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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

muß. Kinder liegen überall, kriechen am Boden, schaukeln in Hängematten, saugen an ihren Müttern oder an den eigenen Fingern, werfen Calebassen mit Trinkwasser um, ärgern die Hunde und liegen fortwährend am äußersten Rand des Bodens, wo es aussieht, als ob sie jeden Augenblick hinabstürzen müßten. Selbst in den nur aus Palmenrinde gelegten Fußböden sind überall Löcher, durch die sie mit größter Bequemlichkeit rutschen könnten, und die Leiter oder der Baumpfahl scheint eben so bereit zu ihrem Gebrauch wie für den der Hunde und Erwachsenen. Nichtsdestoweniger kümmert sich kein Mensch um sie, man hört auch nie, daß eines wirklich hinab gefallen sei – oder wenn das wäre, daß es Schaden genommen hätte, und die Mütter gehen zum Wasserholen oder fahren in die Bai hinaus, Austern zu suchen, und überlassen die Würmer ruhig sich selbst und ihrem Schutzgeist, der hier jedenfalls alle Hände voll zu thun hat.

In der Stube selber – die das ganze Haus einnimmt – sieht es wunderlich genug aus. An ein Ameublement ist natürlich nicht zu denken, man müßte denn hie und da einen niedrigen Tisch und ein paar Stücken Holz dazu rechnen, die zu Sitzen dienen. Wände existiren ebenfalls nur in einzelnen Fällen, und dann zwar aus gespaltenen Bambus oder eben solcher Palmenrinde. Die Luft hat überall freien Durchgang, und nur das Dach ist mit festzusammengeschnürten Palmenblättern fest und dicht gedeckt, um nicht auch noch den fluthenden Regen von oben hereinzulassen.

Auf ein paar Querstangen von Bambus, in der Mitte des Hauses, liegen einige Harpunen und Angelruthen, auch wohl ein paar breit geschnitzte Ruder, dazwischen steckt eine macheta – ein langes breites Messer, das zum Lichten der Waldung und verschiedenen anderen häuslichen Bedürfnissen dient, drei oder vier Hängematten schwingen überall im Wege, einige sehr kleine Holzkisten stehen an den Seiten, und die innere Einrichtung, mit einem eisernen Topf und sechs bis acht Calebassen, die auf einem rohen Kochheerd ihren Platz haben, ist fertig. Eine Art Balken darf ich aber nicht vergessen zu erwähnen, der, kunstlos bis zum Aeußersten, zu Jedem dient, was in irgend einer Haushaltung vorkommen kann. Dort liegen Calebassen- und Austerschalen, Bananenreste, getrocknete Fische, Orangenschalen, Nachttöpfe, Wischtücher und v orräthige Früchte in malerischer Unordnung durcheinander, und – aber es geht wahrhaftig nicht – ich kann mich nicht weiter auf diese Schilderung einlassen. So viel darf ich aber sagen, daß mir der Schmutz und Unrath in diesen Wohnungen menschlichen Fleißes zu arg wurde, und ich mich den Nächten mit Kinderschreien, Hundebellen und allen möglichen anderen Aufregungen dadurch entzog, daß ich mir ohne Weiteres ein eigenes Haus kaufte.

Ich brauchte dadurch auch meine Casse nicht besonders anzustrengen, denn für 25 Dollars bekam ich ein solches – allerdings nur Dach und Pfahlwerk mit einer außergewöhnlich kleinen Einfriedigung darum – zu Kauf. Ich will versuchen eine Zeichnung beizulegen, an der ich besonders die Treppe Deiner Aufmerksamkeit empfehle.

Nun war ich mit einem Engländer, Mr. Wilson, dem Chef der Ecuador-Gesellschaft in diesen Breiten, und einem Arzt aus Ecuador hierhergekommen. Um aber unsere Briefe auf die Post zu geben, mußte Mr. Wilson vor sieben Tagen in unserem offenen Boot wieder in See gehen und ist heute noch nicht zurückgekehrt. Indessen – bis er zurückgekehrt und wir uns dann in unsern vier Pfählen selber kochen lassen – „speise“ ich noch bei der Familie, bei der wir zuerst eingekehrt, und da ich das Essen nicht zubereiten sehe, mag es derweile gehen. Aber selbst das Essen ist eine Qual. Ich verlange wahrhaftig keine aussuchte Kost für mich und bin mit Allem zufrieden, was man nur eßbar verzehren kann, aber diese Unreinlichkeit des Volkes widert mich unsagbar an. Das widerliche Aufstoßen der Amerikaner, das so gesund sein soll und so schweinisch ist, haben diese Söhne Ecuadors fast in noch ärgerm Maße; heute Morgen lag neben mir beim Frühstück mit einem Theil bloß, den man nicht einmal nennen kann, ein halbwüchsiger Neger; die Kinder, die ebensowenig einen Begriff von einem Taschentuch wie von einer Eisenbahn haben, richten sich an dem modernen Tisch auf und langen nach den Speisen oder liegen in den Hängematten und – apropos kennen Sie die Anekdote: „Kindern ist mit einer Kleinigkeit eine Freude gemacht“? – Nun, es schadet Nichts – genug und genug des Jammers, und ich will aus mehr als einem Grunde hochaufathmen, wenn ich aus diesen Verhältnissen wieder herauskomme. Jedenfalls bessert es sich, sobald wir unsere eigene Wirthschaft führen.

Uebrigens setzte ich die Eingebornen in Erstaunen, als ich mein eignes kleines Haus bezogen und meinen Schreibtisch hergerichtet hatte, denn dort drüben wäre es nicht möglich gewesen, auch nur eine Zeile zu schreiben. Da die Burschen auf der Gotteswelt nichts zu thun haben, als die Woche vielleicht zweimal Bananen zu holen und eine Stunde des Tages Fische oder Austern zu fangen, war ihnen meine Arbeit etwas Neues, und sie machten Anstalt, sich bei mir stetig einzuquartieren. Daß sie mir dabei überall den Boden bespuckten, verstand sich von selbst, und ich überraschte sie in etwas, als ich sie ohne Weiteres zur Bude hinausjagte. Ich erklärte ihnen dabei, daß ich dies Haus genommen habe, um vollständig allein zu sein, und wenn sie mich besuchen wollten, möchten sie einmal kommen, wenn ich nicht zu Hause wäre. Als ich das mit drei oder vieren gemacht, ließen sie mich in Ruh. Es ist schlimm genug, auf einem rollenden Faß zu sitzen und seine Gedanken zu sammeln, es fehlte noch, daß man sich über die faulen Bengel ärgerte.

Die kleine Stadt hat übrigens den Vortheil, daß in ihr nicht ein einziger Laden, überhaupt gar nichts auf der Welt für Geld oder gute Worte zu haben ist – agua ardiente ausgenommen, die ein Menschenfreund von Temaor von Zeit zu Zeit herüberschafft, und für einen Viertel-Dollar drei Viertel-Flaschen verkauft. Die Leute leben dafür aber auch wirklich wenig besser als die Indianer, und daß sie dem Namen nach Christen sind, macht darin natürlich keinen Unterschied. Die Banane ist das tägliche Brod, das auf die verschiedenste Weise zubereitet wird; dazu essen sie dann und wann etwas Reis, wenn sie ihn haben, Fische, Austern, Muscheln und was sie sonst an Wild mit ihren Schrotflinten erlegen können – und das ist wenig genug. Sie halten sich allerdings Hühner, das scheint aber nur mehr zum Staat zu sein, denn einen wirklichen Nutzen habe ich noch nicht daraus ziehen können. Natürlich lebe ich jetzt so einfach wie sie: Morgens Austern und Reis zusammengekocht, was gar nicht so übel schmeckt, dazu eine gebackene Banane und eine Tasse Chocolade. Der Cacaobaum wächst wild in Ecuador – wild aber natürlich nur sehr vereinzelt, und zur Anpflanzung dieses nützlichen Baumes haben es erst sehr Wenige gebracht. Zuckerrohr, Kaffee, Vanille, die verschiedensten Arten von Gewürzen, kurz Alles, Alles, was die Vegetation nur Kostbares auf der Erde erzeugt, könnten sie hier mit der größten Leichtigkeit bauen, und thun gar nichts auf der Gotteswelt, als daß sie sich, vom Hunger getrieben, ein paar Fische fangen. Es ist das traurige Bild einer heruntergekommenen Race, die, wenn es auch hier nicht den Anschein hat, als ob sie ausstirbt, doch jedenfalls dereinst einer anderen weichen muß, denn ebenso viel Recht wie diese Menschen hat auch der Indianer der Wälder, das Land für seine Jagdgründe zu beanspruchen, und welcher civilisirte Staat nimmt noch auf einen Indianer Rücksicht?

Ich sagte vorher, daß die Häuser hier keine Gärten haben, darin finden jedoch Ausnahmen statt, d. h. hier und da ist auf Pfählen ein altes, unbrauchbar gewordenes Canoe aufgestellt und mit Erde gefüllt worden, in dem einige Zwiebeln und dann und wann auch ein paar Bäume wachsen. Weder Zwiebeln noch Blumen sollen nämlich, einer Unzahl kleiner Ameisen wegen, hier in der Erde gezogen werden können. Hängende Gärten der Semiramis – spreche Einer von den sieben Wundern der Welt, der Ecuador noch nicht gesehen hat!

Was den Gesundheitszustand in Lorenzo betrifft, so kann ich darüber noch nicht urtheilen. Wer aber gestern hierher gekommen wäre, würde fest überzeugt gewesen sein, daß dieses kleine Nest der ungesundeste Ort der Erde wäre. In allen Häusern lagen, sonderbarer Weise, nur die Männer krank am Fieber nieder, und mit verbundenen Köpfen und geschlossenen Augen schienen sie ihrer Auflösung geduldig entgegen zu harren. Heute sind sie Alle wieder gesund und frisch wie die Fische, und noch gestern Abend sah ich drei der am schwersten Kranken mit fabelhafter Schnelle über die Bai und in das Gewirr von Lagunen hineinrudern. Das Räthsel ist leicht gelöst, denn wir hatten hier Revolution.

Ich will damit nicht gesagt haben, daß irgend Einer der hier wohnenden Leute auch nur die geringste selbstständige Meinung von Politik hätte, denn Zeitungen existiren nicht, politische Nachrichten dringen nur dann und wann, und dann selbst in ihrer rohsten Form und entstellt hierher; nicht einmal eine Postverbindung besteht, ebenso wenig wie eine Kirche oder Schule, oder polizeiliche Aufsicht, und daß die Leute ohne alles das bestehen können,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 746. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_746.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)