatte, wie er selbst in einem Briefe erklärte, „entsetzlich viel zu arbeiten“, denn er wollte so schnell als möglich sein drittes Stück, „Louise Millerin“, vollenden, wie „Kabale und Liebe“ anfänglich heißen sollte. Gleichwohl sah er auch sehnsüchtig und in aufgeregtester Spannung der zu Neujahr verheißenen Ankunft der Frau von Wolzogen mit deren einziger Tochter entgegen, welche letztere auf das immer sehr empfängliche Herz des Dichters schon in Stuttgart, wo er sie gesehen, tiefen Eindruck gemacht hatte, zumal er glaubte, auch er sei ihr nicht gleichgültig. Charlotte v. Wolzogen zählte damals sechszehn Jahre und war zwar nicht eigentlich schön, aber blühend frisch mit besonders lieblichem Ausdruck in den Zügen und anziehend durch Milde und Anspruchslosigkeit.

Mit Entzücken flog er ihnen entgegen, wie er sich selbst ausdrückt, und als sie bereits am 3. Januar nach Walldorf, zu dem Bruder der Frau v. Wolzogen, Dietrich Marschalk von Ostheim, weiter reiseten, begleitete er sie, kehrte aber denselben Tag zurück, um am nächsten schon zu schreiben, daß er sie bald wieder besuchen werde. „Seit Ihrer Abwesenheit,“ sagte er in dem Briefe, „bin ich mir selbst gestohlen. Es geht uns mit großen lebhaften Entzückungen wie demjenigen, der lange in die Sonne gesehen: sie steht noch vor ihm, wenn er das Auge längst davon weggewandt. Er ist für jede geringeren Strahlen erblindet.“ Seine Beschützerin hatte ihn jedenfalls ersucht, ja recht sorgsam bedacht zu sein, daß man nicht erfahre, wer er sei, namentlich in Meiningen, wo man auf den seltsamen Fremden bereits aufmerksam geworden. Er versprach sofort Alles zu thun, was sie wünsche, um ihr keine Unannehmlichkeiten zu bereiten, und ging nicht nur bei seinen späteren Besuchen in Walldorf nicht durch Meiningen, das zwischen diesem Orte und Bauerbach liegt, sondern, ohne Rücksicht auf Weg und Wetter, gerade durch den Wald über Dreißigacker; er schrieb auch drei Briefe mit falscher Ortsangabe und falschen Nachrichten über sich und seine Pläne. Diese sollte Frau v. Wolzogen in Stuttgart im Nothfalle vorlegen, um seine Verfolger über seinen Aufenthalt irre zu führen.

Mehr aber als die Sorge um seine Sicherheit und um die Beruhigung seiner Beschützerin bewegte sein Herz die Leidenschaft der ersten Liebe zu Charlotte und – der Haß gegen die Adelsvorurtheile, die seiner Verbindung mit dieser entgegenstanden, wie der Louisens mit Ferdinand in seiner „Millerin“, in welchem Stück er seinem Bürgerstolze, dem damals noch in ganzer Starrheit herrschenden Adelsstolze gegenüber, bereits leidenschaftlichen Ausdruck gegeben hatte. Er fand aber gerade in jenen Tagen noch eine Gelegenheit, sein Herz in Bezug darauf, und zwar selbst direct gegen Frau von Wolzogen, zu erleichtern, und zwar in einem Gedicht,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 733. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_733.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)