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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Der Fisch der Gebirge.

Wenn der Bewohner des Niederlandes die höchsten Gegenden unseres Vaterlandes durchwandert und über dunkelbewaldete Höhen und zerrissene Felsenhänge hinabsteigt zu jenen schnellfüßigen Bächen, die ihre silberhellen Wasser, bald im schäumenden Sturze tobend, bald nur rauschend und murmelnd, den größern Flüssen zuführen: äußert er wohl oft: „Ach, wie schade, daß diesen reinen Gewässern die belebenden Fische fehlen!“ – und wenn ihm dann ein Gebirgsbewohner antwortet: „Das glauben Sie nicht! In jenem tischgroßen und kaum fußriefen Tümpel hinter dem Ellernstrauch liegen ganz gewiß ein halbes Dutzend der schönsten Speiseforellen“ – glaubt er’s nicht, bevor man ihn überzeugt. – Ich verdenke es ihm auch nicht, denn wenn er die Kunst „Forellen in der Freiheit zu sehen“ noch nicht versteht, wird sein Auge, vorzüglich in kleinen Gewässern, nur selten einen Fisch dieser Art erblicken.

Als ich vor sechszehn Jahren in’s Gebirge kam, bemühte ich mich anfangs selbst vergebens, auch nur eine Forelle zu sehen. Eines Tages, als ich in der Nähe der Wolfshöhle bei Annaberg in gleicher Absicht an der Sehma hinschlich, traf ich einen alten Jäger. Derselbe hatte mich wahrscheinlich zuvor aufmerksam beobachtet und trat mit der Frage auf mich zu: „Was suchen Sie denn, guter Freund?“ – „Man sagt“ entgegnete ich, „es gäbe in diesem Bache viel Forellen, und ich bemühe mich schon seit einer halben Stunde vergebens auch nur eine einzige zu erblicken.“ Er lächelte fein und mich gemüthlich auf die Achsel klopfend bemerkte er: „Der Herr ist gewiß aus dem Niederlande und hat’s noch nicht gelernt, die Fore zu schauen. – Jetzt passen’s auf, wenn Sie eine sehen wollen!“ Er legte sein Gewehr bei Seite, warf sich sofort auf alle Viere und kroch auf den Bach zu. In der Nähe des Ufers wurden seine Bewegungen so vorsichtig, wie die des schleichenden Fuchses. – Am Bach angekommen rief er: „Eine, zwei, drei, vier, fünf – sechs Foren, wenn Sie schauen wollen, aber gerade so müssen’s machen wie ich!“ – Ich marschirte vierfüßig hinterdrein, und richtig, ich zählte auch: „Eine – zwei – drei – vier – – Wo sind aber sechs? ich sehe ja nur vier.“ – „Ich glaub’s schon! – Sehens nur nach dem großen Stein mitten im Bach, stromaufwärts guckt ein tüchtiger Forenkopf drunter raus.“ – Es war so. „Doch wo ist die sechste?“ – „Die wird sich zeigen, sobald irgend ein Käfer, Grashüpfer oder dergleichen herabschwimmt. Jetzt – passen’s auf!“ – Etwas von dem angegebenen Raube bemerkte ich zwar nicht, hörte aber einen appetitlichen Schnapper und sah eine Forelle pfeilschnell unter das ausgewaschene Ufer fahren. – Wir sprachen ganz vernehmlich mit einander, und ich äußerte meine Verwunderung darüber, daß die Fische dadurch nicht verjagt würden. „Die Fore hört schlecht, aber sieht gut“, sagte er. langsam hob er seine Arme in die Höhe – die Fiscke standen noch still – jetzt machte er eine rasche Bewegung mit den Händen – und keiner war zu sehen. „Ach, das ist schade,“ bemerkte ich, „gern härte ich noch lange zugesehen, und nun wird es wohl eine Weile dauern, ehe die Fische wieder sichtbar werden?“ – „Heute hier nicht,“ entgegnete der Alte, „wir müßten uns denn zwei Stunden ganz entfernen und von einer andern Seite anschleichen; wenn Sie jedoch einige Schritte mit stromabwärts gehen wollen, will ich Ihnen mehrere zeigen.“ Meine freie Zeit war indeß abgelaufen. Ich dankte dem freundlichen Gebirgsmann und ging heim, war aber von Stund an ein großer Freund des Fisches der Gebirge, und die verehrten Leser dieses Blattes werden vielleicht einiges Interesse daran finden, die naturgeschichtlichen Erfahrungen über diesen meinen Lieblingsfisch, die ich seit einer Reihe von sechszehn Jahren machte, kennen zu lernen, und so gütig sein, dabei zu vergessen, daß meine Darstellung der anderer Schreiber dieses Blattes nicht ebenbürtig ist.

Die bevorzugten Brutplätze der Forelle sind die unbedeutendsten Waldbäche der Gebirge, wenn sie nur ausdauernd laufendes Wasser und hinreichend Steine haben; jedoch liebt sie besonders granitsandigen Boden und meidet kalkhaltige Gewässer. Wie der Lachs zur Brutzeit in die seichten Flüsse hinaufsteigt und dabei oft über 10 bis 12 Fuß hohe Hindernisse wegspringt, so zieht auch die Forelle Ende Septembers und Anfang Octobers stromaufwärts, und es ist unbegreiflich, mit welcher Geschicklichkeit sie die stärksten Stromschnellen und Stürze überwindet. Ich habe es zweimal gesehen, daß dieser Fisch über ein stehendes Mühlrad von Schaufel zu Schaufel sprang und endlich glücklich in’s hohe Wasser kam. Ist der Bach seicht genug, d. h. bei kleinem Wasserstande oft nicht stärker, als daß man ihn einen Augenblick mit dem Fuße aufhalten kann, so setzt sie hinter einem Steine ihren Laich an, der sofort durch den Milchner befruchtet wird. Nach diesem Geschäft ist sie sehr abgespannt, und ihr Fleisch hat alle Schmackhaftigkeit verloren, sobald das erste Hochwasser eintritt, läßt sie sich von demselben wieder in ihre Heimath führen. Nach einiger Zeit platzen die Eier, und es erscheint ein winziges Fischchen mit einem großen Magensacke, aus welchem es sich, ohne andere Nahrung zu sich zu nehmen, fast einen Monat lang erhält. Nach dieser Zeit erhält die Forelle ihre eigentliche Gestalt, nur ist der Kopf nach Proportion zu groß. Mag auch der Winter noch so streng sein, so hat sie doch schon im Frühjahr die Länge von 11/2 Zoll und darüber erlangt und wächst nun sehr schnell, so daß sie schon im nächsten Jahre eine Hand lang wird. Hierauf geht sie nach und nach den Bach abwärts, um tieferes Wasser aufzusuchen. Stundenlang habe ich oft die Brutplätze belauscht. Die jungen Forellen stehen stets einzeln, am liebsten an solchen Stellen, wo das Wasser mit gemäßigter Schnelle über feinen Sand fließt. Wenn man nicht genau Acht gibt, erkennt man sie gar nicht; denn wegen ihrer scheinbaren Unbeweglichkeit hält man sie für ein auf dem Grunde liegendes Stückchen Holz. Dabei bewegen sie Flossen und Schwanz genau nur so schnell, als nöthig ist, um auf dem Platze zu bleiben. Bringt jedoch der Strom irgend eine Beute, so fahren sie mit der Schnelligkeit des Blitzes darauf los, erhaschen sie und kehren ebenso schnell zurück zu der verlassenen Stelle, um ihre scheinbare Unbeweglichkeit fortzusetzen. Große Forellen (sie erreichen oft ein Gewicht von 4–6 Pfund und darüber) sieht man meist gar nicht. Sie liegen fast stets unter solchen Ufersteinen, die im tiefen Wasser stehen, und kommen bei hellem Wasser gewöhnlich nur des Nachts hervor, um ihre Nahrung zu suchen. Die besonderen Eigenthümlichkeiten des Fisches überhaupt erfährt man am besten bei seinem Fang, dessen verschiedene Arten hier folgen.

a. Das Greifen.

Unter Greifen ist das Fangen mit den Händen zu verstehen. Bei dem geringsten Wasserstande macht sich der Fischer an sein Geschäft. Er zieht sich dabei fast nackend aus und watet in solche Stellen der Bäche, die nicht über 11/2 Fuß Wasserstand halten. In tieferen ist sein Geschäft sehr undankbar. Mit Kennerblick prüft er die auf dem Grunde, aber doch hohl liegenden Steine, greift mit beiden Händen an den Seiten derselben herum und stopft alle unter den Stein führenden Höhlungen, außer einer, mit Steinen oder Rasen zu. Jetzt langt er vorsichtig zu dem noch offenen Loche hinein und fühlt die ganze Höhlung unter dem Steine aus. Spürt er den Fisch, so krabbelt er ihn leise an dem Bauche, bis er die ganze Hand unter denselben gebracht hat. Ein fester Griff um Kopf und halben Leib bringt ihn in seine Gewalt, wenn er nicht über 1/4 Pfund wiegt; ist er jedoch stärker, so muß er beide Hände zu Hülfe nehmen und hat dann oft noch das Unglück ihn entschlüpfen zu sehen, wenn er ihn nicht geradezu todt drücken will. Schwieriger ist das Geschäft, wenn die Forelle so weit unter den großen Ufersteinen liegt, daß der Arm des Fischers nicht zureicht, sie mit der Hand zu umfangen. Oft erreicht er den Fisch mit den Fingerspitzen und muß ihn doch in Ruhe lassen. Alles Stoßen mit Stöcken etc. vermag dann nicht, ihn von seinem Platze zu treiben: er läßt sich vielmehr, ohne zu weichen, todt stoßen und ist dann doch nicht herauszubringen. Eines Tages spürten wir unter einem über eine Elle breiten Ufersteine ein ziemlich großes Exemplar. Obgleich der langarmigste Greifer darunter griff, war es doch nicht möglich den Fisch zu fassen. Wir machten uns daher darüber, das Ufer hinter dem Steine zu durchbrechen, und kamen nach der Arbeit einer Viertelstunde auf die Forelle, die sich nun ganz ruhig herausnehmen ließ und sich als eine 3 Pfund schwere sogenannte Lachsforelle präsentirte. Wir wandten später die erwähnte Methode noch oft an, und sie wurde meistens mit glücklichem Erfolge gekrönt. Bequemer ist

b. der Fang mit Netzen.

Dies geschieht auf dreierlei Art. Entweder mit dem Streifhamen bei ganz trübem Wasser oder mit Leuchte, oder durch das

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 777. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_777.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)