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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

hatte Hessen-Kassel noch eine zweite bedeutende Fürstin zur Vormünderin-Regentin, die Wittwe des eben so jung wie sein Vater verstorbenen Landgrafen Wilhelm VI., Hedwig Sophie von Brandenburg.

Von einer andern ausgezeichneten thüringischen Fürstin, der Herzogin Louise Dorothee von Gotha und Altenburg, habe ich in der Gartenlaube schon ausführlich berichtet. Sie wird von ihrer Base, der Herzogin Anna Amalia von Weimar und Eisenach, der Mutter und Vormünderin Karl August’s, überstrahlt; denn diese steht wie „die rosenfingrige Eos“ am Morgenhimmel unsres neuen Bildungstages und eröffnet der aufgehenden Sonne deutscher Geistesgröße das nächtliche Thor.

Der Gegenstand des heutigen Bildes der Gartenlaube ist ebenfalls dem Leben einer hochherzigen thüringischen Fürstin aus der patriarchalischen Periode entnommen. In den thüringischen Geschichtsbüchern öfter verzeichnet, ist die Begebenheit, welche unser Maler in so trefflicher Weise dargestellt hat, zumeist doch durch Schiller’s unsterbliche Feder allgemein bekannt worden. Es ist die Gräfin Katharina von Schwarzburg, geborne Gräfin von Henneberg, welche gleich der ein Jahrhundert spätern Landgräfin Amalie Elisabeth von Hessen als Landesregentin ihren Unterthanen zu Liebe einen wahren Heldenmuth entwickelte, der um so glänzender in die Augen springt, als sie sich dem fürchterlichsten unbeugsamsten Menschen des mittlern 16. Jahrhunderts, dem Herzog Alba, gegenüber geltend machte.

Katharina war die Wittwe des regierenden Grafen Heinrich 37., eifrigen Beförderers der Reformation in seinen Landen, und sie fuhr in seinem Geiste zu regieren fort, suchte unablässig die gereinigte Lehre auszubreiten, den Schulunterricht zu verbessern, und die Güter der säcularisirten Klöster zu wohlthätigen Zwecken zu verwenden. Ihre Thätigkeit zum Besten ihrer Unterthanen war unermüdlich; in jeder Beziehung eine echte Landesmutter, verweigerte sie helfende Liebesthat auch Fremden nicht, die hülfsbedürftig sich bittend an sie wandten. Namentlich schützte und unterstützte sie protestantische Geistliche, die um der neuen Lehre willen aus dem Amte vertrieben und verfolgt wurden.

Ihr ganzes Leben gibt ein schönes Bild von vorsorglicher Menschenliebe, Ueberzeugungstreue, Standhaftigkeit und Heldenmuth, und jener landesmütterlichen Gewissenhaftigkeit, welche, wie wir schon bemerkt, diese Zeitperiode kennzeichnet. – Die Begebenheit, welche den Vorwurf unseres Bildes abgibt, hat ihr aber in der Geschichte den Beinamen der „Heldenmüthigen“ erworben, und in Betracht der Umstände ist er kein unverdienter.

Die Sache des jungen Protestantismus hatte am 24. April 1547 in der Schlacht bei Mühlberg an der Elbe den ersten schlimmen und anscheinend tödtlichen Schlag erhalten; der siegreiche Kaiser Karl V. zog mit dem gefangenen Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen durch Thüringen und Franken nach Böhmen, um sich Prag zu unterwerfen. Die schwarzburgische Regentin hatte sich von ihm einen Schutzbrief zum Besten ihrer Unterthanen gegen nicht unwahrscheinliche Excesse der kaiserlichen Truppen ausgewirkt, wogegen sie sich anheischig machte, die durch das Saalthal ziehenden Heerhaufen gegen billige Vergütung mit Lebensmitteln zu versorgen. Die Bewohner der naheliegenden Dörfer durften ihre werthvollen Habseligkeiten auf dem Fürstenschlosse in Rudolstadt bergen.

Nachdem sie so mit kluger Umsicht die zweckmäßigsten Anordnungen zum Schutze des Lebens und Eigenthums ihrer Unterthanen getroffen, lud sich der spanische General des Kaisers, Herzog Alba, dessen Kaltblütigkeit die Schlacht bei Mühlberg gewonnen und der mit dem triumphirenden Stolze des Siegers einherzog, bei der Gräfin zu einem Frühstück zu Gast. Die Fürstin antwortete höflich, der Herzog möge mit dem vorlieb nehmen, was ihr Haus zu bieten vermöchte, auch bäte sie geziemend nicht zu vergessen, daß sie im Besitz eines kaiserlichen Schutzbriefes sei.

Der Herzog erschien in Begleitung des berüchtigten Herzogs Heinrich von Braunschweig und seiner Söhne, die, von den protestantischen Bewohnern der welfischen Lande vertrieben, mit dem Heere des Kaisers zogen, um sich später mit dessen Hülfe wieder einsetzen zu lassen. Die Gäste waren also die grimmigsten Feinde des unterlegenen Lutherthums und entschlossene Herren vom Schwerte. Die Gräfin war lutherisch und hatte nichts als den kaiserlichen Schutzbrief und ihre Höflichkeit, mit welcher sie nach Kräften gut bewirthete. Die Gäste wurden munter und galant gegen die Wirthin; es ging Alles gut. Plötzlich wurde die Fürstin hinausgerufen; man meldete ihr, daß die spanischen Soldaten in mehreren schwarzburgischen Dörfern geplündert und das Vieh weggetrieben hätten. Empört über dieses wortbrüchige Verfahren, läßt sie in größter Eile das Thor des Schlosses schließen und ihre ganze männliche Dienerschaft bewaffnet die Thür des Speisesaals besetzen, in welchen sie nun wieder mit dem Stolz beleidigter Frauenwürde eintritt, den noch bei der Flasche sitzenden Herren mittheilt, was ihr soeben hinterbracht worden, und daran die Beschwerde knüpft, wie schlecht die Soldaten des Kaisers den ihr von ihm verpfändeten Schutzbefehl respectiren.

Herzog Alba entgegnete ihr lachend, das gehe im Kriege nicht anders, und beim Durchmarsch eines Heeres, namentlich eines siegreichen katholischen durch protestantische Länder, dürfe man dergleichen kleine Auschreitungen nicht so hoch anschlagen: sie ließen sich eben nicht verhindern, trotz Kaiserwort und Schutzbrief.

„Meint Ew. Excellenz wirklich so?“ rief die Gräfin auf’s Aeußerste entrüstet. „Wir wollen sehen, ob es sich so verhält. Denn ich sage Euch, meinen armen Unterthanen muß ihr Eigenthum zurückerstattet werden, oder – bei Gott! – Fürstenblut für Ochsenblut!“

Mit diesen drohend gesprochenen Worten war sie aufgesprungen, hatte die Thür des Zimmers aufgerissen und die Bewaffneten hereingerufen. Es drang ein hübsches Häuflein herein, und sie sahen so wenig wie ihre Gebieterin aus, als sei die Sache bloßer Scherz. Dem eisenfesten Herzog Alba, der durch nichts gerührt werden konnte, wurde es nicht wohl beim Anblick dieser sonderbaren Veranstaltung. Die Herren sahen einander verdutzt an. Von ihren eigenen Soldaten getrennt, in einem festen Bergschlosse, einer zum Aeußersten entschlossenen heldenmüthigen Frau und ihren ihr ganz ergebenen Leuten mit bewehrten Fäusten gegenüber, blieb den fürstlichen Kriegsmännern nichts weiter übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Der Herzog von Braunschweig fand zuerst den schicklichsten Ausweg aus dieser unerwarteten Klemme, indem er in ein lautes Gelächter ausbrach, der beleidigten Fürstin eine schmeichelhafte Anerkennung ihrer landesmütterlichen Vorsorge und ihres entschlossenen Muthes aussprach und ihr das Versprechen gab, es beim Herzog Alba dahin zu bringen, daß der Handel zu ihrer Zufriedenheit beigelegt werde. Der Spanier ließ sich dazu auch bereitwillig finden, indem er unverzüglich einen Befehl an sein Heer ausfertigte, das geraubte Vieh ohne Zeitverlust den Eigenthümern zurückzustellen.

Die Gräfin ließ ihre gefangenen Gäste aber nicht eher vom Schlosse, als bis sie der Zurückgabe des Raubes gewiß war; hernach bedankte sie sich schönstens bei denselben, die dann auch sehr höflich sich von ihr beurlaubten.

Herzog Alba hatte die Bekanntschaft einer deutschen Landesmutter gemacht.

Im folgenden Jahre, als Kaiser Karl den protestantischen Fürsten sein berüchtigtes Interim aufgenöthigt hatte, diesen abscheulichen Gewaltstreich gegen die Gewissensfreiheit, dessen sich die Katholiken standhaft erwehrten, hatte ein talentvoller Prediger in der nahen Stadt Saalfeld, Kaspar Aquila, wie viele seiner Amtsgenossen, muthig gegen die kaiserliche Glaubensvorschrift von der Kanzel gepredigt. Aber ihm widerfuhr die Ehre vor vielen Andern, daß der Kaiser fünftausend Gulden auf seinen Kopf setzte, wahrscheinlich aus dem Grunde, weil Aquila schon früher als Feldprediger im Heere des Kaisers in den Niederlanden sich standhaft geweigert hatte, eine Kanonenkugel zu taufen, und deshalb zum Tode verdammt nur durch Zufall gerettet worden war.

Gräfin Katharina verbarg den bedrohten Geistlichen Monate lang auf ihrem Schlosse und pflegte seiner mit der edelsten Menschenliebe.

So waltete sie in vielbewegter Zeit fast dreißig Jahre als guter Engel über dem kleinen Lande und starb im 58. Lebensjahre von allen Schwarzburgern tief betrauert. Und noch heute wird ihr Andenken dort in hohen Ehren gehalten.



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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 781. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_781.jpg&oldid=- (Version vom 5.6.2018)