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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

ist eben eins der unbegriffenen Räthsel der Natur. In Ecuador hatten sich aber in den größeren Städten zwei Parteien gebildet, und während General Franco in Guayaquil herrschte und drohte Quito zu überfallen und zu nehmen, regierte in Quito selber, der Hauptstadt des Landes, ein „provisorisches Directorium“, dessen militärische Spitze, General Flores, dieselben Absichten gegen Guayaquil hatte.

Esmeraldas an der Nordküste gehört nun vor der Hand politisch zu Guayaquil, der Pailon dagegen zu Quito, und General Flores, hieß es, werde von Tamaco aus 200 Mann nach Pailon schicken, um, mit den hiesigen Bürgern vereinigt, Esmeraldas mit Sturm zu nehmen und der provisorischen Regierung zu unterwerfen.

Mir gerade gegenüber, in einem auf Pfählen errichteten Haus ohne Wände, Thüren und Dach, lagerte und exercirte die Truppe von sieben Mann und einem Officier, warb für die gute Sache und wartete auf die Unterstützung von Tamaco. Die Leute hier hatten aber nicht die geringste Lust, nach Esmeraldas in die Schlacht zu ziehen, und als gütliches Zureden nichts half, wurden sie ernstlich krank. Wie die Fliegen lagen sie umher, und erst als die sieben Soldaten sämmtliche Canoes des Ortes zusammenholten und unter ihrem Fort auf’s Trockne zogen, wurden sie für ihre Sicherheit besorgt. Einzelne flüchteten in den Wald, den Abmarsch der kriegerischen Schaar zu erwarten, Andere griffen zu einem noch verzweifeltern Mittel und stahlen ihre Canoes unter den Augen der Schildwacht selbst fort, und als gestern Abend Ordre kam, daß die Verstärkung vom Pailon zur Hauptmacht stoßen solle, waren nur noch fünf Mann, den Officier eingerechnet, übrig, und eben genug, eine zum Proviant bestimmte Kuh mit fortzuführen. Die Berichte, die wir dazu von der Mündung erhielten, wo ein paar Häuser, San Pedro genannt, liegen, lauteten ebenfalls nicht ermuthigend, denn statt der erwarteten 200 Mann waren nur 12 Mann eingetroffen. Was sie jetzt anfangen, ist unbestimmt; jedenfalls werden sie vor allen Dingen die Kuh verzehren und dann wieder zu ihrem friedlichen Nichtsthun in den Schooß der Ihren zurückkehren. Jetzt treffen auch die Buschflüchtigen, ohne ein Zeichen von Fieber, langsam wieder ein, und die Zahl der Kranken reducirt sich auf ein paar Kinder, die frostschüttelnd unter der Tropensonne liegen.

Das kalte Fieber herrscht allerdings hier, aber nicht so arg, wie in den Missisippisümpfen, und scheint auch hier lange nicht so bösartig. Es soll sehr leicht zu heilen sein und keine bösen Folgen zurücklassen, wie dort die sogenannten „Fieberkuchen“ nur zu deutlich zeigen.

Eben, während ich schreibe, kommt ein besorgter Familienvater und fragt bei mir an – er hatte gerade gehört, daß sämmtliche Soldaten hierher kommen würden – ob er mir denn, so lange sie hier wären, nur seine Familie in das Haus bringen dürfte, eine Frau, zwei Töchter und drei schmutzige Jungen. Bei dem Fremden fühlen sie sich sicher, und in dem Fall könnte ich hier eine schöne Colonie von hülfsbedürftigen Frauenzimmern herbekommen. Die Frauen befinden sich in der That in der furchtbarsten Aufregung, denn eine alte Negerin, die eben in einem Canoe hier eingetroffen, muß schreckliche Nachrichten gebracht haben. Sie verschwand wieder wie sie kam, unter einem Regenschirm mitten im Canoe sitzend, das zwei gelbbraune Jungen ruderten.

Uebrigens spiele ich auch hier den Arzt und curire kaltes Fieber und Kolik wahrhaft meisterhaft mit Brechweinstein, Chinin und Opium, warte aber in der That nur auf die versprochene trockene Jahreszeit, um meine Büchse zu schultern, besonders wenn die Soldaten wirklich wieder hierher kommen, die den ganzen Tag nach einem Stein, nicht weit von meinem Haus, wie nach der Scheibe schossen. Das konnte mir unmöglich eine Beruhigung sein, daß sie den Platz nie fanden, wo die Kugel eingeschlagen.

So ist San Lorenzo, und von hier oder doch der Nachbarschaft aus soll sich die englische Ecuador-Niederlassung entwickeln und ausbreiten. Es kann aber nicht im Interesse der Gesellschaft liegen, diesen Hafenplatz, der stets von einer tropischen Niederung umgeben bleibt, zu einem Ziel für deutsche Auswanderung zu machen – und das ist auch nicht der Fall. Hinter dem Pailon dehnt sich das Land nach den Cordilleren empor und alle Berichte darüber lauten gleich, daß jene Höhen dem europäischen Arbeiter vollkommen zusagen werden. Ist doch um Quito herum eins der gesündesten Klimate der Welt.

Doch das habe ich Alles noch nicht gesehen, noch nicht selbst durchwandert, und will und werde nie etwas berichten, wofür ich nicht auch mit gutem Gewissen einstehen kann. Möglich ist es dann auch, daß ich einige gute Jagden mache, denn man erzählt hier viel von einer kleinen Art wilder Schweine, wie von Truthühnern und Auerhühnern – den Beschreibungen nach. Im Inneren soll es dazu Guanacos und Hirsche geben, und die Phantasie schmückt den Wald auch mit dem gefleckten amerikanischen Tiger aus. Bis jetzt habe ich noch nichts gesehen, als diese sogenannten Truthühner, die aber viel kleiner als die unsrigen und von weitem schwarz sind, auch einen langen Schwanz haben. Sie sind also gerade so wie die Truthühner, nur ganz anders. Wahrscheinlich geht es auch mit dem Uebrigen ebenso; rostet mir aber meine Flinte nicht ganz ein, und in diesen ewigen Regengüssen sind dazu alle Aussichten vorhanden, so denk’ ich dem ecuadorischen Urwald doch einigen Tribut abzuzwacken und dann erzähle ich Dir vielleicht davon.

Jetzt bin ich einmal wieder draußen, mitten in der weiten wilden Welt – um mich rauschen die Manglaren und Palmen, und schütteln ihre zarten Zweige, über mir schaut das Südenkreuz still und geheimnißvoll herab – wenn der Himmel nicht eben so voll Wolken hängt, daß man weder Kreuz noch Halbmond sehen kann – und eine neue lange Wanderschaft steht mir bevor. Aber das Herz gehört deshalb doch der Heimath, das Herz zieht es doch dorthin zurück, und wenn ich hier Abends an meinem wunderlichen Tisch sitze, die Bai vor mir, das raschelnde Palmendach über mir, die fremden wunderlichen Töne des Waldes um mich her, und mir von meiner alten, treuen Cither vorplaudern lasse, fühle ich doch nur immer mehr, daß ich – ein Deutscher bin – eine Sache, wegen der ich manchmal nicht umhin kann, mein tiefes inniges Bedauern gegen mich selber auszusprechen. Aber à la comida – ein kleiner brauner Mulattenjunge ruft mich eben zum Essen: Reis und Austern und nachher eine Tasse Kaffee mit einer Esmeralda-Cigarre. Die Welt ist doch schön!“




Bilder aus dem Leben deutscher Dichter.
Nr. 4. Ein Dichter-Asyl.
Mit Benutzung neuer Mittheilungen des Herrn Archidiaconus A. W. Müller in Meiningen, von A. Diezmann.
(Schluß.)

Nachdem Frau von Wolzogen am 24. Januar 1783 über Bamberg nach Stuttgart zurückgereiset war, begann für Schiller wiederum eine öde, trübe Zeit, zumal nachdem am 1. Februar der Winter von Neuem mit aller Macht einzog. Er zählte sehnsüchtig die Tage, die vergehen mußten, ehe er Charlotte wiedersehen konnte. „Ich wünsche,“ schrieb er, „daß die Zeit alle ihre Geschwindigkeit bis auf den Mai zusetzte, damit sie hernach desto ermatteter ginge.“

Den armen Dichter drückte freilich gar Vieles: zuerst seine Liebe zu Charlotte, obwohl er damals noch nicht wußte, daß das Mädchen bereits leidenschaftlich einen Andern liebte; dann erfuhr er, daß seine Mutter ernstlich erkrankt sei, und er mußte fürchten, daß die unmöglich ausbleibende Entdeckung von den drängenden Schulden, die er in Stuttgart zurückgelassen, auf ihren Zustand nachtheilig einwirke, und endlich befand er sich auch in Bauerbach in den drückendsten Geldverlegenheiten, so daß er sich Vieles versagen mußte, selbst den so geliebten Schnupftabak, und sich nur zeitweilig durch kleine Anleihen bei seinen Bekannten hinhalten konnte. Kein Wunder also, daß er an Reinwald schrieb: „Wie sehnlich erwarte ich die Zeit, da die Schwalben an unsern Himmel und die Empfindungen in unsere Brust zurückkommen! Einsamkeit, Mißvergnügen über mein Schicksal, fehlgeschlagene Hoffnungen, vielleicht auch die veränderte Lebensart haben den Klang meines Gemüths verfälscht und das sonst reine Instrument meiner Empfindung verstimmt … Mühsam und wirklich oft wider allen Dank muß ich eine dichterische Stimmung hervorarbeiten, die mich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 747. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_747.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)