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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

„Das sind Fabeln,“ sagte sie und wandte sich ab.

„Freilich wohl – wie ich aber jetzt so dasitz’ vor Dir, ist mir, als wär’ es doch wahr und als hätt’ mich ein saliges Fräulein hereingeführt in sein Reich.“

Ein schwaches Roth überflog die bleiche Wange des Mädchens. Geräusch von außen entriß sie der Verlegenheit und ersparte ihr die Antwort. Auch der Fremde vernahm das Geräusch und sprang auf, aber nicht mit der Haltung eines erschrockenen Händlers, sondern mit der eines Mannes, der sich zu vertheidigen entschlossen ist. „Ich hör’ Fußtritt’,“ sagte er mit eigenthümlicher Betonung. „Gilt’s Dir, Sennerin? Ist das Dein Schatz, der an’s Fenster kommen will …?“

„Ich hab’ keinen Schatz,“ rief sie unwillig und mit tiefer Gluth übergossen, „die Bauern werden’s sein, die drunten einen Verhack machen … Die rebellischen Tiroler sind uns angesagt worden … Mach’, daß Du fortkommst!“

Er zögerte. „Warum?“ sagt er. „Ich fürcht’ sie nit, Alle miteinander …“

„Fort, sag’ ich, fort!“ rief sie wieder, ängstlich durch’s Fenster spähend. „Ich will nit, daß sie Dich bei mir antreffen, und Du als Tiroler hast auch nit Ursach’, daß Du auf sie wartest … Geh’, sag’ ich … Dieweil sie vorn herein kommen, kannst Du hinten durch den Stall hinausschlupfen! … Aber halt’ Dich rechts … gegen die große Buchen zu … links geht’s hinunter über die lange Wand …“

Der Fremde schrak zusammen. „Sorg’ Dich nit um mich, Sennerin,“ sagte er, „ich kenn’ mich wohl aus … bin nit ganz zum allerersten Mal in der Gegend … Aber meinetwegen, ich geh’, weil Du’s so haben willst … aber wenn’s nit heut’ Nacht noch zu End’ ist mit mir, so komm’ ich wieder …“

Er schlüpfte hinaus. Beinahe gleichzeitig erschien Lipp mit einigen von den bewaffneten Bauern in der Hüttenthür. Er blieb stehen und sah spähend in allen Winkeln umher. „Bist allein, Sennerin?“ sagte er mit lauerndem Hohn.

„Du siehst es wohl,“ antwortete sie barsch. „Hast noch keine Sennhütten gesehen, weil Du so herumsuchst?“

„Wie man sich doch irren kann!“ fuhr er wie zuvor fort. „Ich hätt’ darauf schwören mögen, ich hätt’ reden hören in der Hütten …“

„Ich werd’ wohl mit mir selber gered’t haben,“ entgegnete sie trotzig und ebenfalls nicht ohne Spott. „Aber was willst Du mit den Männern noch heroben bei mir?“

„Wir machen eine Streif’,“ antwortete Lipp, „der Hiesenfranz ist Posten gestanden an der Obernach hinauf und hat gesagt, er hat ein Mannsbild daherkommen sehn, und wie er ihn angerufen hat, ist er umgeschlagen wie ein Fuchs und hinauf in den Wald … Den suchen wir und haben nur fragen wollen, ob Niemand zu Dir ’kommen ist …“

„Schaut selber,“ sagte sie, „aber macht, daß Ihr weiterkomm t…’s ist Zeit, ich will schlafen gehn …“

Zögernd und unwillig trat Lipp aus der Thüre, die sogleich hinter ihm geschlossen wurde. Auch das Licht erlosch unmittelbar: das Mädchen, von einer Fluth neuer, gewaltiger, unklarer Gefühle bestürmt, verlangte Dunkel und Einsamkeit – angekleidet warf sie sich auf’s Lager, barg das glühende Gesicht in dem Heukissen und weinte bitterlich.




2.

Der Flüchtling hatte sich, als er aus der Hütte getreten war, auf den Boden in’s Gras niedergeduckt und war unhörbar und unsichtbar bis an den Waldrand vorgekrochen, wo Haselstauden und Schlehengebüsch ein finsteres Dickicht bildeten und ihn verbargen. Keiner der Streifer hatte ihn bemerkt; die Bauern waren voll Eifer, aber zu ungeübt in solchen Dingen; den Wald und alle Waldwege hielten sie so genau bewacht, daß kein lebendiges Geschöpf unentdeckt durchzuschlüpfen vermocht hätte – daß man auch durch’s Gras gleiten könne, wie eine Natter, dachten sie nicht.

In dem Gebüsche blieb der Teppichhändler liegen und wartete athemlos, bis die Männer alle sich gesammelt hatten, die Sennhütte wieder verließen und abzogen. Wenige Schritte von ihm tappten sie sich in den ziemlich steil absinkenden Waldpfad hinein, er konnte beinahe die Gesichter unterscheiden, er hörte und verstand jedes Wort, das sie sprachen – sie dagegen konnten sein Blätterversteck nicht durchdringen, denn es war ziemlich dunkel, und dichte Wolkenmassen, von einer hochgehenden Windströmung gejagt, zogen an der schwachen Sichel des abnehmenden Mondes vorüber.

Bald war Alles verschwunden und nichts mehr zu hören, als das Rauschen der Büsche am Waldrande, welche der Windstrich noch erreichte, da erhob sich der Tiroler und blickte vorsichtig über die Almblöße und nach der Sennhütte hinüber. Dann huschte er längs des Gebüschsaumes der großen Buche zu, welche nach rechts hin die mächtige Krone schwarz in die Nacht emporhob. Unter dem beinahe völlig finstern Laubgewölbe angelangt, hielt er wieder an, blickte nochmal nach der Hütte zurück und starrte einige Augenblicke nach der gegenüberliegenden Seite hin, wo die Linie des Berges sich scharf vom grauschwarzen Nachthimmel abhob – es war die Stelle, von wo die lange Wand in die Tiefe stürzte. Er nahm den Hut ab, hielt ihn zwischen den gefalteten Händen vor die Brust und murmelte unverständliche Worte in sich hinein. Dann schien er sich aufzuraffen und trat unter dem Baume vor, aber wieder nur, um neuerdings sich besinnend stille zu stehn. Er dachte noch ein Versteck aufzufinden, wo er die Nacht unentdeckt zubringen konnte, denn es schien ihm nicht rathsam, seinen Weg weiter zu nehmen, da die Bauern der Gegend einmal beunruhigt waren und leicht durch irgend einen Anlaß dazu gebracht werden konnten, ihre Streiferei nochmal zu beginnen. Bei Tag konnte er jeden Feind eher gewahr werden und durfte dann hoffen, unangefochten die Mündung des Jachenauerthals zu erreichen und von dort über den Kesselberg in die Ebene zu gelangen, zumal wenn er sich nicht an die bewohnte Seite des Sees hielt, sondern ihn an dem einsamen rechten Gestade, wo keine menschlichen Ansiedelungen waren, im weiten Bogen umging. In dem Sinnen und Umherspähen fiel ihm nach rückwärts ein kleiner weißgrauer Fleck in’s Auge, der sich mit verschwimmenden Umrissen aus dem umgebenden Walddunkel erhob. „Das muß die alte Lienhardi-Capellen sein,“ sagte er vor sich hin, „da hab’ ich schon manche Nachtstund’ verpaßt, bis die Jäger daheim gewesen und auf den Ohren gelegen sind – die Thür’ laßt sich aufheben mit einem tüchtigen Ruck … ich will hin … von dort ist auch nicht weit nach der Alm herüber … denn so kann ich nicht fort, das spür’ ich wohl, einmal muß ich noch herkommen, muß die Hütte wiedersehen, und …“

Das Weitere verhallte im Nachtwind, und der Wald nahm den Flüchtling in seinen schützenden Schooß.

Die streifenden Bauern waren unterdessen längst bei dem Verhau angelangt, hinter welchem die Mehrzahl verschanzt lag und Wache hielt. An einer besonders schmalen Stelle des Thalsträßchens, wo die Felsen zu beiden Seiten enger herantreten, waren einige der größten Fichtenbäume niedergehauen und lagen mit dem Gewirr ihrer Aeste quer über den Weg; der Platz war passend und mit unverkennbarem kriegerischem Geschick gewählt, vermuthlich lebte es in der Ueberlieferung fort, daß er schon öfter zu ähnlichem Zweck mit Erfolg verwendet worden war. Einige saßen und lehnten halbschlafend auf der grünen Brustwehr, während die meisten um ein weiter rückwärts angezündetes Wachtfeuer saßen, dessen Schein das Vordach einer alten, verlassenen Köhlerhütte beleuchtete. Nach vorn zu, das Sträßchen entlang, waren auf hervorragenden Stellen Schildwachen ausgestellt, um Alles, was etwa des Weges kam, zu melden und anzuhalten. Der Revierförster, ein alter, ausgedienter Soldat, der mit den bairischen Reichstruppen den siebenjährigen Krieg mitgemacht, hatte die alte Kenntniß hervorgesucht und mit Geschick angewendet.

(Fortsetzung folgt.)




Eine traurige Geschichte aus London. An einem Spätsommerabende dieses Jahres ging ich in Begleitung meiner Frau durch einen der zahlreichen öffentlichen Plätze im Westen von London. Der Ausdruck „öffentlicher Platz“ bedarf in etwas der Modifikation: die Squares in London sind bekanntlich nur insoweit als öffentliche Plätze anzusehen, als die Wege, von denen sie eingefaßt sind, in Betracht kommen; der eigentliche freie Platz ist mit einem etwa 5 Fuß hohen eisernen Gitter umgeben und nur denen zugänglich, welche in dessen nächster Nachbarschaft wohnen und gegen Bezahlung einer gewissen monatlichen Summe einen Schlüssel und damit das Recht erhalten, die meist recht hübschen Gartenanlagen als Promenade zu benutzen. Es war bereits spät, kurz vor 10 Uhr Nachts, und nur wenige Spaziergänger belebten noch die nicht zu dem geräuschvollsten Theile Londons gehörenden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_031.jpg&oldid=- (Version vom 13.7.2021)