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Friedrich Christoph Schlosser.

Mit freudigem Stolze nennt Deutschland, das sich im Reiche des Wissens so mancher Großgeister rühmen kann, den Altmeister deutscher Geschichtschreibung, Schlosser, als den ersten seiner Historiker, „so weit die deutsche Zunge klingt“, und wohl kann die kühne, aber vollkommen begründete Behauptung aufgestellt werden, daß die reiche deutsche Literatur erst in Schlosser einen Geschichtschreiber gefunden hat, den sie den größten, ruhmgekröntesten aller Völker und Zeiten zur Seite zu stellen vermag, ja, der sie in den meisten Punkten noch überträfe, wäre seine Darstellung, vor allem die Sprache an so manchen Stellen nicht etwas zu locker und ungefeilt. Für diese kleinen Nachtheile entschädigt er aber seine Leser auf das Reichste durch sein tiefes Quellenstudium, vor allem aber durch den Geist der Wahrheit und des strengen sittlichen Ernstes, der alle seine Schriften durchweht.

Der große Haufe unserer Historiker machte und macht die Geschichte nur zu oft zur bereitwilligen Dienstmagd der irdischen Größen, und der Glanz, welcher die Kronen umstrahlt, blendet dergestalt ihre Augen, daß sie in ihrer Blödigkeit das Recht nicht vom Unrecht zu unterscheiden vermögen. „Die Wahrheit setzt sich nur auf den Sarg der Könige!“ Darum wird sie nur zu dienstbeflissen bei den Lebenden verhüllt und das Schlechte bemäntelt, wo es sich in den Kreisen zeigt, auf welche das Volk aus seiner Tiefe hinaufblickt. Ganz anders bei Schlosser: die tiefste Entrüstung gegen alles Schlechte und Gemeine, der männlichste Freimuth, die unerschütterlichste Ueberzeugungstreue, die unbestechlichste Gradheit, das muthigste Herz, das rücksichtslos die Tyrannei beim rechten Namen zu nennen und offen für Wahrheit, Freiheit und Recht in die Schranken zu treten wagt – das sind die großen Vorzüge, die uns aus allen Werken Schlossers entgegenleuchten. Von der reinsten Liebe zur Menschheit erfüllt, ein echter Hoherpriester der Humanität, begeistert sich Schlosser für alle Fortschritte im Leben der Völker, und wie weiß auch die Zeit sein Haar gebleicht hat, das Herz ist ihm bis heute jung geblieben. Das deutsche Volk aber drückt dem trefflichen Greise, in ihm sich selbst ehrend, den schönsten seiner Kränze in das langwallende schneeige Gelock und küßt dankbar die hohe Greisenstirne, hinter welcher die erhabensten Gedanken thronen!

Ueber sein Leben hat Schlosser selbst in den bei Brockhaus erschienenen „Zeitgenossen. Biographien und Charakteristiken. (Neue Reihe. Fünfter Band. Heft XX.)“ eine treffliche Selbstbiographie veröffentlicht, die jedoch nur bis in den Anfang der zwanziger Jahre reicht und mit seiner Reise nach Paris endigt. Am 17. November 1776 in Jever, einem nicht volle zwei Stunden von der Nordsee an der äußersten Nordspitze des Oldenburgischen gelegenen Städtchen, geboren, war Friedrich Christoph Schlosser das jüngste von zwölf Kindern und der zehnte Sohn.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 741. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_741.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)