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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

glücklicher. Mein Beschützer, wenn ich ihn so nennen darf, fiel etwa 10 Minuten vor der Einnahme des Dorfes durch unsere Truppen; eine Kugel hatte ihm den Kopf zerschmettert. Man brachte ihn in unser Gemach, um ihn zu verbinden, doch es war keine Hülfe mehr. Sein Bruder, derselbe, welcher im Begriffe war mich zu tödten, hatte mich von Anfang an stets gehaßt und sich geärgert über die humane Behandlung, die mir von Seiten seines älteren Bruders zu Theil wurde. Er benutzte dessen Tod, um seinen Haß an mir zu kühlen, und – sich selbst ohne Ausweg zur Rettung sehend, wollte er mich Angesichts unserer Soldaten morden, um dann wahrscheinlich sich selbst zu tödten.

„Von Léonie konnte ich trotz aller Bitten nie etwas erfahren; die beiden Mädchen wußten nichts über ihr Schicksal. Ich habe jedoch allen Grund zu glauben, daß man sie nach Tunis geschafft und dort als Sclavin verkauft hat.“

Als Madame Martel mir diese Mittheilungen mündlich machte, war sie vollkommen von den erlittenen Drangsalen hergestellt und prangte in jugendlicher Frische und Schönheit. Ihr Kind, ein munterer Junge, nach ihrer Rückkehr in Algier getauft, hat den Namen Dieudonné (von Gott gegeben) erhalten, zum Gedächtniß an die schreckliche Episode aus dem Leben seiner Mutter, während welcher das seinige begann.

Ich schließe diese Skizze durch die Mittheilung der Uebersetzung eines Briefes, welchen ich vom Doctor Martel vor Kurzem erhielt, in Folge einer Anfrage meinerseits, ob er nichts gegen die Veröffentlichung dieses Ereignisses in der Gartenlaube einzuwenden habe.

„Mein alter Freund und Camerad!
Nicht nur nichts einzuwenden habe ich gegen die Publicirung der Abenteuer meiner Frau unter den Kabylen, sondern es soll mich sogar freuen, dieselben durch den Druck auch in weiteren Kreisen bekannt werden zu sehen. Auch theile ich Ihnen zur Vervollständigung mit, daß es mir – auf den Wunsch meiner Frau – nach langen Bemühungen endlich gelungen ist, den Aufenthalt der beiden Töchter des ehemaligen Häuptlings der Beni-Laleg, Cherif El-Eben ben-Djozra, zu entdecken. Gänzlich ihrer Angehörigen beraubt bei der Erstürmung ihres Dorfes, lebten die armen Kinder in den traurigsten Verhältnissen in Milianah. Sie hatten sich freundlich und voller Liebe gegen meine Frau gezeigt, und diese sie sehr lieb gewonnen. Sie sind beide jetzt in meinem Hause, und ich hege viele Hoffnungen in Betreff ihrer für die Zukunft …
Meine Frau grüßt Sie herzlich. Von der unglücklichen Tochter der Marketenderin keine Spur zu finden; trotz aller Bemühungen, welche die Behörden, selbst auf diplomatischem Wege mit Tunis, sich gegeben haben. Mein Dieudonné gedeiht herrlich …
Leben Sie wohl und vergessen Sie nicht Ihren alten Kriegsgefährten
Octave Martel.“

Es ist dieser Fall, glaube ich, der einzige, welchen die Annalen der französischen Occupation Algeriens aufzuweisen haben, in welchem die Kabylen auf menschliche Weise gegen einen ihrer Feinde (denn als solche betrachten sie das schöne Geschlecht so gut wie das andere) verfuhren. Obgleich jetzt vollständig unterworfen, ist ihnen doch nie zu trauen; und wer weiß, ob nicht früher oder später in der Kabylie Algeriens die Schreckensscenen von Cawnpore oder Lucknow sich wiederholen.

Theodor Küster.




Eine Bitte an den Weihnachtsmann.

Unter den mancherlei Gaben, welche der Weihnachtsmann bringt, nehmen die Bilderbücher und Spielsachen eine der ersten Stellen ein. Die ersteren sind in solcher Menge vorhanden, daß den Freunden der Jugend die Auswahl oft schwer fällt. Um dieselbe zu erleichtern, wollen wir einige Rathschläge hier mittheilen, welche Erfahrung und Psychologie an die Hand geben. Der erste heißt: Wählt keine Bilderbücher mit Fratzen für eure Lieblinge aus! Zwar sind sie vielleicht billig, aber ihr bezahlt sie viel zu theuer durch den Schaden, welchen das Kind durch sie an seiner Seele leidet. Zwar vertreiben sie dem Kinde die Langeweile, erregen wohl auch seine Lachmuskeln, aber seinen ästhetischen Sinn tödten sie in der Blüthe. „Ach,“ sagen Manche, „man muß nicht so ängstlich sein; das Kind hat ja noch kein Ideal der Schönheit; wenn das in ihm erwacht, wird es sich von solchen Fratzen von selbst abwenden.“ Wohl hat das Kind noch kein Ideal der Schönheit, aber damit es eins bekomme, soll man ihm eben nur schöne, treffliche Bilder vor’s Auge stellen. Von allen Reizen, die durch das Auge in die Seele des Kindes dringen, bleibt eine Spur zurück, und viele Spuren begründen zuletzt eine Anlage. Hat man dem kindlichen Auge nur gute Bilder von Jugend auf vorgeführt, so wird sich in der jungen Seele bald eine gewisse Hinneigung zu denselben zeigen; das Kind wird mehr und mehr Züge an denselben erfassen lernen; es wird sich der Schönheit derselben mehr und mehr bewußt werden und sie gar trefflich von der Häßlichkeit anderer Bilder, die ihm vielleicht zufällig vor’s Auge treten, unterscheiden lernen. Umgekehrt ist es, wenn man dem Kinde schlechte Bilder zu schauen gibt. Eben weil in der jungen Seele noch kein Maßstab der Schönheit ist, so nimmt sie die häßlichen Gestalten ruhig hin, gewöhnt sich nach und nach an sie, und findet sie zuletzt gar schön. Daher kommt es auch, daß manche Menschen für ein wirklich schönes Bild gar keinen Sinn haben, daß sie nicht im Stande sind, die Feinheiten desselben zu beurtheilen, und daß der schlechteste Holzschnitt ihre Augen keineswegs beleidigt. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß das Gefühl fürs Schöne sehr fruchtbar in der Seele ist, und daß es durchaus nicht gleichgültig bleibt, ob es sich früher oder später bilde. Deshalb, lieber Weihnachtsmann, keine häßlichen und anstößigen Bilder; bescheere das Schönste, was du findest; die Zinsen davon wirst du aus der reinen Seele deines Kindes nehmen.

Mein zweiter Rathschlag ist: Gib den Kindern keine Geschichten, die mit lauter Moral gespickt sind. Wir haben deren ebenfalls in Unzahl. „Der gute Hans“, „der fleißige Gottlieb“, „der gehorsame Wilhelm“ und wie die Geschichten alle heißen mögen, haben für die Kinder dreierlei Nachtheil. Erstens lernen sie nichts aus diesen Büchern. Moral, das weiß jeder Psycholog, wird überhaupt nicht durch Reden und Lesen gelernt, die Thatsachen des Lebens müssen sie dem Kinde einimpfen. Wenn das Kind dem Mitschüler eine Weihnachtsfreude macht und dessen Dank und Liebe sich erwirbt, wenn der Knabe sich durch eine besondere Arbeit einen schönen Lohn erwirbt, mit welchem er sich und Andere erfreuen kann, so wirkt dies ganz anders als eine Geschichte von guten fleißigen Kindern. Allerdings können moralische Geschichten, mitunter wenigstens, den Impuls zur eigenen moralischen Vervollkommnung geben. Aber auch dies fällt bei den Jugendschriften dieser Art weg, weil sie in der Regel saft- und kraftlos sind und sich in den alltäglichsten Worten und Situationen bewegen. Zweitens lernen sie allerdings manchmal etwas daraus, nur leider nichts Gutes. Oft sind nämlich diese Geschichten kleine Rührmaschinen für die Kinder. Sie schildern eine Menge Auftritte, die das Kind erschüttern oder gar bis zu Thränen erweichen sollen. Solche Thränenbäder haben nun stets etwas Mißliches, treten sie aber öfters ein, so bildet sich daraus im Kinde eine Sentimentalität, die wirklich eine gewisse Nervenschwäche mit der Zeit fördern kann, der frischen, lebendigen Thatkraft aber allemal hinderlich ist. Drittens begünstigen solche Bücher das Lesen ohne Denken, das fleißige Nippen, welches so schon bei unserer Jugend zu einem Krebsschaden geworden ist, und hier und da erregen sie auch ein altkluges Schwatzen über Dinge, die man nicht im Munde führen, sondern im Herzen haben und durch die That beweisen soll.

„Ja, was soll ich denn da bringen?“ fragst du, lieber Weihnachtsmann. „Kinder lesen einmal gern Geschichtsbücher, namentlich wenn sie mit Bildern geziert sind.“ Gewiß. Daher bringe Bilder, aber die besten, bringe Geschichten, aber frische, fesselnde, belehrende, entweder aus dem Kinderleben selbst, oder aus dem Leben interessanter Völker, bringe vortreffliche Schilderungen gewaltiger Naturscenen, bringe Beschreibungen von Heldenthaten oder Erzählungen aus dem Leben großer Männer, bringe Geschichten aus dem Thierreich, damit das Kind Pietät vor demselben lerne, bringe auch Bücher religiösen Inhalts, aber nur solche, welche klare und gesunde und nicht Muckerspeise enthalten. Dann sollst du sehen, lieber Weihnachtsmann, was du für verklärte Augen und für brave Herzen damit schaffen wirst!



Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 763. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_763.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)