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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

vor ihren improvisirten Pallisaden-Fortificationen, als noch kein Mann, kein Weib, kein Kind dieselben verlassen hatte und ihr gesammter Heerdenreichthum friedlich in den Umgebungen weidete. Der die operirende Division befehligende General Montauban (derselbe, welcher augenblicklich die französischen Truppen in China commandirt) schickte einen Parlamentair und Dolmetscher vor und ließ die Kabylen auffordern, sich zu ergeben. Obgleich ihre Lage ihnen keinerlei Hoffnungen und Illusionen einflößen konnte, antworteten sie nichtsdestoweniger durch ganz gegen ihre Gewohnheit wohlgezielte Flintenschüsse, und natürlich, der Kampf begann.

Bevor ich über dessen Verlauf, Resultat und den dabei stattgehabten, für meine Mittheilung wichtigsten Vorfall weiter berichte, möge der Leser mich auf einen Rückweg begleiten, der uns zu einer ähnlichen Expedition, welche 18 Monate früher stattfand, führt. – Dieselbe hatte denselben Zweck und bewegte sich so ziemlich auf demselben Terrain, nur mit dem Unterschiede, daß in derselben die französischen Truppen mit weniger Glück operirt hatten und nicht so weit vorgedrungen waren, als dies in der letzteren der Fall war.

Ein junger Militairarzt, der Doctor Octave Martel, befand sich mit seinem Regiment, einem der berittenen afrikanischen Jäger, in dieser Colonne. Erst seit drei Monaten aus Grenoble zur afrikanischen Armee versetzt, hatte er sich am Tage vor seiner Abreise von dort mit einer jungen Dame verheirathet, welche ihm später nachfolgte und in Algier an’s Land stieg, als der Doctor Martel sich vorbereitete, sein Regiment in die Expedition gegen die Kabylie zu begleiten. Reich, jung, schön, talentvoll und liebenswürdig, war es kein Wunder, daß ihre Ankunft einige Sensation erregte, um so mehr als bald sich das Gerücht verbreitete und Bestätigung fand, daß die junge Frau nicht von dem Entschluß lassen wolle, ihren Gemahl zu begleiten. Entgegen allen Vorstellungen und ungeachtet selbst der wohlwollenden und väterlichen Abmahnungen des alten, braven General-Gouverneurs beharrte Madame Martel fest in ihrem Entschlusse und erklärte, daß sie es für ihre Pflicht halte, ihrem Manne gerade da nahe zu sein, wo Gefahr für ihn vorhanden wäre. Es half Alles nichts, man mußte sich fügen, und – die junge Dame, in Amazonencostüm auf einem ausgesuchten Maulthier reitend, befand sich beim Abmarsch der Colonne an der Seite ihres Gemahls, inmitten seines Regiments. – Ich erwähne diese Expedition nicht, um eine Schilderung derselben zu entwerfen, sondern begnüge mich, aus derselben hervorzuheben, was speciell auf die Heldin Bezug hat.

Man hatte Algier seit 14 Tagen verlassen, das Wetter war herrlich; der Frühling des Jahres 1855 entfaltete sich in selten erlebter Schöne. Das Regiment des Doctor Martel lagerte in einem Thalausgange des Djurdjura, bestimmt am folgenden Tage eine Recognoscirung gegen die Meeresküste hin vorzunehmen, um die Vereinigung zweier mächtiger Stämme zu verhüten und die Verbindung zwischen der Colonne und der Stadt Djidjelli offen zu erhalten. Die angenehme Frische des Abends, einem heißen Tage folgend, hatte die junge Frau des Arztes veranlaßt, in Begleitung der Tochter der Marketenderin, eines Mädchens von 16 Jahren, welche bei ihr gewissermaßen als Kammermädchen fungirte, einen Spaziergang in den Umgebungen des Lagers zu machen. Der Doctor, durch seine Dienstpflicht im Lager zurückgehalten, hatte weder von der Absicht seiner Frau, noch von deren Ausführung Kenntniß gehabt; er würde solche entweder gänzlich verhindert oder nur unter sicherer Bedeckung zugelassen haben. So lange die beiden Spaziergängerinnen sich im Innern der Vorpostenkette hielten, war allerdings nichts für sie zu besorgen; allein einmal diese passirt, war ihre Sicherheit mit jedem Schritt mehr gefährdet. – Die beiden Frauen kehrten nicht mehr zurück! – Ein die äußersten Posten commandirender Unterofficier rapportirte, daß dieselben trotz seiner Warnung, ja selbst seines Verbots, unter Lachen und Scherzen die Postenkette überschreitend, Blumen suchend, von Busch zu Busch gesprungen seien, daß er sie bald gesehen, bald aus den Augen verloren und endlich geglaubt habe, sie seien, von ihm ungesehen, auf einem andern Wege in’s Lager zurückgekehrt, was allerdings bei dem mit Hügeln und hohem Buschwerk durchschnittenen Terrain leicht hätte der Fall sein können.

Sobald der unglückliche Martel Kenntniß von dem Verschwinden seiner jungen Frau und durch ihn der das Lager befehligende Oberst Nachricht davon hatte, wurden sofort starke Patrouillen nach allen Richtungen hin ausgesandt, um die Spuren der beiden Vermißten zu entdecken. Diese Nachforschungen, welche bis zum folgenden Morgen und noch während des Marsches unausgesetzt betrieben wurden, hatten als alleiniges Ergebniß das Auffinden eines buntseidenen Tuches zur Folge, welches als der Tochter der Marketenderin angehörend erkannt wurde und an einem Zwergpalmenstrauch hängend, in einer Entfernung von etwa 5000 Schritten nordwestlich vom Lager entdeckt wurde. Diese Richtung führte zu dem Theile der Kabylie, welcher vor dem Gelingen der Spätherbst-Expedition 1856 nie von den französischen Truppen betreten war, und namentlich zu den Wohnungen der Beni-Laleg, berüchtigt durch ihre Grausamkeit und Raubsucht.

Die angestrengtesten Nachforschungen führten zu keinem Resultate; es blieben nur zwei Annahmen möglich: entweder die beiden Frauen waren in die Hände der Kabylen gefallen, oder sie waren die Beute von Raubthieren geworden. Dieser letztere Fall hatte jedoch weniger Wahrscheinlichkeit für sich, und fast Jedermann stimmte für die erste, allerdings eben so traurige, fast noch schrecklichere Voraussetzung.

In den 18 Monaten, welche dieser traurigen Begebenheit folgten, hatte der unsägliche Schmerz über den Verlust seines fast angebeteten jungen Weibes den unglücklichen Martel fast unkenntlich gemacht. Doch hielt er immer noch an der Hoffnung fest, und deshalb hatte er sich zu einem Regiment versetzen lassen, welches die neue Expedition mitzumachen bestimmt war. Man sah ihn fast stets bei der Avantgarde und, sobald es zum Gefecht kam, den Degen in der Hand, mehr als Officier denn als Arzt fungirend. Einen Kabylen Gnade vor der Spitze seines Degens finden zu sehen, wäre unerhört gewesen; einen tödtlichen Haß, eine wilde Rachbegier drückten seine Züge aus, sobald er der weißen Burnusse ansichtig ward.

Doch kehren wir zu dem verlassenen Standpunkt vor dem Dorfe zurück, dessen Bewohner unsern Parlamentair mit Flintenkugeln begrüßt hatten. Dieses Dorf gehörte den Beni-Laleg, deren Hauptort es war. Der Doctor Martel, durch die Generalstabs-Officiere in Kenntniß gesetzt, hatte sich der hierher vorgehenden Division angeschlossen und zitterte vor ängstlicher Erwartung, als ihm die Gewißheit wurde, daß das Dorf, der einzige noch übrige Punkt, in dem sich seine letzten Hoffnungen concentrirten, von seinen Bewohnern nicht verlassen sei.

Nach dem freundlichen Empfange, der unsern Abgesandten zu Theil geworden, befahl der General Montauban, unverzüglich das Dorf mit dem Bajonnet zu nehmen. Nach einer tapfern aber kurzen Gegenwehr, auf allen Punkten zugleich angegriffen, war es um die Kabylen gethan; doch an Ergeben war nicht zu denken: sie wehrten sich, so lange sie konnten, und ließen sich dann Einer nach dem Andern niederstechen, -hauen oder -schießen.

Doctor Martel war einer der Ersten, die in das Innere des Pallisadenzaunes eindrangen. Mancher Kabyle hatte schon unter seinen durch furchtbare Rachsucht geführten Streichen geblutet, immer vorwärts drang er, unaufhaltsam, nicht auf drei Wunden achtend (ich glaube sogar, sie gänzlich ignorirend), die ihm das feindliche Blei zugefügt; überall hin schweifte sein durchdringendes Auge, nach allen Richtungen hin brach ihm die rauchende, blutgetränkte Klinge seines Degens Bahn. – Da plötzlich macht ein markdurchdringender Schrei alle Augen nach einem Punkte sich drehen. – Nie vorher, nie nachher hörte ich einen solchen Schrei, nie mehr, glaube ich, werde ich ihn hören; es war fast nichts Menschliches in diesem Tone. Meine Augen, denen der übrigen Zeugen dieses Drama’s folgend, erblickten auf dem flachen Dache eines der höchsten Häuser des Dorfes ein Weib, kaum halb bekleidet, ein noch nicht jähriges in Lumpen gehülltes Kind, krampfhaft an die Brust drückend, aufrecht stehend. Um ihren Hals war ein Strick gewunden, dessen Ende ein hinter ihr stehender, riesiger Kabyle mit der linken Hand hielt, während er, mit der rechten den breiten Yatagan schwingend, sich anschickte, dem Doppelleben von Mutter und Kind ein Ende zu machen. – Martel, obigen Schrei ausstoßend, hatte sein unglückliches Weib erkannt; und dieser Schrei rettete sie. Mehr denn zwanzig Büchsen, alle auf die Brust oder den Kopf des Henkers gerichtet, krachten fast zugleich; wie eine schwere, unförmliche Masse stürzte er zu Boden, im Augenblicke selbst, wo er den verhängnißvollen Streich führte, der glücklicherweise nur leicht die Schulter der jungen Frau verletzte. Doch auch sie, mehr in Folge der erlittenen Angst und Pein als der erhaltenen Wunde, sank zusammen. Schneller als

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 761. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_761.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)