Seite:Die Gartenlaube (1864) 026.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

seggt, dat geiht nich anners, so segge ick, dat mutt anners gähn.“[1]

So wußte ich also, wo der Schuh drückte. Ich gestehe, ich fühlte ganz so, wie der alte Bauer. Hätte ich an seiner Statt gelegen, auch mir wäre der Gedanke unerträglich gewesen, daß, sobald ich die Augen geschlossen, das ganze Haus ausgeräumt und Alles verschachert werden würde. Der Mann hatte um so mehr Recht, da der Grunderbe schon in einigen Jahren die Stelle selbst antreten konnte.

Doch wie da helfen? Das Gesetz brachte es allerdings so mit sich, daß die zu bestellenden Vormünder Alles verkaufen und die Stelle verpachten mußten, und da dieses im öffentlichen Interesse, zur Vorsorge für die Minderjährigen, angeordnet ist, so konnte es durch die Privatwillkür des Erblassers, durch Testament gültig nicht beseitigt werden, direct wenigstens nicht. Ich wußte lange nicht, was zu machen, bis mein Bauer selbst mir auf die Sprünge half, indem er meinte, er brauche ja seine Schwester nur zu seiner Wittwe zu ernennen, so daß sie dann den Nießbrauch und die Verwaltung habe. Aber wie das Gericht und die Vormünder zwingen, daß sie die Schwester des Erblassers als die rechtmäßige Vertreterin von dessen minderjährigen Kindern anerkannten?

Endlich fand ich einen Weg. Ich frug meinen Bauer, was er meine, ob, wenn er seine eignen Kinder zu Gunsten der Schwester bis auf den Pflichttheil (im vorliegenden Falle ein Drittel des Erbtheils) enterbe, die Schwester alsdann von einer solchen Bestimmung wohl je zu eignem Nutzen Gebrauch machen werde, oder ob er überzeugt sei, daß dieselbe doch Alles, was sie von ihm bekomme, nur für die Kinder verwalten und diesen beim Eintritt der Volljährigkeit getreulich abliefern werde. Ohne Besinnen erklärte er: „Wat myne Süster (Schwester) hätt, datt heft ook myne Kinner. Dat is all eens (einerlei), wer’t kriggt, wenn’t man nich All verkofft ward.“ Damit war weiter zu kommen. Die Eltern können nämlich ihre Kinder willkürlich bis auf den Pflichttheil, also bis auf ein Drittel des ihnen sonst zufallenden Erbtheils, enterben. Dürfen sie dies willkürlich, ohne Angabe jeglichen Grundes thun, so können sie es auch für einen bestimmten Fall, unter einer bestimmten Voraussetzung, wenn Dies oder Das eintritt, einerlei, ob das Eintretende von dem Willen der Erben oder dem Willen Dritter abhängt.

Ich machte also folgendes Testament: Henken-Frers setzt als seine Erben ein: seine beiden Kinder, welche seinen Nachlaß nach Gesetz und Herkommen unter sich theilen sollen. Die Schwester soll aber bis zur Volljährigkeit der Erben den Nießbrauch und die Verwaltung des gesammten Nachlasses haben, ganz in dem Umfange, in welchem Solches einer Wittwe, deren Stelle die Schwester vertreten soll, gebühren würde, und soll deßhalb namentlich ohne Einwilligung der Schwester kein Stück von den Mobilien und Movenzien verkauft oder gar die Stelle verheuert (verpachtet) werden. Für den Fall aber, daß die Vormünder der Kinder die der Schwester vermachten Rechte nicht anerkennen wollten, oder vom Gerichte gezwungen würden, diese Rechte nicht anzuerkennen, enterbt Henken-Frers seine Kinder bis auf den Pflichtteil und ernennt als Erbin seines ganzen übrigen Nachlasses (also auf 2/3) seine Schwester, die für diesen Fall – einerlei, durch welche Veranlassung derselbe eintritt – seinen ganzen Nachlaß in Natur zu sich nehmen und den Kindern nur den Pflichttheil in Gelde herauskehren soll.

Gegen eine solche Bestimmung ließ sich rechtlich Nichts einwenden. Ich durfte auch sicher annehmen, daß das Gericht die Rechte der Schwester nicht anfechten und damit veranlassen werde, daß die Kinder nur den Pflichttheil erhielten. That das Gericht dies aber dennoch, nun, dann kam freilich Alles auf die Ehrlichkeit und Treue der Schwester an. Der alte Bauer, dem ich dies und den ganzen Sinn der getroffenen Bestimmungen auseinandersetzte, begriff mich sofort vollständig, hatte nicht die geringsten Bedenken und meinte schließlich, fast triumphirend: „Na, seht Seh nu woll, wenn man mann (nur) will, so geiht ett doch.“


Das Geschäft war beendet. Die sieben gesetzlichen Zeugen aus der Nachbarschaft, „eigens zu diesem Geschäfte geladen und freiwillig erschienen“, hatten gesehen, daß der Testator das Testament eigenhändig unterschrieben, und hierauf das Testament ihrerseits sämmtlich als Zeugen (mitunter nicht ohne Mühe) mit unterzeichnet, sie hatten vorschriftsmäßig ihr Siegel (oder vielmehr, da sie Alle kein Siegel führten, das meinige) neben ihre Namen gedruckt und damit den durch nichts Fremdartiges unterbrochenen Act geschlossen. Bereits hatten sie sich entfernt, und auch ich rüstete mich zum Aufbruch. Doch daran war noch nicht zu denken. Der alte Bauer stellte mir ruhig und treuherzig vor, es sei nun das letzte Mal, daß er mich sehe, ich hätte ihm schon oft zur Seite gestanden und ihm heute dazu verholfen, daß er ruhig sterben könne, drum bitte er mich, doch zu guter Letzt noch ein Stündchen bei ihm zu sitzen und mit ihm zu verplaudern. Ich that es gern, obgleich diese stoische Ruhe mir nachgerade fast unheimlich zu werden begann. Der Tisch vor dem Alkoven wurde gedeckt; ich ließ mir den geräucherten Schinken, das Schwarzbrod und die frische Butter schmecken und fand selbst in dem vorgesetzten Rothweine ein ganz erträgliches Glas St. Julien. Wir schwatzten über alles Mögliche, über die Chaussee, welche durch das Dorf geführt werden sollte, über den Landtag (dessen Verhandlungen der Bauer sogar aus den stenographischen Berichten kannte), von der Synode und Aehnlichem weiter. Vom Sterben war keine Rede mehr, und mein Bauer sprach über alle Dinge mit derselben Theilnahme, als wenn er noch lange zu leben gedächte. Ich wußte nicht, was ich aus dem Ganzen machen sollte. An Einbildungen und ungegründeter Todesfurcht konnte doch der Mann nicht leiden! Aber den Tod so vollständig als etwas für den Hauptinteressenten ganz Gleichgültiges anzusehen, wenn die Angelegenheiten auf Erden nur zur Zufriedenheit geordnet sind – an eine solche Auffassung konnte ich mich doch auch schwer gewöhnen. Ueberdem erwähnte mein Bauer das ihn nach seinem Hintritte Erwartende mit keiner Sylbe, sondern schien den Tod eben als sein wirkliches Ende anzusehen.

Indeß meine Zeit war um. Ich mußte meinem alten Freunde nochmals feierlich geloben, dafür zu sorgen, daß nach seinem Tode Alles so bleibe, wie es jetzt war, und auf seinen Wunsch das Testament mit und in meine Verwahrung nehmen. In den nächsten Tagen – so sagte er – wenn er gestorben, werde der Bruder kommen und das Testament abholen.

Und am dritten Tage erschien richtig der Bruder und nahm das Testament in Empfang. Er erzählte mir, daß der Alte sanft eingeschlafen sei, nachdem er vorher von allen Angehörigen mit der größten Ruhe Abschied genommen habe. Zwar wurden die Bestimmungen des Documentes etwas sonderbar befunden, blieben jedoch, nach einigem Bedenken, von Seiten der Vormünder unangefochten. Dem Alten wird also die Ruhe im Grabe nicht gefehlt haben.

Rechtsanwalt A. Niebour in Varel.     


  1. Den Schimpf und die Schande möchte ich doch um die ganze Welt nicht haben, daß man hier im Hause in allen Ecken herumstöberte, unser Gut zusammentrüge und Alles öffentlich für Geld verkaufte. Und das sollte mein Sohn mit ansehen? Und dann sollte hier auf unserer Stelle ein Pächter sitzen und das Land aussaugen, um möglichst viel Geld daraus zu machen? Nein, das kann nicht angehen und das soll nicht angehen, und dafür müssen Sie sorgen, daß es nicht angeht, sonst kann ich nicht ruhig sterben. Ich bin doch Herr auf meiner Stelle, und wenn der Herr Amtmann sagt, das geht nicht anders, so sage ich, das muß anders geben.“




Ein deutscher Trollhätta-Canal.

So nannten wir in Nr. 42 des Jahrg. 1862 der Gartenlaube ein deutsches Meisterwerk der Wasserbaukunst, und zwar mit Unrecht, denn selbst dieses berühmte schwedische Weltwunder übertrifft es nur in seinen Dimensionen, erreicht aber keineswegs die Großartigkeit des Gedankens, der den Elbing-Oberländischen Canal der Provinz Preußen in’s Leben rief. Denn während der Trollhätta-Canal nur aus Schleußenwerken besteht, bewältigt unser deutsches Canalwerk seine schiefen Ebenen mit Hülfe der Eisenschienen, auf welchen riesige Wagen unsere Schiffe von 1200 Centner Last über eine Höhe von mehr als 300 Fuß von Wasser zu Wasser tragen. Wir haben ein Recht, unseren Elbinger Canal ein Bauwerk zu nennen, das von keinem zweiten in der Welt übertroffen ist, denn selbst der Morris-Canal in Nordamerika, dessen Einrichtung dem unsern zum Muster diente, schadet dem Ruf desselben nicht, weil er nur Schiffe von höchstens 700 Centner Last befördern kann.

Ein Blick auf die Karte des preußischen Oberlandes zeigt uns

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_026.jpg&oldid=- (Version vom 11.1.2021)