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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Uebel der heiligen Alliance zu verdanken, die weit eher den Namen der „unheiligen“ verdiente und darum von den Völkern mehr und mehr gehaßt wurde. Ursprünglich in der Theorie von den Ideen der größten Humanität und Christenliebe ausgehend, war sie in der Praxis die Feindin jedes Fortschrittes, die Ursache aller Unterdrückung, bis sie zuletzt von ihrer schwindelnden, phantastischen Höhe der allgemeinen Menschenbeglückung zu einer gewöhnlichen europäischen Polizei-Anstalt herabsank. Statt des erträumten Friedens brachte sie nur neue Kriege und Verwirrungen, statt der ausgesprochenen Bruderliebe säte sie nur Haß, Zwietracht und Verfolgung aus. Der schwärmerische Alexander sah seine eigene Schöpfung sich bei Gelegenheit des griechischen Aufstandes gegen ihn kehren, indem der schlaue Metternich den Kaiser mit den eignen Waffen schlug und ihn zurückhielt, seinen bedrängten Glaubensbrüdern erfolgreich beizustehen. Nach und nach lockerte sich das Bündniß, wenn auch die Stifter desselben bis zu ihrem Tode befreundet blieben. Die heilige Alliance löste sich stillschweigend auf und starb aus Mangel an innerer Lebensfähigkeit, ein trauriges Angedenken an ihre mehr verderblichen als segensvollen Wirkungen hinterlassend.

Frau von Krüdener selbst erkannte wahrscheinlich, daß die Großen dieser Welt nur wenig geeignet waren, das von ihr verkündigte Evangelium in sich aufzunehmen; sie wandte sich deshalb von Neuem und ausschließlich dem Volke und zwar vorzugsweise den Armen, Leidenden und Hilfsbedürftigen zu, wobei sie jedoch nicht mit der nöthigen Vorsicht verfuhr und mehr Schaden als Nutzen stiftete. Zunächst ging sie nach Basel, wo sie in Gemeinschaft mit dem jungen Empeytaz öffentliche Vorträge hielt, die besonders von Frauen und Mädchen aus den niederen Ständen besucht wurden und zu allerlei ärgerlichen Auftritten Veranlassung gaben, sodaß die Obrigkeit sich veranlaßt fand, Frau von Krüdener auszuweisen. Nicht besser erging es ihr in Lörrach und Aarau, wohin sie sich später wandte. Im Jahre 1816 hielt sie sich in der Nähe von Basel, aber auf badenschem Gebiete, in dem sogenannten Grenzacher-Horn auf, wo sie Tausende von Armen, welche durch die damalige Hungersnoth außerordentlich litten, um sich versammelte. In ihren Predigten eiferte sie gegen die Reichen und empfahl statt Arbeit und Geduld eine gedankenlose Frömmigkeit und die alleinige Heilkraft des Gebetes. Auch die badensche Regierung fürchtete, und, wie es scheint, nicht ohne Grund, Störungen der öffentlichen Ordnung, zumal sich auf dem Grenzacher-Horn eine völlige Bettlergemeinde angesiedelt hatte. Sie ließ deshalb die Wohnung der Frau von Krüdener von Landjägern des Nachts umringen und die zahlreichen Armen gewaltsam nach Lörrach abführen. Frau von Krüdener wandte sich in Folge dieses Vorfalls an den damaligen Minister des Innern, Herrn v. Berkheim, in einem merkwürdigen Schreiben, worin sie ihm die Noth des Volkes und ihre eigenen Bestrebungen in der eindringlichsten Sprache vorstellte, indem sie zugleich dem Befehle der Obrigkeit das Gebot Gottes entgegensetzte, sich der Hülflosen anzunehmen.

Gezwungen Baden zu verlassen, trat sie ihre Irrfahrten durch ganz Deutschland an; überall, wo sie erschien, erregte sie das größte Aufsehen durch ihre Predigten, die sie im Freien hielt und in denen sie ungescheut ihre pietistisch-socialen Grundsätze aussprach; überall strömten ihr die Menschen und besonders die Armen zu, so daß sie oft dreitausend Zuhörer und mehr bei ihren Reden zählte, aber überall wurde sie auch bald polizeilich ausgewiesen und verfolgt. Einige Ruhe war ihr nur in Leipzig gegönnt, aber auch hier sah man sich veranlaßt, sie endlich auszuweisen und mit Hülfe der preußischen Behörden über die Grenze nach Rußland zu bringen, wo ihr der Aufenthalt unter manchen Beschränkungen gestattet wurde. Trotz ihres früheren freundschaftlichen Verhältnisses mit dem Kaiser Alexander mußte sie Petersburg für immer vermeiden, wo sie sich allzu lebhaft für die Befreiung des griechischen Volkes ausgesprochen hatte, ebenso mußte sie auf jede öffentliche Wirksamkeit verzichten.

Leidend und lebenssatt zog sie sich nach der Krim in selbstgewählte Verbannung zurück, wo sie am 13. December 1824 zu Karasubasar in den Armen ihrer Tochter starb.

Max Ring.




Erinnerungen an Wilhelmine Schröder-Devrient.

Von Claire von Glümer.
IX.

Ein hervorragender Zug in Wilhelminens Wesen war ihre thätige Menschenliebe. Tausend Beweise ihrer Güte und Großmuth sind bekannt, eben so viel, wenn nicht mehr, hat sie im Stillen gethan, und es war nicht jenes gleichgültige Hingeben von Almosen, womit so Viele genug zu thun meinen, nicht jenes hastige Sichloskaufen von den Ansprüchen, die Krankheit, Alter und Armuth nun einmal an die Besitzenden machen – es war ein inniges schmerzliches Theilnehmen an den Leiden ihrer Mitmenschen, ein unablässiges Bestreben, nach Kräften dem Elend abzuhelfen, das sie auf ihren Wegen fand.

Die Wechselwirkung blieb nicht aus. Wilhelmine Schröder-Devrient war die wohlthätige Frau, zu der sich alle Bedrängten flüchteten, der sie vertrauensvoll ihre großen und kleinen Sorgen an’s Herz legten. Unter den Papieren der Verewigten befanden sich unzählige Bittschriften und Danksagungen. Bald hat sie ein Concert zum Besten der Abgebrannten gegeben, bald den Ertrag eines Gastspiels den Ueberschwemmten zu Gute kommen lassen, oder für die hungernden Spitzenklöpplerinnen im Gebirge, oder für den Hülfsverein der Deutschen in Paris gesungen. Ein armer Student bittet sie um ein paar Louisd’or, eine verzweifelnde Mutter um Brod für ihre Kleinen, oder ein Schauspieler ohne Engagement schreibt ihr, daß er für sich und die Seinen keine Rettung weiß, wenn sie nicht einschreitet. Eine Menge junger Talente haben es nur ihrem Beistand zu danken, daß sie nicht im Kampf mit Noth und Muthlosigkeit untergegangen sind; einige derselben hat sie erst entdeckt und hat ihnen die Mittel zu ihrer Ausbildung gegeben, und nie hat einer ihrer Kunstgenossen vergebens um ihren Beistand gebeten. Die letzten Concerte, in denen sie sang, waren zum Besten ehemaliger Collegen oder wohlthätiger Stiftungen. Noch im Winter 1858, als ihre Kraft schon durch Krankheit gebrochen war, unterrichtete sie ein paar arme junge Mädchen, die sich zu Sängerinnen ausbilden wollten, und wenige Monate vor ihrem Tode scheute sie weder Unruhe noch Anstrengung, um einen jungen Künstler durch die Verloosung eines Bildes zu unterstützen, das sie nicht selber kaufen konnte.

Sie war aber nicht allein barmherzig und mildthätig, sie war auch großmüthig, wenn es galt Freude zu bereiten. So hatte sie sich einst einen neuen Flügel angeschafft, wollte ihr älteres Instrument verkaufen und ließ es im Anzeiger bekannt machen. Der erste Käufer, der sich meldete, war ein ziemlich dürftig aussehender junger Mann, ein Schulamtscandidat, der beim Anblick des schönen Instruments zwar sogleich erkannte, daß es nicht für ihn paßte, doch dem Verlangen es zu probiren nicht widerstehen konnte. Er spielte gut, und während er sich mehr und mehr in seinen Phantasien verlor, trat Wilhelmine Schröder-Devrient ins Zimmer. Verwirrt sprang er auf, als er sie bemerkte, aber sie knüpfte in ihrer freundlichen Weise ein Gespräch mit ihm an, ließ sich von seinen Verhältnissen erzählen und flößte dem Schüchternen so viel Zutrauen ein, daß er sie endlich fragte: ob sie ihm das fragliche Instrument unter der Bedingung überlassen würde, daß er ihr eine geringe Summe – seine ganze Baarschaft – anzahle und den Rest nach und nach abtrüge. Die Künstlerin erwiderte ziemlich kurz, daß sie sich darauf nicht einlassen könne, und der arme junge Mann ging in dem Bewußtsein, eine Unschicklichkeit begangen zu haben, schweren Herzens an sein Tagewerk. Als er aber nach Hause kam, stand das Instrument in seiner Stube, und darauf lag ein Billet Wiihelminens mit der Bitte, das Geschenk freundlich von ihr anzunehmen.

So lange Wilhelmine Schröder-Devrient in Dresden engagirt war, veranstaltete sie alljährlich eine große Weihnachtsbescheerung für ihre Armen. Zuweilen waren 20 bis 30 Personen zu beschenken, und gewiß fand sie für jeden das heraus, was ihm am

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