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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Die Spiritualisten und die Wissenschaft.
Der weissagende Ring im Glase.

Die Gartenlaube hat vor Kurzem durch einen Artikel über den Spiritualisten-Spuk gezeigt, daß es noch viele Gebiete gibt, auf denen sich Betrügerei und Leichtgläubigkeit begegnen. Aber der indirecte Vorwurf, der in der Besprechung jener Thatsachen der Naturforschung gemacht wurde, als ob an ihr und an ihrem Indifferentismus solchen „Zeichen der Zeit“ gegenüber die Schuld läge, trifft nicht sowohl die Wissenschaft, als Jene, die sich ihrer Früchte nicht theilhaftig machen wollen. Es gibt eine ganze Species von Menschen, denen der Schauer des Geheimnißvollen ein größeres Vergnügen gewährt, als die Erkenntniß des Wahren, und die deswegen den Mahnungen des Verstandes gegenüber ihre Ohren verstopfen, um sich den angenehmen Kitzel, der mit einer gelinden Furcht immer verbunden zu sein pflegt, nicht rauben zu lassen.

Mucker und Pietisten belehren zu wollen, hält die Wissenschaft allerdings unter ihrer Würde; sie betritt ihr Gebiet, auf dem die Schandpfähle der Menschheit Wurzel schlagen, einmal, die Wahrheit verkündend, aber nie wieder, und es ist deshalb ihr kein Vorwurf zu machen, sondern lediglich jenen, welche den Zuruf heut überhören oder morgen vergessen, um im alten Schlamme fortzuwühlen.

Die Naturforscher haben dies Urtheil der Wahrheit auch über das Tischdrehen und die Geisterklopferei gesprochen, und zwar schon zu einer Zeit, als sehr vernünftige Menschen noch „Ketten bildeten“ – es wurde verlacht, weil es gar so prosaisch war, immer wieder den alten bekannten Gesetzen und den alten Kräften zu begegnen. Nicht einmal Elektricität sollte im Spiele sein. Aber die Blicke, welche uns die Gartenlaube in das Getriebe der Spiritualisten thun ließ, fordern uns dringend auf, noch einmal den Versuch zu wagen, wenn auch nicht diejenigen zu überzeugen, welche die Breter vor ihren Köpfen befragen, denn diese Art Leute bilden eine stille Gemeinde des unnahbaren Blödsinns, so doch den noch Unbefangenen durch den stricten Beweis das Unsittliche und Vernunftwidrige jenes Gebahrens zu enthüllen.

Wenn wir die in der Gartenlaube mitgetheilten Fälle von Geistercitationen betrachten, so finden wir bei ihnen eine Menge von Umständen so plumper Art vereinigt, um die Menschen zu täuschen, daß wir uns unmöglich die Mühe geben können, dergleichen einzeln zu untersuchen. Wolken mit Bildererscheinungen, Hände, die aus dem Nebel hervorlangen, Stimmen und Musik, die man aus ganz unbestimmbarer Richtung zu hören glaubt, sind Effecte, die schon seit den frühesten Zeiten zu derartigem Gaukelspiel gedient haben, und die sich leicht durch optische und akustische Vorrichtungen in der verschiedensten Weise hervorbringen lassen. Sie sind in der That auch nicht das Wesentliche des heutigen Spukes. Dieser findet vielmehr seinen eigentlichen Drehpunkt in der vermeintlichen Fähigkeit der Menschen, auf allerhand leblose Gegenstände, vorzüglich auf Geräthe des täglichen Gebrauchs und unter diesen vor allen Dingen auf Tische dergestalt einzuwirken, daß durch dieselben Mittheilungen aus einer andern Welt, einer „Geisterwelt“ empfangen werden können, also in dem eigentlichen Tischdrehen, Tischschreiben, Tischklopfen etc. – und diesem wollen wir daher noch einmal wissenschaftlich zu Leibe gehen.

Um aber völlig deutlich zu werden, müssen wir auf ein altes Experiment zurückkommen, auf den bekannten „weissagenden Ring im Glase“. Für diejenigen, denen das Experiment fremd geblieben sein sollte, wollen wir kurz erwähnen, worin dasselbe bestand. Es wurde ein Ring, an ein Haar oder einen feinen Seidenfaden geknüpft, von der Person, die ihn befragen wollte, so in ein Glas gehalten, daß er, wenn er in pendelartige Bewegungen versetzt wurde, bei seinem Hin- und Widerschwingen die Wände des Glases treffen und einen glockenähnlichen Ton hervorbringen mußte. In der Anzahl von Schlägen, durch welche der Ring auf die betreffende Frage das Glas zum Tönen brachte, war die Antwort enthalten. War nach Zahlen gefragt worden, so erhielt man direct Auskunft – nur auf Brüche verstand sich das Orakel nicht –; Worte mußten aber erst übersetzt werden; das hatte jedoch keine Schwierigkeit, denn die Zahl der einander ohne längere Pausen folgenden Schläge bezeichnete die Stellung des Buchstaben im Alphabet. Man brachte als Ursache dieser Erscheinung bald den Magnetismus, bald die Elektricität, bald noch unbekannte Kräfte, bald das sogenannte Od auf’s Tapet, und diejenigen, bei denen das Experiment am leichtesten gelang, nannte man Sensitive oder Medien (Medium, das Mittel, durch welches uns armen kurzsichtigen Menschenkindern, denen der Einblick in eine übersinnliche Welt verwehrt ist, Offenbarungen aus jener Welt gemacht werden).

Als ein untrüglicher Beweis, daß das Spiel des Ringes durch eine eigenthümliche, außerhalb des Menschen liegende Kraft hervorgerufen und geregelt werden sollte, galt die vermeintlich gemachte Beobachtung, daß sich der Ring über verschiedenen Metallen, wenn man dieselben in das Glas legte oder in die Hand nahm, in verschiedener Weise bewegen sollte, bald von rechts nach links, bald umgekehrt, bald in Kreisen, bald in Ellipsen, bald stoßend, bald in ruhigen Linien.

Wir wollen bei der Discussion dieses Phänomens systematisch zu Werke gehen, und untersuchen:

1. Bewegt sich der Ring, wenn er in der angegebenen Art gehalten wird, überhaupt? Ja.
2. Schlägt er, oder hat er wirklich an das Glas geschlagen, daß man aus der Aufeinanderfolge der Schläge nach einer bestimmten Deutungsweise die Antwort herauslesen konnte? Auch das soll nicht geleugnet werden.
3. Ist die Ursache davon aber in einer eigenthümlichen Kraft des Ringes zu suchen? Nein, sondern im Menschen, der den Faden zwischen seinen Fingern hält.
Und endlich 4. Wenn die bewegende Kraft im Menschen liegt, ist sie eine besondere, nur gewissen Menschen, den sogenannten Medien oder Sensitiven, innewohnende Kraft? Durchaus nicht, denn sie beruht nur in der Schwäche und Erschlaffung der Muskel- und Nerventhätigkeit, in der nur mangelhaften Controle, welche die meisten Menschen über sich selbst auszuüben vermögen, und in einer nur dadurch hervorgerufenen Selbsttäuschung.

Das ist also zu beweisen. Es ist eine bekannte Thatsache, daß wir unsre Muskeln nur eine verhältnißmäßig sehr kurze Zeit in dem Zustande der Anspannung erhalten können. Sie erschlaffen allmählich und gehen zurück, allein ehe sie ihre Spannung völlig verlieren, gerathen sie in den Zustand des Zitterns, der in einem rasch abwechselnden Nachlassen und Wiederzusammenziehen der Muskelfasern besteht. Jede neue Anspannung oder Contraction ist von einer erneuten Nerventhätigkeit abhängig, wenn wir auch nicht einen erneuten Entschluß, der als Wille auch durch die Nerven fortgepflanzt werden würde, als nothwendig annehmen wollen. Versagt der Nerv seinen Dienst, so hört auch der Muskel auf thätig zu sein. Schwache Menschen, die unfähig sind ihren Willen constant zu erhalten, wechselnde faselhafte Naturen, werden viel eher vom Zittern befallen, als kräftige, ruhige, willensstärke Charaktere, deren Seele den wechselnden Eindrücken, die auf sie einstürmen, minder leicht nachgibt; denn der Muskel bleibt nur so lange contrahirt, als der Wille in derselben Weise auf den Nerv wirkt.

Wie dies mit dem weissagenden Ringe zusammenhängt, das wird uns sogleich klar werden, wenn wir uns ein wenig um das Mechanische der Pendelbewegung kümmern. Jener Ring ist ja nichts Anderes, als ein freischwebendes Pendel. Wir können ein solches in Bewegung versetzen, wenn wir seinen Schwerpunkt aus der Ruhelage – senkrecht unter dem Aufhängungspunkte – bringen, entweder dadurch, daß wir ihm einen Stoß geben, oder dadurch, daß wir den Aufhängungspunkt verrücken, sodaß derselbe nicht mehr senkrecht über dem Schwerpunkte liegt. In beiden Fällen sucht der Schwerpunkt sich wieder unter den Aufhängungspunkt zu begeben, welches Bestreben die bekannten Schwingungen zur Folge hat.

Hält man also den Faden, an welchem der Ring befestigt ist, zwischen den Fingern, so wird jede kleine Ausweichung derselben – als eine Verrückung des Aufhängepunktes – kleine Schwingungen des Ringes hervorrufen, genau so, als ob man dem an einem völlig unverrückbaren Punkte aufgehangenen Ringe entsprechende kleine Stöße beigebracht hätte. Läßt man aber auf einen freischwebenden Körper in regelmäßigen Zwischenräumen rasche Stöße, und wenn sie auch nur gering sind, einwirken, so wird derselbe alle die kleinen Kraftportionen in sich aufspeichern, zu einander

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 782. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_782.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)