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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

und meinten, jetzt könnte ich erst beweisen, ob ich wirklich Muth habe, da ein schönes Stückchen Probe unumgänglich vor mir läge, und bergab die Fahrt noch schlimmer als bergauf sei. – Es dauerte eine ganze Weile, ehe ich mich entschließen konnte, an den Heimweg zu gehen! Mit meinem sicheren Dahinschreiten war es vorbei, und ich hatte meine liebe Noth, mich an mehreren Stellen aufrecht zu erhalten. Nur dem festen Willen, den Blick weder nach oben noch unten, sondern scharf und gerade auf den Weg vor mir zu richten, hatte ich es zu verdanken, daß ich an der gähnenden Gefahr neben mir schadlos vorüber glitt. Durch meinen Muthwillen hatte ich mir für alle Zeiten die Möglichkeit verscherzt, furchtlos in einen Abgrund blicken zu können, obgleich meine Natur eigentlich nicht zum Schwindel geneigt ist. Selbst bei Tiefe von nur 40–50 Fuß sehe ich jetzt, was noch nie ein Mensch gesehen, daß sich die Erde dreht.

Walter v. S.     




Ein Züricher Brief. Sie sollen sich, mein lieber Freund, nach einer Erziehungspension in der deutschen Schweiz für eine junge deutsche Dame erkundigen. Ich gebe Ihnen gern Auskunft. Zunächst freue ich mich, daß Sie von der deutschen Schweiz sprechen. Die französische Schweiz ist zwar der eigentliche Sitz der Erziehungsinstitute für junge Damen. Die deutschen Schweizer selbst, wenn sie es eben können, schicken ihre Töchter mindestens auf ein Jahr in eine Pension der französischen Schweiz, und können sie es nicht, so tauschen sie in der Art, daß sie ihr Kind dorthin auf ein Jahr in eine Familie geben, wogegen diese ihnen ihr Kind auf so lange zusendet. Eine Sitte, die schon ein Schriftsteller zur Zeit Zwingli’s eine alte nennt. Aber dazu, daß die jungen Mädchen französisch parliren lernen, reicht das eine, wie das andere aus. Sie lernen in den Instituten auch Musik und etwas Englisch und ein Stückchen Botanik und Physik und ein wenig Geschichte hinzu, auch, da diese Institute. wenn sie sich dort halten wollen, fromm sein müssen, in diesem Sinne Religion. Eine gründliche und harmonische Ausbildung des Geistes und des Herzens zu verschaffen, dazu möchten aber nur sehr wenige der Dameninstitute in der französischen Schweiz im Stande sein. Für den Augenblick ist mir keine, die den Anforderungen genügen dürfte, bekannt, ich habe freilich keine specielle Bekanntschaft in der welschen Schweiz. Früher, weiß ich, war das berühmte Institut der Madame Niederer in Genf.

Um so mehr könnte es nun verwundern, daß in der deutschen Schweiz im Ganzen überhaupt ein Mangel an weiblichen Erziehungsinstituten herrscht. Man begnügt sich hier meist mit dem, was man in Deutschland höhere Töchterschulen nennt. Der Grund leuchtet indeß ein. Es ist eben jener Umstand, daß die deutschen Schweizer ihre Töchter in die französische Schweiz zu schicken pflegen. Der Mangel ist fühlbar da, freilich mit Ausnahmen, aber sehr wenigen. An ausreichende Erziehungsinstitute in den kleinen Cantonen und Städten ist nicht zu denken. Von den größeren Städten habe ich zunächst über ein derartiges Institut in Basel nichts gehört. Die Baseler sind auch wohl zu fromm. In Bern ist eine ausgezeichnete höhere Töchterschule unter der Leitung des Director Fröhlich. Sie leistet für Bern und den Canton außerordentlich viel Gutes. Aber sie ist, so viel ich weiß, nur Schule, keine Pension, jedenfalls mehr jenes als dieses.

Der Sitz ausgezeichneter weiblicher Erziehungsinstitute war früher Zürich und ist es jetzt wieder. Den bedeutendsten und verdientesten Ruf hatte früher das Institut des Fräulein Stadlin, jetzt Frau des hiesigen Regierungs-Präsidenten Zahnder. Sie hatte es aber schon vor zehn Jahren eingehen lassen. Darauf folgte das Institut Brugg. Töchter des Dr. Brugg leiteten es mit Talent, Geschick und Glück. Der Vater starb, darauf die eine Schwester; die andere hat sich verheirathet. So mußte es ebenfalls eingehen. In völlig würdiger Weise ist seitdem an seine Stelle das Institut Kapp getreten. Es existirt noch, es ist noch in vollem, frischem Aufblühen begriffen.

Dr. Kapp, Prorector und erster Oberlehrer am Gymnasium zu Soest in Westphalen, hatte dort mit seiner Frau Ottilie, geborene von Rappard, der bekannten Schriftstellerin, schon im Jahre 1842 ein weibliches Erziehungsinstitut errichtet, das vortrefflich geleitet wurde. Als er im Jahre 1854, müde der fortwährenden Vexationen des Ministeriums Manteuffel-Raumer, die ihn nicht minder als seinen Bruder, den bekannten ausgezeichneten Gymnasialdirector Friedrich Kapp in Hamm, trafen, seinen Abschied genommen hatte, siedelte er mit seiner Familie nach Zürich über, um sich hier ausschließlich der Erziehung der weiblichen Jugend zu widmen. Er hatte anfangs mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen, fremd im fremden Lande, es war natürlich. Er hat sie überwunden, und sein Institut ist, wie gesagt, in vollster und frischester Blüthe. Schon das muß für seinen Werth bürgen.

Ich kann Ihnen aber auch selbst für diesen einstehen. Ich habe schon mehrere junge Damen aus Deutschland hin empfohlen. Sie waren aufgehoben, wie zu Hause, sie lernten etwas Tüchtiges, Solides, sie kamen reich ausgebildet an Geist und Herz, und natürlich und ungeziert zurück. Was wollen Sie mehr? Die Eltern waren mir dankbar und sind es noch. Ich bin überzeugt, auch die Angehörigen der jungen Dame, für die Sie anfragen, werden mir für die Empfehlung Dank wissen. Einzelnes brauche ich Ihnen danach wohl nur noch wenig zu schreiben. Die Eltern der Dame werden sich ja auch an Kapp selbst wenden. Ich bemerke Ihnen daher nur, daß Kapp und seine Frau selbst Unterricht ertheilen und zwar mit ihren beiden Töchtern. Von diesen war die Eine mehrere Jahre Lehrerin im Elisabeth-Institut zu Berlin, die Andere Erzieherin in einer englischen Familie. Außerdem ist eine Französin für den Unterricht und die Conversation in der französischen Sprache, sowie eine Engländerin für das Englische da, wie einzelne Lehrer aus der Stadt noch in einzelnen Fächern unterrichten; ein Prediger besorgt den Religionsunterricht. In dem Institute sind gegenwärtig junge Mädchen – von zwölf bis achtzehn Jahren – aus Deutschland, England, Frankreich (unter Andern drei aus Bordeaux), Italien und der Schweiz, auch aus der französischen. Manche davon wollen sich zu Lehrerinnen und Erzieherinnen[WS 1] ausbilden, und nicht blos von diesen habe ich schriftliche Ausarbeitungen gesehen, die meine Bewunderung erregt haben.

So, mein lieber Freund, glaube ich, können Sie auch mit gutem Gewissen jene junge Dame hierher schicken lassen, nach dem schönen Zürich, dem schweizerischen Athen, wie sie in der Schweiz selbst es nennen, an den herrlichen See, den mancher andere an Großartigkeit und wilder, romantischer Schönheit übertreffen mag, aber an Anmuth und Lieblichkeit keiner.




Auch eine Rabenmutter. Am 15. Mai d. J. ging ich, wie gewöhnlich, nach dem eine halbe Stunde von meinem Wohnorte entfernt liegenden Gute Volkhausen, um daselbst Privatunterricht zu ertheilen. Mit den Worten: „Ich kann Ihnen etwas Neues zeigen, was Sie nicht alle Tage sehen,“ empfing mich Herr Volkhausen, ein sinniger Beobachter der Natur; „in der Nähe lasse ich eine Eiche fällen, auf der sich ein Rabennest befindet; wollen wir nicht sehen, wie sich die Alten verhalten werden?“

Sehr gern ging ich mit. Eben kamen wir noch zu rechter Zeit; denn die Eiche konnte den gewichtigen Axtschlägen nicht lange mehr widerstehen. – Schon von Weitem hatten wir gesehen, wie der Rabe – es war nur einer da – in immer engern Bögen das bedrohete Nest umkreisete. Jetzt neigt sich der Baum. Die Jungen mögen ihre Mutter – sie war es, wie sich nachher ergab – um Hülfe gefleht haben; denn pfeilschnell senkt sich der alte Rabe auf sein Nest. Noch ein paar Hiebe – und der Baum liegt an der Erde. „Wo ist das Rabennest?“ fragten selbst die rohen Arbeiter. Es war noch da, und auf ihm der alte Rabe, von einem Aste erschlagen, im Tode noch zwei seiner Jungen mit seinen Flügeln deckend!

Retzen bei Lemgo, den 2. Dec. 1860.  

H. Brockhausen     

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Nicht zu übersehen!

Mit dieser Nummer schließt das vierte Quartal, und ersuchen wir die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das erste Quartal des neuen Jahrgangs schleunigst aufgeben zu wollen.

Von nächster Nummer ab erscheint unsere Zeitschrift in einer Auflage von mehr als

100,000 Exemplaren.

Wir sehen in dieser, in Deutschland einzig dastehenden Verbreitung nur eine neue Aufforderung, unsern bisherigen Bestrebungen und Tendenzen treu zu bleiben, und hoffen unsern vielen Freunden schon in den nächsten Nummern zu beweisen, wie ernst wir es mit diesen meinen.




Außer den trefflichen Beiträgen eines Bock, Schulze-Delitzsch, B. Auerbach, Beta, Max Ring, Kossak, L. Storch, W. Hamm, Fr. Oetker, Temme, G. Hammer, Mor. Hartmann, Otto Ruppius, Frauenstedt etc. etc. kommen im nächsten Quartal zum Abdruck:
Vor dreißig Jahren, von Edm. Hoefer – Der Festungs-Commandant, von Lev. Schücking (Schluß der Frohn’schen Abenteuer) – In der Wildniß, von Fr. Gerstäcker – Elf Blutzeugen deutscher Freiheit. Erinnerung aus den Zeiten französischer Herrschaft. Originalmittheilung – Erlebtes in Friedensjahren und Kriegsmonaten, von Fr. Annecke – Acht Jahre im Kaukasus. Mit vielen prachtvollen Originalbildern, gefertigt im Auftrage der russischen Krone – Im Sinaikloster, von Prof. Tischendorf – Der Dichter Raimund und Therese Krones, von Alb. Traeger – Ein norwegischer Vogelberg, von Alfr. Brehm – Der Mann des rothen Buches – Thier-Charakterbilder: die Fischotter, der Schwarzspecht – Das Schlachtfeld der Natur, von Louis Büchner – Der Gang zu einem Lumpenhändler – Ein Blick in die Geschichte der Pflanzen, von Berth. SigismundWissenschaftliche Erklärung des Tischrückens. Mit Abbildungen. – Der deutsche Fürst, wie er sein soll, mit dem Herzen für Reich und Volk, von W. Zimmermann (Verfasser des Bauernkrieges), mit Illustrationen von Camphausen in Düsseldorf – Die Telegraphie. Mit vielen erläuternden Abbildungen – Befreiung einer Abtheilung Lützower Jäger. Erinnerung eines Siebenzigjährigen – Die Juden in Rom und die heilige Inquisition.
Auch die

Deutschen Bilder – und – Scenen aus dem Leben deutscher Dichter, mit Illustrationen,

werden fortgesetzt.

Leipzig, im December 1860.

Ernst Keil.

Illustrirter Jahrestitel und Register 1860 werden mit Nr. 2 des neuen Jahrgangs ausgegeben.


Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Erzieherinen
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 832. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_832.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)