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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

„Na, gnad Gott deinem Mann!“ brummte der Onkel für sich, „um Ausreden bist du nicht verlegen, wenn sie auch diesmal etwas dumm sind.“

„Ich bliebe auch gern da, Tante,“ begann Hedwig einen Entschuldigungsversuch, „wenn – wenn ich mich nicht so gefreut hätte.“

„Geh’ immer hin,“ sagte die Mutter, lächelnd ihre Stirn streichelnd, „Katharine bringt einen großen Korb zu Euren Kleidern, Ihr könnt Euch auch ankleiden bei Frau Lenz.“

Eugenie legte schweigend ihre Schleifen und Kornblumen in ein Körbchen und trug ihr Kleid hinaus; sie hätte sich geschämt sehen zu lassen, wie nah’ sie dem Weinen war; sie schämte sich auch, als in ihrem Stübchen die Thränen nun doch unaufhaltsam flossen, aber sie konnte nicht anders.

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Die Fenster des Ballsaals im Gasthof zur goldnen Krone waren hell erleuchtet, man konnte die Helle noch von den Fenstern der Oberamtei aus sehen, den fernen Klang der Tanzmusik hören. Unten vernahm sie Niemand, wo hinter geschlossenen Läden das trübe Lichtchen der Krankenstube hervorschimmerte; auch oben brannte noch ein Licht, in dem großen Zimmer, von dem man hinunter sehen konnte nach dem Gasthof; da saß Eugenie, die unmöglich schon zu Bette gehen konnte, obgleich der Vater sich zur Ruhe gelegt hatte, und der Onkel noch ein wenig ausgegangen war, um einige Bekannte in der Krone zu sprechen.

Wir können nicht leugnen, Eugeuie, obwohl ein vernünftiges Mädchen, hatte lange an dem offenen Fenster gelehnt, hatte nach den Lichtern gespäht, nach den flüchtigen Tönen der Musik gelauscht, sogar getrachtet, ob sich unter den Schatten, die dort am Fenster vorbei huschten, nicht eine Gestalt unterscheiden ließe. – Die Tanzmusik selbst ließ ihr junges Blut nicht ganz unbewegt, es war ein Vergnügen, das sie so selten genießen konnte, übermächtiger war doch die Frage: war er da? mit wem wird er reden? wird er mich wohl vermissen? Endlich hatte sie das Fenster geschlossen und sich gesetzt, es war gar stille um sie. Sie dachte, wie ihr so nahe eine Seele vielleicht den letzten Kampf kämpfe, den furchtbar ernsten Schritt thue in die dunkle, unendliche Ewigkeit. Es war eine gute, stille Frau gewesen, die Kranke unten, sie hatte ihrem Manne, ihren Kindlein, ihrer Pflicht gelebt frommen und einfältigen Herzens, – wie seltsam, wie unheimlich fast kam Eugenien der Ballsaal vor, wenn sie ihn im Stillen verglich mit dem Sterbekämmerlein, wo die Kranke, wie sie sie heute Abend gesehen, so still mit gefalteten Händen dalag.

Sie dachte an ihn, den sie gehofft zu sehen, – man sagte, er habe sein Gut verpachtet und gehe auf ein paar Jahre nach England, – dann sah sie ihn vielleicht nie wieder. Sie blätterte in dem Gesangbuch, in dem die Mutter diesen Abend gelesen, eh’ sie ihre Nachtwache antrat, sie schlug auf und traf die Worte:

Der beste Will’ ist Gottes Will’,
In diesem ruht man sanft und still,
Begib dich all’zeit frisch hinein,
Begehre nichts, als nur allein
 Was Gott gefällt.

Wie hatte sie sich denn so vergeblich grämen können? Wenn es Gottes Wille war, daß sie ihn wieder sehen sollte, – weiter wollte sie noch nicht denken, – lag es dann nicht in Gottes Hand sie zusammen zu führen? Es wurde gar stille in ihr: das Leben der jungen Frau unten, all ihr eignes Sein und Leben konnte sie recht zuversichtlich in Gottes Hand legen, und ein Frieden zog durch ihre Seele, ein stilles, herzinniges Glück, wie sie es nie empfunden in Licht und Glanz des Ballsaals. – Draußen tönte die Klingel; sie fuhr auf und eilte hinab; war es die Mutter mit der Todeskunde? Es war der Onkel, der vom Gasthaus zurückkam.

„Es war nichts,“ sagte er etwas verdrießlich, „vernünftige Leute können einander nicht recht sprechen neben solchem Gethu, aber wenn Du nicht schläfrig bist, und Du bringst mir ein Gläschen von Deiner Mutter Stachelbeerwein, so bleibe ich noch bei Dir.“

Eugenie bediente den Onkel und saß gemüthlich neben ihm auf dem Sopha; wer da drüben gewesen, das konnte sie trotz aller Mädchendiplomatie nicht herausbringen, – der alte Herr lebte in vergangnen Zeiten.

„Es war mir seltsam zu Muthe da drüben,“ gestand er dem jungen Mädchen, „es ist noch derselbe Saal.“

„Und hast Du noch oft dort mit der Gertrud getanzt?“ fragte Eugenie etwas schüchtern.

„Nie mehr,“ sagte der Onkel fast feierlich. „Siehst Du,“ hob er wieder an, „heut’ Nacht ist mir’s nun gerade, als sollt’ ich Dir Alles erzählen – es ist kurz beisammen – und wenn Dir Dein verlorner Ball ein Bischen weh gethan hat, so kannst Du sehen, daß man oft auf mehr verzichten muß als auf einen Ball.

„Noch eh’ ich die Gertrud auf den Ball geführt, an die überhaupt daheim bei mir Niemand dachte, hatte mir mein Vater ein feierliches Ehrenwort abgenommen, daß ich mit keinem Mädchen vom Verlieben und Verloben sprechen wolle, bis ich mein eigen Amt und Brod habe, – „das frühe Versprechen taugt den Kuckuk nichts,“ meinte er, „wenn Du aber so weit bist, daß Du auf eignen Füßen stehen kannst,“ hatte er gesagt, „so wähl’ mit Gott, Du sollst einen guten Rath haben, wenn Du willst, aber ich verspreche Dir, daß ich auch Deine freie Wahl ehren will, und die Jungfrau, die Du mir bringst, soll uns als Tochter willkommen sein.“ – Mein Vater hatte oft etwas Feierliches in seiner Redeweise.

„So hatte ich denn mit der Gertrud kein einziges Wort gesprochen, als was Vetter und Base zusammen reden dürfen. Die Aussichten auf Anstellung waren dazumal auch lang, und man dachte gar nicht daran, daß sich ein Student verloben könnte. Auch wir dachten nicht so weit, nur eine rechte Freude hatten wir aneinander, so oft wir uns sahen. Als ich von den Ferien wieder auf die Universität ging, gab sie mir ein Wandersträußchen mit auf den Weg, Immergrün und ein Spätröschen. Als ich in die Osterferien kam, sagte mir die Mutter, Gertrud sei wieder fort als Weißzeugverwalterin in einer großen Fabrik. Das wird auch anders werden, dacht’ ich bei mir und studirte und schaffte, als gält’s Minister zu werden. – Wenn Dir einmal Einer sagt, er habe Dich gern, Mädchen, so paß zuerst auf, ob er daneben tüchtig studirt, oder was sonst sein Geschäft ist auf der Welt; thut er das nicht, so laß ihn laufen; eine Liebe, die Einen faul macht, die ist nichts nutz.

„Als ich im Herbst wieder kam, brachte ich einen Brief mit vom Professor Schemmeler, des Vaters Jugenfreund und Factotum, der strich mich so heraus, daß der Vater mir seine goldene Uhr schenkte; ich war voll lauter froher Hoffnung und konnte es diesmal fast nicht erwarten, bis ich zu dem Häuschen in der Hagenauer Vorstadt hinauskam. Noch ein Jahr, so hatte ich ja absolvirt und doctorirt; wer weiß, ob nicht da schon der Vater ein Bischen weich gab, und das eigene Brod konnte dann in keinem Falle mehr weit sein. Auch fiel mir erst ein, daß ich nur versprochen, mit keinem Mädchen vom Verloben zu reden; wenn ich gegen eine Mutter ein Wörtchen fallen ließe, so war’s am Ende keine Sünde.

„Unter solchen Gedanken kam ich zum Häuslein des Vetters. Alle Wetter, war’s da aufgeputzt, und stand ein neuer Lehnsessel im Zimmer mit grünem Saffian und goldnen Nägeln, in dem saß der Herr Vetter in einem prachtvollen Schlafrock von gestepptem Kupferzitz; kam die Frau Base in einer Spitzenhaube und einem seidenen Kleid; „was ist bei Ihnen los, Frau Base?“ fragte ich, war mir aber nichts Gutes vor. – „Wissen Sie’s denn noch nicht, Herr Vetter? Unsere Gertrud ist ja Braut mit dem Associé des Herrn Fehringer, bei denen sie im Hause war? Nicht wahr, so ein Segen kommt nicht oft über ein armes Mädchen? Und da sehen Sie, wie generös der neue Herr Tochtermann ist, und unser Fritzle kann jetzt studiren, und unsern Gottlobele nehmen sie in’s Geschäft. Heute Abend noch erwarten wir sie.“ – Sie fand gar kein Ende. Ich aber machte, daß ich weiter kam. Ob sie etwas gemerkt hatte, weiß ich nicht; ich glaub’s, sie war ein gescheidtes Weib. Meine Mutter hat’s gemerkt, das sah ich an ihrem Gesicht, als ich wieder heim kam, aber sie that mir die Liebe und sagte nichts.“ Der Onkel war lange still.

„Hast Du sie nicht mehr gesehen?“ fragte Eugenie schüchtern.

„Warum nicht?“ sagte der Onkel in fast rauhem Ton, „hat sie doch Brautvisite gemacht bei meinen Eltern in einem grünseidenen Kleid und einem langen weißen Shawl, der sechszig Gulden gekostet, und einer goldenen Uhr mit Perlen eingefaßt und einer goldenen Erbsenkette!“

„Und wie war der Bräutigam?“

„Wie wenn ihn der Dreher von verlegenem alten Buchsbaumholz gedreht hätte, nicht jung und nicht alt, nicht warm und nicht kalt, der langweiligste Kerl auf Gottes Erdboden.“

(Schluß folgt.)



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