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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

„Nun mach’ Er vorwärts … zeig Er den Weg … wo ist der Major?“

Franzl machte Rechtsumkehrt und marschirte mit klirrenden Sporen vorauf, der Oberst hinter ihm drein. Als sie aus dem Portale der Abtei traten, blieb Trenck einen Augenblick stehen; er sah sich nach der Leibwache von Seressanern um, die er hier zu finden erwartete, und die beim besten Willen in den wenigen Augenblicken sich nicht hatten auf den Platz zaubern können; fluchend und wetternd stürmte er deshalb zurück in die Kammer des Kloster-Pförtners, die jetzt einem kleinen Haufen Panduren zur Wachtstube diente, schreckte die hier auf ihrem Stroh sich streckende Mannschaft aus dem Morgenschlaf und befahl, daß ein halb Dutzend der Leute ihm folgen solle. Die Seressaner sollten ihm nachgeschickt werden.

„Vorwärts, Husar!“ befahl er dann und eilte auf dem Wege zum Flecken, der zugleich zur Donau führte, voran; Franzl konnte kaum Schritt mit ihm halten.


6.

Es war ein feuchter, kühler Morgen; ein leiser Nebel füllte die Luft, an allen Aesten und den hervorbrechenden Knospen jungen Grüns hingen dicke Tropfen; desto großartiger stiegen die hohen Donauleithen oder Bergwände des jenseitigen Ufers aus den Dunstwolken empor; dichte Nebelschichten, die über dem Wasserspiegel schwebten, verhüllten ihren Fuß, während von den frei darüber weg ragenden Kämmen die Burgruinen von Riedl und Ranariedl düster und grau in das enge Flußthal blickten.

Nach wenigen Minuten war der Eingang des Fleckens erreicht; mit einer Wendung nach links führte der Weg den ersten Häusern zu; gerade vor den Kommenden aber lag das Ufer des Flusses.

Franzl ging gerade aus, dem Wasser zu; als er das ziemlich abschüssige Gestade niedergestiegen war, wandte er sich rechts und schritt auf dem nassen Kiesgrund des Ufers, dem Leinpfad, unter überhängenden Weidengebüschen stromabwärts.

Das Wasser schoß mit reißender Schnelligkeit und lautem Rauschen links neben ihnen dahin; an jedem Gegenstand, der ihm Widerstand bot, jeder sich in das Bette erstreckenden Baumwurzel, jeder zu Tage tretenden Felskante warf es hohe Schaumwellen auf.

Der Weg, auf welchem Trenck, von Franzl geführt und von seinen Panduren gefolgt, dahinstürmte, diente, wie gesagt, als Leinpfad; er bot deshalb Raum genug für vier der Husaren Frohn’s, die bei einer Biegung des Ufers plötzlich sichtbar wurden. Sie waren aufgesessen und hielten die leeren Pferde der Andern am Zügel.

Einen Steinwurf weiter hinter ihnen erblickte man den Nachen, in welchem Frohn den Obersten erwartete. Es war ein ziemlich geräumiges Fahrzeug, das Eigenthum des Schiffers von Engelhardszell, der darin die Ueberfahrt von einem Ufer zum andern zu bewerkstelligen pflegte, wenn er eine größere Anzahl von Leuten, als sein kleiner Kahn fassen konnte, überzusetzen hatte. Zwei der Husaren saßen seitwärts auf der Bank; hinten am Steuer der Schiffer und sein Gehülfe; Frohn selbst stand in der Mitte, mit untergeschlagenen Armen, der Rückkehr Franzl’s harrend.

„Sie kommen,“ sagte er, sich zu seinen beiden Husaren wendend; „haltet Eure Waffen bereit und Eure Augen offen!“

Trenck hatte bald die kleine Gruppe der wartenden Husaren erreicht; als er an ihnen vorübergeschritten, wandte er sich an die ihm folgenden Leute zurück: „Vier von Euch bleiben hier,“ sagte er halblaut, „und schneiden die Reiter vom Schiff ab. Die andern bleiben mir an der Seite!“ Damit stürmte er weiter und hatte bald die Stelle erreicht, wo der Nachen mit einer Kette am Ufer befestigt lag; diese Kette war lose um eine Baumwurzel geschlungen.

„Ich freue mich, den Herrn Obersten so prompt zu sehen,“ rief Frohn dem kommenden entgegen, zum militärischen Gruße die Hand an die Mütze legend.

„So, freut Er sich?“ rief Trenck, indem er sofort in den Kahn sprang und seinen Säbel zog. „Es freut mich auch, daß ich Ihn treffe und fassen kann. Oberstwachtmeister von Frohn, Er ist mein Arrestant, ich verhafte Ihn als einen Giftmischer und Verbrecher!“

„Was soll das heißen?“ sagte Frohn ruhig, ein paar Schritte zurückweichend, während der Kahn plötzlich in heftiges Schwanken gerieth, weil hinter Trenck jetzt zwei Panduren ihrem Oberst nach hinein sprangen. „Was soll das heißen?“ rief Frohn, „ich habe Ihr Ehrenwort, Oberst von der Trenck, daß Sie mit mir die Reise nach Wien machen.“

„Mit Ihm – ja wohl,“ knirschte Trenck, „aber Er selber wird eben die Reise nicht machen … ergeb’ Er sich, den Degen her, oder ich haue Ihn über den Schädel.“

In diesem Augenblick erklirrte hinter Trenck und seinen beiden Panduren, die ebenfalls ihre Säbel gezogen hatten, ein lautes Kettengerassel; als Trenck sich umsah, erblickte er Franzl, den Wachtmeister, der eben die Schiffskette gelöst und in den Kahn geworfen hatte, und jetzt sich selber hineinschwang. Zugleich fing das kleine Fahrzeug an sich fortzubewegen, und dann schoß es mit unglaublicher Schnelligkeit davon, der Mitte des Strombetts zu.

„Was soll das bedeuten?“ schrie Trenck, „der Kahn bleibt am Ufer … an’s Ufer zurück, oder ich werde den Hallunken von Schiffer niederhauen!“

„Wenn der Schiffer sich rührt,“ antwortete Frohn, der dem zu Tode erschrockenen, hinten am Steuerruder sitzenden Fährmann zunächst stand und ihn deckte, „so werfe ich ihn in’s Wasser … gehen Sie nicht zu unnützen Gewaltthaten über, Herr Oberst, sondern hören Sie mich an.“

„Ergeb Er sich, oder …“

„Hören Sie nur drei Worte – ich weiß ja, daß ich in des Obersten Gewalt bin, und es wäre sehr thöricht von mir, ließe ich’s darauf ankommen, daß er von den Waffen Gebrauch macht; obwohl ich zwei Husaren bei mir habe und er auch nur zwei seiner Leute. Ich stehe meinen Mann, aber ich bin einem Obersten von der Trenck, der einem Ochsen mit einem Hieb den Nacken durchhaut, nicht gewachsen. Ich muß zu andern Mitteln greifen. Sie wollen also Ihr Ehrenwort brechen und …“

„Der Trenck hat nie sein Ehrenwort gebrochen,“ schrie der Oberst, – „aber Er ist ein Mörder, den ich verhafte und hier vor ein Kriegsgericht stellen werde. Dann mag Er sehen, wer mit Ihm nach Wien reist! Her mit dem Degen …“

„Nur noch einen Augenblick,“ sagte Frohn, während der Nachen immer rascher der Mitte des Strombetts zugerissen wurde; „ich will mich einem Kriegsgericht und jeder Untersuchung stellen, die die Kaiserin über mich verhängen wird – aber nur wenn’s die Kaiserin befiehlt – nur in Wien, und der Oberst von der Trenck wird mich dahin begleiten; er kann da seine Klage vorbringen.“

„Werft Euch auf die Husaren und haltet mir den Rücken frei,“ rief Trenck statt aller Antwort seinen Panduren zu – dann machte er einen Schritt vorwärts, um auf Frohn einzudringen.

„Halt!“ schrie dieser jetzt mit einer donnernden Stimme – „wir können die Sache ohne Blutvergießen abmachen!“

Zugleich zog er ein großes Reiterpistol unter seinem Mantel hervor, spannte den Hahn, senkte die Mündung vor sich hin auf den Boden und schoß es ab.

„Was soll das?“ rief Trenck aus.

Frohn deutete schweigend auf den Boden vor seinen Füßen. Die Kugel war durch die Eichenbohle geschlagen, und durch das Loch, welches sie hineingerissen hatte, quoll eine Wasserwelle wie ein kleiner Springbrunnen in die Höhe.

„Was soll das heißen?“ rief Trenck noch einmal.

„Das soll heißen, Herr Oberst von der Trenck, daß der Nachen in wenig Augenblicken zu sinken beginnen wird, und daß, wenn wir nicht vorher die Minuten, welche uns übrig geblieben sind, benutzen, um Frieden zu schließen, wir beide ertrinken.“

„Zum Ufer zurück, zum Ufer zurück, nehmt die Ruder, Ihr Dummköpfe!“ schrie Trenck seinen Panduren zu.

„Ihre Befehle werden nicht ausgeführt werden, Herr Oberst,“ antwortete Frohn, sein Pistol einsteckend und jetzt ebenfalls seinen Säbel ziehend. „Ruder sind im Kahn gar nicht vorhanden – dafür habe ich gesorgt. Der Kahn geht ganz sicherlich unter, wenn Sie sich länger meinem Willen widersetzen. Ich erlaube Ihren Leuten in’s Wasser zu springen, wenn sie versuchen wollen, ob sie sich durch Schwimmen retten können, obwohl ich nicht gehört habe, daß an dieser Stelle des Flußlaufs Jemand durch die reißende Donau geschwommen sei. Meine Husaren mögen sich dann auch so zu retten suchen, und der Schiffer mit seinen Buben auch. Wir Beide aber, mein Herr Oberst, werden ertrinken!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 754. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_754.jpg&oldid=- (Version vom 30.1.2020)