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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

No. 50. 1860.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Die schwerste Schuld.
Von dem Verfasser der neuen deutschen Zeitbilder.
(Fortsetzung.)


Man muß es den Franzosen auch jener Zeit lassen: keine Frechheit, kein Hohn, keine Gewalt war für sie in Deutschland gegen Deutsche frech und empörend genug, daß sie davon hätten abstehen sollen; jener Sitte des Duelles, die Muth und konventionelle Ehre von ihnen forderten, entzogen sie sich selten, durfte namentlich der Officier, wenn sein Corps davon erfuhr, sich nie entziehen. Der Advocat brachte das junge Mädchen nach Hause.

„Sie müssen sich mit dem Menschen schlagen?“ fragte sie ihn entsetzt.

„Möchte es mir gelingen, den französischen Uebermuth zu züchtigen!“

„Aber wenn er der Sieger bleibt, wenn er Sie –“

Sie konnte das Wort, das sie auf den Lippen hatte, nicht aussprechen. Sie zitterte heftiger als vorher an der Seite des Franzosen.

„Mein Fräulein,“ erwiderte er ihr ruhig, aber im Tone tiefer Trauer, „falle ich, so hat fast ein gütiges Schicksal mich betroffen. Sie sind Polin, keine Deutsche –“

„O, mein Herr –“ rief das Mädchen.

Er hatte die Worte nicht gehört.

„Sie,“ fuhr er fort, „fühlen das Elend, die Schmach nicht, unter denen Deutschland seufzt.“

„O doch,“ mußte das Mädchen ihn nochmals unterbrechen.

„Wohlan, so müssen Sie auch den Druck fühlen, der auf jedes Deutschen Brust lastet, die Schmach, die ihn zu vernichten droht.“

Sie waren an der Wohnung des Mädchens angelangt. Ein anderer Gedanke erfüllte auf einmal ihr Inneres. „Mein Vater!“ rief sie mit neuem Entsetzen. „Wenn er es erfährt!“

„Ich werde von meiner Seite Alles aufbieten, daß er nichts erfährt. Leben Sie wohl.“

Sie hatte in ihrer Angst ihren Dank vergessen. Sie wollte ihm solchen zurufen, aber er war schon fort. Ein Gefühl wie der Schuld des Undankes brannte in ihrem Herzen. Fast heißer brannte sie noch der Händedruck, mit dem er rasch von ihr geschieden war.

Am andern Mittag erhielt sie die Nachricht, daß der Advocat Rohden den Adjutanten des Obersten im Duell erschossen habe. Ueber die Veranlassung des Duells hatte man nur erfahren, daß die Beiden am Abende vorher bei einem zufälligen Begegnen in einen heftigen Streit gerathen seien. Das Duell hatte am frühen Morgen stattgefunden. Vorher hatte, außer den zunächst Betheiligten, Niemand etwas davon gewußt. Der Oberst des Regiments war in mancher Beziehung ein Ehrenmann, der seine nachsichtige Schwäche gegen seinen Neffen sich oft zum Vorwurfe gemacht hatte. Er verbot seinen Officieren auf das Strengste, für den Tod ihres Kameraden an dem Advocaten Rohden irgend Rache zu nehmen. Die Ursache des Duells erfuhr längere Zeit auch ferner Niemand.

Das junge Mädchen nahm keine Stunden in der Stadt mehr. Sie vermied es mehr als früher, sich außer dem Hause zu zeigen. Man sah sie fast nur in Begleitung ihres Vaters. Nur zweimal war sie seitdem dem jungen Advocaten begegnet, der ihr Retter gewesen war. Er hatte sie stumm und ehrerbietig gegrüßt, wie früher. Aber sie hatte seinen Gruß erwidert. Ihr Vater hatte finster das Gesicht abgewandt, freilich wie immer, wenn ihm Jemand begegnete. –

Beinahe ein Jahr war seit dem Duell vergangen. Elvire Krajewska war mit ihrem Vater spazieren gegangen. Sie verließ fast nur mit ihm das Haus. Er liebte auf seinen Spaziergängen ihre Begleitung. Die ältere kränkliche Tochter verließ die nächste Umgebung des Landhauses nie. Sie kamen aus einer Waldung und betraten die zu der Stadt führende Landstraße, welche sie eine Strecke verfolgen mußten, um dann in einen Seitenweg einzubiegen, der sie näher zu ihrer Wohnung führte. Sie waren noch keine dreißig Schritte gegangen, als sie aus einer Biegung der Straße einen Trupp Officiere sich entgegen kommen sahen. Es waren jüngere Officiere des in der Stadt garnisonirenden Regiments. Sie waren laut, besonders zwei von ihnen, die betrunken zu sein schienen. Die Miene des finstern Greises verfinsterte sich mehr, als er sie sah. Seine Tochter wurde ängstlich.

„Kehren wir zurück, Vater,“ wollte sie bitten. Aber es war nicht mehr möglich. Die Franzosen hatten sie schon gesehen, und einer der Betrunkenen hatte bereits mit der Hand nach ihnen gezeigt.

„Ah, la voilà!“ hatte der andere gerufen.

Zurückgehen wäre Flucht, die Flucht wäre eine Aufforderung für die betrunkene Rohheit zu einer lauten, frechen Verfolgung gewesen.

„Fasse Muth, mein Kind,“ sagte der Greis.

„Ich fürchte nur für Dich, mein Vater.“

Sie hatte wohl für ihn zu fürchten, wenn sie sah, wie in seinem bleichen, von den tiefen Furchen durchzogenen Gesicht ein starker, edler Zorn, und dann auf einmal eine so sonderbare angsthafte Scheu mit einander kämpften. Er führte sie am Arme, und dieser Arm zitterte heftig.

„Fasse Du Muth, mein armer Vater,“ drängte es sie, ihn zu bitten. Sie durfte es nicht wagen, denn sie schien zu erkennen,


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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 785. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_785.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2017)