Seite:Die Gartenlaube (1860) 766.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

ihr Kopf lag an meiner Schulter, sie weinte und weinte, und ich dachte immer, vielleicht dürfen wir doch so miteinander sterben. Aber sie stand auf und legte den Ring wieder in meine Hand, den ich ihr von dem Bräutigam gebracht, und sagte: „Bringe ihm den zurück und sag’ ihm, daß ich sein treues Weib sein wolle, auch in Sorge und Noth. Und Du, lieber Gottlieb, nicht wahr, Du wünschest mir Gottes Segen?“

„Daß ich’s gethan habe, weiß Gott, wenn ich auch nicht mehr reden konnte.“




Es war sehr still im Zimmer, Niemand hörte auf die fernen Musiktöne, der alte Mann und das junge Mädchen lebten bei lange vergangenem Lieben und Leiden.

„Daß ich dem jungen Ding da so viel sagen mußte,“ begann endlich fast ärgerlich der Onkel, „aber so ist’s, wenn alte Leute in’s Schwatzen kommen.“

„Aber Du sagst mir doch, wie es vollends gegangen ist?“ bat Eugenie.

„Nun, was ist da noch viel zu sagen? Die Alten wären gern wieder rückwärts gegangen, wer aber fest blieb, das war Gertrud. Sie verkaufte ihren Schmuck und den kostbaren Shawl – ich war schon außer Landes, als sie Hochzeit hatte – und zog mit ihrem Mann in eine Mansardenwohnung, da arbeitete sie heimlich um Geld. Ich blieb wohl sechs Jahre fort und versprach dann dem Baron, die Verwaltung seiner Güter zu übernehmen – an einem Amt hatte ich keine Freude mehr. Als ich zurück war, besuchte ich Gertrud. Wie eine schöne Königin in der Verbannung kam sie mir vor in ihrer Mansarde. Aber wie ich die Treppe hinauf stieg, hatte ich sie mit ihrer lieblichen Stimme ein heiteres Liedchen singen hören, sie hatte viele Blumen am Fenster und ein Vögelein, und zwei schöne Kinder spielten bei ihr auf dem Boden; da sah ich denn, daß sie nicht unglücklich war, noch eh’ ich in ihre klaren Augen geschaut, die still waren und rein und unschuldig, wie Kinderaugen. Ihr Mann kam eben mit seiner Trommel vom Boden herunter, wo er sich vergnügt hatte. Sein Anblick hat mich weniger erquickt, obgleich er seelenvergnügt war und seine Frau über alle Himmel hinaus pries und mir rühmte, wie er wieder ein paar ganz nette, kleine Geschäftchen gemacht habe, und es sichtbar vorwärts gehe mit ihren Umständen.

„Ich habe ihnen ihren Frieden recht von Herzen gegönnt, aber, Gott verzeih mir, wenn es eine Sünde war! als man die schöne junge Frau ein Jahr nachher hinaus trug mit einem Geleite wie es nicht viel Gräfinnen gehabt haben, als ich wußte, wo sie schlief in der grünen Ecke vom Kirchhof, da war mir’s doch noch viel friedlicher ums Herz. Es ist vorüber. Aber gut Nacht, Mädchen! gute Nacht! Leg’ Dich zur Ruh, sonst wirst Du müder, als wenn Du beim Balle gewesen wärest.“




Einen Abend lang währet das Weinen, aber am Morgen kommt die Freude. Die junge Frau war nicht gestorben, der Arzt gab wieder Hoffnung, durch das geöffnete Fenster des Nebenzimmers durfte die frische Morgenluft in das Krankenzimmer eingelassen werden, und das ältere Knäblein spielte im Garten.

Eugeniens Mutter hatte sich zur Ruhe gelegt, der Onkel, dem es heute eine gewisse Verlegenheit war, mit dem jungen Mädchen zusammen zu sein, der er sein Herz so aufgeschlossen, hatte einen Spazierritt unternommen, die drei Mädchen aber saßen in der Gartenlaube, wo der gestrige Ball gründlich durchgesprochen wurde.

„Wie schade, Eugenie,“ meinte Jeannette, die heute ziemlich bleich und verwacht, ganz und gar nicht wie eine Flora aussah; „wie schade, daß die Frau jetzt erst nicht gestorben ist, und Du so vergeblich dabliebest!“

„Nun, Gott sei Dank, daß sie besser ist,“ sagte lächelnd Eugenie, „ich kann Euch versichern, mir thut’s nicht so leid um den Ball.“

„Ach, das ist nicht möglich!“ rief ungläubig Hedwig, „es haben so viel Leute nach Dir gefragt.“

„Ist’s möglich, wer denn?“ fragte Eugenie, bei der jetzt trotz aller Herzensstille doch einige Neugier aufwachte.

Sie schrak zusammen, als sie beim Schall von Männertritten aufblickte und, als sichtbare Antwort auf ihre stille Herzensfrage, an der Seite ihres Vaters einen jungen Mann von einnehmendem Aeußern den Gang herab kommen sah. Jeannette war unglückselig, daß sie mit aufgewickelten Haaren und so überwachtem Teint überrascht wurde. Der Fremde aber schien sie nicht besonders zu beachten und grüßte zunächst Eugenie.

„Der Herr Gutsbesitzer Oswald von Rauhenstein interessirt sich so sehr für meine kleine Baumschule,“ erklärte der Vater etwas eilig Eugenien, ohne zu beachten, daß der Herr Gutsbesitzer etwas roth wurde; „Onkel Gottlieb, der sich am besten darauf versteht, ist leider nicht da, und ich bin im Augenblicke sehr pressirt. Sie verzeihen gütigst, Herr Oswald, wenn ich inzwischen meiner Tochter überlassen muß, Sie zu der Baumschule hinüber zu führen, bis ich wiederkommen kann.“

Herr Oswald hatte ein versöhnliches Gemüth und war geneigt zu verzeihen; das junge Paar ging in einiger Verlegenheit nach der Baumschule hinüber, von dem leisen Kichern der zwei Mädchen begleitet.

„Haben Sie sich auf dem Balle gut unterhalten?“ begann Oswald die Unterhaltung.

„Das wollte ich Sie fragen,“ entgegnete Eugenie, „ich war nicht dort.“

„Auch ich nicht,“ sagte er, etwas erfreut wie es schien, und Eugenie bemerkte jetzt erst den Flor um seinen Hut, „vor wenigen Tagen ist mein Bruder gestorben, so war ich nicht zum Balle aufgelegt; da ich mich aber lange schon auf die kleine Reise hierher gefreut hatte, so beschloß ich doch“ – hier wurde er etwas confus – „die Baumschule Ihres Herrn Vaters in Augenschein zu nehmen.“

Es war wirklich merkwürdig, daß der vielgereiste Landwirth noch nichts Sehenswertheres in diesem Fach gesehen hatte, als die vierundzwanzig Stämmchen des Oberamtmanns! Eugenie erzählte ihm, wie auch sie nicht beim Ball gewesen, und sie vertieften sich in ein recht interessantes Gespräch über den geringen Werth solcher Vergnügungen und wie leicht sie zu entbehren seien im Genuß der schönen Natur und nützlicher Thätigkeit, wobei Herr Oswald übrigens doch noch erheiternde Gäste und kleine Ausflüge als Schmuck des Landlebens gelten ließ.

Sie schraken ordentlich zusammen, als der arglose Oberamtmann hinter sie trat und meinte: „Nun, Herr Oswald, das ist eine Ehre für meine Baumschule, daß Sie sie so gründlicher Inspection werth halten! mein Bruder Gottlieb versteht sich aber noch viel besser darauf; Sie müssen zu Mittag mit uns vorlieb nehmen, dann ist er zurück, und Sie können sich selbst mit ihm darüber besprechen.“

Herr Oswald machte einige Umstände, aber es war ihm freilich vom allergrößten Interesse, die Bekanntschaft des Herrn Verwalters zu machen. Die jungen Mädchen hatten jetzt genug zu flüstern und zu kichern, während Eugenie, stocktaub gegen ihre Anspielungen, emsig oben den Tisch beschickte.




Ein Jahr war vergangen, und wieder ward rings im Lande des Königs Geburtstag gefeiert mit Böllerschüssen, patriotischem Gänsebraten und Festbällen. In der alten Erkerstube des Rauhenstein saß ein junges Paar und stieß zusammen an auf die Gesundheit des Landesherrn.

„Nun, soll ich einspannen lassen,“ fragte der junge Ehemann, „und Dich zum Balle hinüber führen, zur Entschädigung für den verfehlten Ball vom vorigen Jahr? Der diesjährige Sprößling des Oberamtsactuar soll ja mit seiner Mama so gut gedeihen, daß keine Gefahr ist wieder gestört zu werden.“

„Wir brauchen keinen Ball,“ sagte Eugenie mit hellen Augen; „glaub’ mir, es war mir wohler um’s Herz in der stillen Stube voriges Jahr, als auf allen Bällen; und wie viel schöner ist’s heute! Ich habe Onkel Gottlieb als Festgast geladen, er besucht uns heut zum ersten Mal, da soll er sehen, daß die lang begrabene Saat seines Jugendglücks bei uns in hellen goldnen Aehren aufgegangen ist.“




Blätter und Blüthen.

Londoner Industrieen. Office for Marriages, London. (Einziges und langjährig bewährtes Institut Englands für Ehe-Vermittlungen, mit festen gediegenen Familien-Verbindungen in allen Ländern Europas und den unzweifelhaftesten Referenzen.) „Indem die Vorsteher der Anstalt sich beehren, zum neuen Jahre allen Personen des hohen Adels und Bürgerstandes, welche durch ihre Vermittelung im verflossenen Jahre ehelich verbunden worden sind, ihre achtungsvollen Glückwünsche darzubringen, erlauben sie sich gleichzeitig, ihre fernere Wirksamkeit dem Wohlwollen des Publicums hiermit

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 766. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_766.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)