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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

das Pfand ihrer Liebe. Doch nur noch ein Tag des Glückes sollte dem Paare beschieden sein: der folgende. Er verging unter wechselseitiger Zärtlichkeit. Am nächsten lag die junge Gattin wieder auf ihrem Bette und war im Begriff, ihrem Hause einen neuen Sprossen zu schenken: da erschien doch über den Friedlichen ein Feind ihres Bundes. Wie ein Blitz aus heiterm Himmel stürzte sich plötzlich – die erste Gattin des Nestbesitzers herab auf ihr Haus und schien Willens zu sein – natürlich unter aller Berücksichtigung der weiblichen Sanftmuth und Friedfertigkeit – ihr altes, gutes, von Papa Storch beschwornes Recht zu beanspruchen. Eine halbe Stunde großer Verlegenheit für den Hausvater folgte. Das Geklapper der Neuangekommenen war sehr entschieden, anklagend, vernichtend, das des Nestbesitzers entschuldigend, verlegen, unsicher; die junge Gattin schwieg im Bewußtsein ihres Werthes und der Deckung, welche ihr der Gemahl vor etwaigen Angriffen der Nebenbuhlerin durch den einen über sie gebreiteten Flügel gewahrte. Ohne Unterbrechung verhandelte das alte Paar; sie klapperte wüthend den so beliebten Stoßseufzer her:

„Ach, ich armes unglückliches Weib! Treuloser, Abscheulicher!“

Er antwortete männlich bescheiden und versöhnend:

„Aber so nimm doch nur Vernunft an, Weib; es wurde mir gar zu öde in dem alten, lieben Hause; ich dachte, Du wärest mir untreu geworden oder gar gestorben – –“

Neues Geklapper der Störchin; neue Entschuldigungen von seiner Seite; hartnäckiges Schweigen der kreißenden Lieblingsgattin! Aber, o Wunder! Milder, versöhnlicher wird die Beleidigte, Ehrverletzte, freundlicher der Herr Gemahl. Die schützende Schwinge wird eingezogen (weil er sich sonst nicht in seinem ganzen Anstande zeigen kann), und das Klappern spricht unzweifelhaft von alten Erinnerungen. Die Liebe ist allmächtig, die weibliche Herzensgüte erhaben: Sie verzeiht; man vereint sich – und die freilich jetzt etwas unzurechnungsfähige junge Störchin scheint Alles zufrieden zu sein. Vor ihren Augen überhäuft der Herr Gemahl seine alte Gattin mit Zärtlichkeiten und Liebesbeweisen, wie nur die Ehe sie rechtfertigen kann; ehe sie noch ihr zweites Ei gelegt, haben die Geschiedenen sich wieder vereinigt fürs Leben. Und – ewigen Ruhm der Seelengröße des weiblichen Geschlechtes! – am andern Tage beginnt das alte Paar die Grundlagen eines zweiten Nestes herbeizuschaffen und dicht neben dem ersten zu verbauen – und die junge Gattin hilft ihrer Vorgängerin und Mitschwester getreulich! Und fertig wird der stolze Bau, und gelegt werden auch dort die Eier; und beide Störchinnen brüten in Frieden nebeneinander, und Papa Storch-Gleichen steht glückselig dazwischen und klappert bald Frau Ottilia und bald der schönen Melechsala seine Liebesgrüße zu und freut sich des reichen Kindersegens.

So ist es geschehen, gewiß und wahrhaftig geschehen, wie man mir sagte; aber so hübsch, als es mir erzählt wurde, habe ich’s doch nicht wieder erzählen können! Den Erzähler aber grüße ich hiermit von Herzen!

Dr. Brehm.




Unter dem Christbaum. Jetzt, wo die Ankündigungen von Jugendschriften für den Weihnachtstisch an der Tagesordnung sind und unter vielem Gediegenen manche Spreu mit unterläuft, sei es mir in den Spalten der Gartenlaube vergönnt, zu Nutz und Frommen für Eltern und Kinder einiger Jugendschriften und deren Verfassers zu gedenken. Wer Kinder hat und weiß, was es heißt, von der muntern Schaar bestürmt zu werden, Geschichten zu erzählen, natürlich allemal zu einer Zeit, wo man sich von den Mühen des Tages zu erholen gedenkt und sich dem Genuß der Dämmerstunden hingeben will, der lernt erst ein Buch schätzen, das einem darüber weghilft, immer selbst erfinden zu müssen oder doch wenigstens aus der Erinnerung in der eigenen Jugend Gehörtes halbwegs wiederzugeben. Was habe ich schon, trotzdem daß mein Aeltester erst sieben Jahre alt ist, für Geschichten erzählt, wobei ich nicht verleugnen will, daß gerade solche Stunden, in denen es geschah, zu den glücklichsten gehören. Mit dem beruhigenden Gefühle, seiner Pflicht am Tage nachgekommen zu sein, nun im traulichen hirschgeweihgeschmückten Stübchen dem warmen Ofen gegenüber zu sitzen und den knisternden Flammen und dem flackernden Scheine nachzuträumen, ist und bleibt ein wahrhaft gemüthlicher Genuß, den übrigens nur unser Winter gewähren kann. Da hört man’s denn draußen stampfen, ein Zeichen, daß der Junge aus der Schule kommt. Lustigen Blickes und rother Nase, die die kalte Luft gebeizt hat, jubelt er beim Eintreten schon, den Papa am „Erzählefleckchen“ sitzen zu sehen, wobei das kleine Schwesterchen, welches bis dahin ruhig „gepuppelt“ hat, jauchzend einstimmt. In größter Eile ist der Ranzen abgelegt, sind die für ihn etwa parat gelegten Aepfel in Empfang genommen; dennoch kommt er zu spät, um auf dem rechten Beine des Papa’s zu sitzen (was für einen Vorzug gilt), da das „Wieselchen“, das Mädel, schon davon Besitz ergriffen hat. Nicht immer resignirt dann der Junge, sondern zuweilen entspinnt sich ein Kampf, namentlich wenn das rechte Bein schon Mittags „bestellt“ worden ist. Ist endlich die Ruhe hergestellt, dann heißt es:

„Papa, vom Gnomchen und dem Hirschkäfer!“

„Nein!“ schreit das Mädel, „von der Fee Vampherlusche, oder“ – corrigirt sie sich – „vom Haselmäusel, das so grinst, wie der Maulwurf das gestorbene Eichhörnel begräbt.“

„Ja, Papa, ja das!“ stimmt nun auch der Junge bittend ein, und die streitenden Mächte werden mäuschenstill, sobald das gewichtige „Also“ anhebt. Nun ist die erste Geschichte aus, aber diese Nimmersatte sind damit durchaus nicht zufrieden gestellt; man möchte wie eine Zauberquelle Geschichten heraussprudeln. Da vertröstet man sie denn endlich mit dem Versprechen: wenn Licht angebrannt sei, etwas aus einem der schönen Bücher vorzulesen, die man die Jahre her zur Freude der Kinder und sich zur Erholung, um nicht immer selbst Geschichten erdenken zu müssen, angeschafft hat. Aber wie häufig findet man nun, daß oft ganz niedliche Geschichten, denn von den kindlich sein sollenden, aber kindisch ausgefallenen rede ich gar nicht, sich zum unmittelbaren Vorlesen gar nicht eignen! Man kann nur frei wieder erzählen, oder muß wenigstens beim Vorlesen ändern und weglassen, so ungenügend ist das Fassungs- und Auffassungsvermögen der Kinder dabei in Anbetracht gezogen worden. Der Styl ist wie für Erwachsene, wenigstens nur für die reifere Jugend gehalten, sodaß der Ton die kleinen Zuhörer unberührt läßt. Alle diese so häufig vorkommenden Mängel finden wir z. B. von Franz Wiedemann, Lehrer an einer Bürgerschule in Dresden, Verfasser von am Schlusse verzeichneten Büchern, glücklich vermieden.

Seine Geschichten, ernste wie heitere, haben vor Allem einen moralischen, aber keineswegs frömmelnden Sinn und könnten mit Recht alle zusammen „Samenkörner für Kinderherzen“ heißen. Sie sind ganz auf das kindliche Gemüth eingehend gehalten, sowie die Sprache, ohne alle unverständlichen Nebensachen, der kindlichen Art und Weise angepaßt ist. Man darf sie nur ablesen, und daß Kind wird den Eindruck empfangen, als höre es eine freie Erzählung; also für Eltern, die sie vorlesen, sowie für Kinder, die sie anhören, eine wahre Freude! Und darum bin ich meinem Herzensdrange gefolgt, das große Contingent der Leser der Gartenlaube auf die so bescheiden auftretenden, durch mehrfache Auflagen bewährten Schriften des anspruchlosen Verfassers, der selbst ein gediegener Erzieher der Jugend ist, aufmerksam zu machen, überzeugt, daß mir so mancher Vater, so manche Mutter dafür danken wird.[1]

Guido Hammer.

Die Bücher heißen: Für das Alter von 6–8 Jahren: 1) Samenkörner für Kinderherzen, nebst Anhang, 4. Aufl. 2) Wie ich meinen Kleinen die biblische Geschichte erzähle, 2. Aufl. 3) Hundert Geschichten für eine Mutter und ihre Kinder, 2. Auflage. 4) Thierbüchlein, mit Bildern von G. Süs, 2. Aufl. 5) Im Wald, auf Hof und Feld, mit Bildern von G. Süs 8–12 Jahr: 6) Der Goldbronnen, 2. Aufl. 7) Geschichten, wie sie die Kinder gern haben. Neu erschienen. 12–14 Jahr: 8) Der treue Knecht, oder wahre und falsche Freude. 9) Das Vaterunser und das Leben. 2. Aufl.



Als Weihnachtsgeschenke empfohlen!

Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
  1. Wir benutzen zugleich diese Gelegenheit, auf die Fortsetzung des Gerstäcker’schen Bildungswerks: „Die Welt im Kleinen für die kleine Welt“, wovon vor Kurzem wieder zwei Bändchen: Asien und Afrika, erschienen sind, aufmerksam zu machen. Als Festgeschenk, namentlich für Knabeninstitute, möchten wir auch das jüngst erschienene Büchlein: Das Turnen im Spiel, von Moritz Kloß, empfehlen. Es enthält eine Auswahl der einfacheren Jugend- und Turnspiele, die mit 16 erläuternden Abbildungen gut illustrirt sind.
    D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 800. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_800.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)