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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


den durchgreifenden Grundsatz, daß der Angeklagte nur zu seiner Vertheidigung zu hören sei, daß er zu keiner Erklärung gezwungen werden könne, daß Zwangsmittel jeder Art, um ihn zu irgend einer Aussage zu nöthigen, verboten seien. Nur so weit, Herr Präsident, kann also auch Ihr Recht des Verhörs gehen, und nachdem der Angeklagte durch seinen Protest, dem ich mich anschließe, und für den ihm ein unangreifbarer Grund der Ehre besteht, erklärt hat, daß er auf keine einzige Frage antworten werde, möchte ich Sie, Herr Präsident und meine Herren Richter, dringend bitten, von einem Beschlusse abzustehen, zu dessen Ausführung Ihnen jede Macht und jedes Mittel fehlt.“

Die letzten Worte waren mit großer Bestimmtheit gesprochen. Der Präsident verfärbte sich leicht. Die Richter sahen sich etwas befremdet an. Der Vertheidiger hatte Recht. Aber noch kein Angeklagter und Vertheidiger hatte hier bisher auf diesem Rechte bestanden, nur daran zu erinnern gewagt. Was nun machen? Die Frage trieb dem Präsidenten das Blut in das Gesicht und wieder hinaus, machte die Richter verlegen. Dem fremden Vertheidiger nachgeben? Oder einen Beschluß fassen, den man in der That nicht ausführen konnte?

Der gewandte Staatsanwalt kam dem Präsidenten zu Hülfe.

„Herr Präsident,“ nahm er das Wort, „ich finde meinerseits keine Veranlassung, auf einem Verhöre des Angeklagten zu bestehen. Die Wahrheit wird durch die Zeugen herausgestellt werden. Will der Angeklagte durch sein Schweigen sie und seine Schuld bestätigen, das Recht kann nur dadurch gewinnen, und als oberster Wächter des Rechts und des Gesetzes darf ich daher den Antrag stellen, dem Protest des Angeklagten und seines Vertheidigers stattgeben zu wollen.“

„Die Lage der Sache wird durch diese Erklärung geändert,“ bemerkte der Präsident. „Das Zeugenverhör wird beginnen.“

Die Lage der Sache war auch in anderer Beziehung geändert.

Die Stimmung des Saales erklärte sich gegen den Angeklagten. Man las deutlich auch auf den Gesichtern der Geschworenen: Er fürchtet, sich durch seine Antworten zu verrathen; er ist lebhaft, stolz. Sein Vertheidiger fürchtet es wohl noch mehr. Das Gesicht des Vertheidigers blieb unbeweglich.

Die Zeugen wurden vernommen, Einer nach dem Andern, wie das Gesetz es vorschrieb.

Zuerst die beiden Officiere, Cameraden des getödteten Grafen Hochhausen. Sie waren mit diesem am Abende vor seinem Tode zusammen gewesen, in der Garnisonstadt, zwei Meilen von Schloß Hard entfernt. Der Graf hatte sie um neun Uhr Abends verlassen. Er habe ein dringendes Geschäft, hatte er gesagt. Was es sei, hatte er nicht sagen wollen. Sie hätten ihm dennoch irgend ein Geheimniß angemerkt. Von einem Verhältnisse zwischen ihm und der Freifrau wußten sie nichts. Sie hatten ihn einmal mit der schönen Frau necken wollen; er hatte es sich so ernst verbeten, daß sie nie wieder daran gedacht hatten. Der Graf Hochhausen war ein Ehrenmann im vollsten Sinne des Worts, erklärten sie. Daß das auch die Meinung des Saales sei, zeigten die Mienen der Richter, der Geschworenen, der Zuhörer. Die Sache des Angeklagten gewann dadurch nichts. Aber es schien ihn wenig zu kümmern. Er saß da, als wenn die ganze Versammlung ihn nichts angehe.

Der Vertheidiger war um so aufmerksamer; allein in seinem Gesichte suchte man vergebens nach irgend einem Eindrucke, nach irgend einer Bewegung. So blieb es ferner. Nur einmal sah ich den Vertheidiger plötzlich aufzucken. Ein Zug des Unwillens flog durch sein Gesicht, dann einer heftigen, stechenden Angst. Aber wie ich es sah, war es auch schon wieder vorüber.

(Fortsetzung folgt.)



Wandernde Künstler.
Was sind wandernde Künstler – Die Albinodame – Wandernde Heilkünstler, Elektriseure – Kameel- und Bärenführer – Wilde Neger – Die Eskimos und die nicht verzehrten Kaninchen.


„Kunst bringt Gunst,“ so lautet ein altes Sprüchwort. Es ist dies aber nur ein Minoritätsgutachten unserer biedern Vorfahren, denn zwei andere Sprüchwörter lauten, das eine: „Kunst geht nach Brod!“ das andere sogar: „Kunst geht betteln.“

Ob unsere oft sehr schalkhaften Ahnen damit schon jenen Theil der Künstlerwelt gemeint haben, den unsere Ueberschrift bezeichnet, muß dahingestellt bleiben, unmöglich ist es jedenfalls nicht. Ist es der Fall, dann haben sie allerdings blos die prosaische nüchterne Seite derartigen Künstlertreibens hervorgehoben; es wäre aber traurig, wenn es nicht noch andere Ansichten der Sache gäbe, und diese einigermaßen vorzuführen, soll hier versucht werden.

Es muß hier zunächst ausgesprochen werden, daß bei der Bezeichnung „Wandernde Künstler“ letzteres Wort in seiner allerverwegensten Bedeutung zu verstehen ist. Nicht etwa daß wir hier die Schauspieler in’s Auge zu fassen hätten, welche von einem kurzen Engagement zum andern ziehen, oder dergleichen Sänger, ebenso wenig andere den höheren Richtungen dienende Künstler, nein, gegenwärtige Betrachtungen sollen jenen Künstlern gelten, welche als treue Begleiter der Messen, Jahrmärkte, Vogelschießen und ähnlicher Feste sich bei uns einfinden und uns belehren und erheitern. Man beachte wohl: Alle diese Leute sind Künstler, gleichviel ob es Mitglieder der Renz’schen Kunstreitergesellschaft oder Inhaber eines Affentheaters sind, denn es giebt hier keine Grenze; Harfenisten und Wahrsager, Menageriebesitzer und Athleten, Inhaber von Wachsfigurencabinets oder anatomischen Museen, kurz Alle, die uns für unser Geld etwas sehen oder hören lassen, rechnen sich zur edlen Kunst.

Es kann hier nicht die Rede sein von den ersten Größen der wandernden Künstlerwelt, sie erheischen besondere Besprechung. Wohl aber mag hier gezeigt werden, wie der bescheidene Anfang vieler solcher renommirter Namen ist. Denn wenn uns bei einem Rafael, einem Michel Angelo und andern Sternen der Kunstwelt stets der Weg höchlich interessiren muß, auf welchem sie das, was sie waren, geworden sind, warum nicht auch hier? Wie jeder französische Soldat den Marschallstab in seinem Tornister trägt, so liegt in jedem Besitzer eines abgerichteten Affen der Keim zu einem großen Menageriebesitzer oder einem Kunstreiterdirector, und wie viel Tausende solche Leute commandiren, ahnt Mancher nicht.

Statt weiterer Auseinandersetzungen sollen nur einige Schilderungen von Besuchen bei solchen Anfängern folgen, die am besten dazu dienen werden, einen Einblick in diesen Geschäftsbetrieb zu gewähren. Es war die erste in der Reihe der Schaubuden auf der Leipziger Messe, vor welcher ein Gemälde, auf welchem ein pechschwarzer Adler zwischen zwei großen Schafen sich emporschwang, mich zum Eintritt veranlaßte. Drinnen wandelten statt der versprochenen zwei sogar drei Schafe mit etwas verschiedenem Gehörn und Hunger umher. Daneben mahnte eine ausgestopfte Gemse ohne Hörner und Ohren mächtig an die Vergänglichkeit des Irdischen und ein gleichfalls ausgestopfter Haifisch, welcher mir (ich war nämlich das ganze Publicum), meinem Sträuben zum Trotz, als der berühmte Delphin octroyirt wurde, zeigte seine Zähne und das dazwischen hervorlugende Werg einem daneben placirten Steinadler. Dieser, der zur Abwechselung wieder lebendig war, konnte sich, wenn er es geschickt anfing, vollständig in seinem Käfig umdrehen und wurde beharrlich drangsalirt, einen Ton von sich zu geben, welcher seinen Namen bedeutete. Er that dies auch endlich, um nur wieder Ruhe zu haben, und nun begann die zweite Abtheilung, die Vorstellung einer Albinodame, welche zugleich Wahrsagerin war.

Die reisenden Albinos, und natürlich auch diese Dame, sind alle von der Landenge von Panama, wo sie als Kinder in Höhlen leben, weil sie das Tageslicht nicht vertragen. Der Wiener Dialekt der hier gezeigten Dame, auf den ich mir erlaubte aufmerksam zu machen, rührte, wie sie das selbst mit untadelhaftem Ernst versicherte, davon her, daß sie als vierjähriges Kind nach Wien gebracht und dort erzogen worden war.

Nach dieser Auseinandersetzung ging es an’s Entrollen der Zukunft. Es waren nämlich vier junge Mädchen eingetreten, welche

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_100.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)