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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Ein Patriot im Priesterrock.

Das Licht zieht den Geist an, den Geist in jeder Form, auch in der des kämpfenden Glaubens, der mehr als ein Mal selbst ein Führer zum Lichte war. Mußten wir es nun leider nicht selten erfahren, mit welch’ rührigem Eifer die Feinde des Lichts jede politische Dämmerung sogleich für den Dienst der Finsterniß ausbeuteten, und wie unter diesen ein zur Pfaffenschaft hinabgesunkener Theil der Geistlichkeit sich stets am ungescheutesten in den Vordergrund drängte, so begrüßen wir es als eine um so tröstlichere und erhebendere Erscheinung, wenn in Tagen, wo um Licht und Recht der Kampf von Neuem entbrennt, auch die Kirche dem Volk wackere Streiter sendet. Mit hoher Achtung blicken wir auf die Geistlichen in Schleswig-Holstein, die abermals für ihrer Heimath Recht und Ehre die Gefahren des Elends wagen, und auf ihre Amtsbrüder in vielen deutschen Ländern, die ebenso mannhaft für sie auftreten. Und mit demselben Stolze dürfen wir auf manchen braven Mann der Kanzel blicken, der, als das deutsche Volk nach der Befreiung von Napoleon’s Sclavenketten rang, grade im Unglück sich als Held bewährte. Denn die festlichen Erinnerungen an die große Zeit der Erhebung des deutschen Volkes vor funfzig Jahren rufen das Andenken auch an solche Männer wach, die, wenn auch nicht durch glänzende Thaten auf dem Schlachtfelde, doch durch nicht minder ehrenwerthe Handlungen und eine eben so glühende Liebe zum Vaterlande sich ausgezeichnet haben.

Ein solcher Patriot im besten Sinne des Wortes war der Mann, dessen Charakterbild ich in den folgenden Zeilen zu zeichnen versuchen will, und die Gartenlaube, die bereits in anerkennenswerthem Streben so viel gethan hat, das Andenken an eine große Zeit und an ihre Helden von Neuem zu beleben, wird auch dem kurzen Lebensabriß eines einfachen Landgeistlichen, der sich als einer der besten Söhne des Vaterlandes erwies, den erbetenen Raum gewähren.

Carl Christian Immanuel Steinbrück wurde in einer kleinen Stadt in der Nähe Stettins auf dem linken Oderufer, wo sein Vater damals Rector und Nachmittagsprediger war, i. J. 1772 geboren. Nach gründlicher Vorbereitung, die er auf den Schulen in Colberg und Stettin erhielt, bezog er im Jahre 1792 die Universität Frankfurt a.O., um Theologie zu studiren, und zwar unter dem Einflusse des berüchtigten Wöllner’schen Glaubensedicts, dessen Verfolgungssucht die rationalistischen Docenten dadurch auszuweichen wußten, daß sie bei dem Vortrag ihrer mit dem von oben her „commandirten Glauben“ nicht in Einklang stehenden Forschungen ihren Zuhörern das Nachschreiben untersagten, dafür aber, nachdem sie ihrer Kritik den Zügel sattsam hatten schießen lassen, den eifrig lauschenden Jüngern eine durchaus gläubige Exegese und Dogmatik in die Feder dictirten, „damit sie solches im Examen vor der Glaubenscommission verwenden könnten.“ – Auch Heinrich Zschokke war damals sein Lehrer.

Nachdem Steinbrück länger Hauslehrer gewesen, erhielt er 1796 eine Pfarrstelle zu Friedland in Westpreußen. Hier finden wir ihn noch in dem verhängnißvollen Jahre 1806, wo das Unglück auch über diesen fernen Theil der preußischen Monarchie und seine Bewohner herein brach. Den unaufhaltsam vordringenden Franzosen kostete es nicht große Mühe, den polnischen Adel jener Gegenden aufzuregen, ihn zum Abfall vom Könige von Preußen zu bewegen und ihn zu Napoleon, „dem Großen, dem Unüberwindlichen“, hinüberzuziehen. Es galt nur noch, auch der preußischen Beamten sich zu versichern und sie mit Güte oder Gewalt zur Anerkennung des aus den ehemals polnischen Landestheilen mit Hülfe der Franzosen neu zu bildenden polnischen Reiches zu bewegen. Wie hierin selbst französische Officiere sich ungemein thätig erwiesen, davon erzählt der Prediger Steinbrück ein Beispiel. Wir lassen ihn selbst reden:

„Am 12. Novbr. 1806, bald nach ein Uhr Mittags, sprengte ein französischer Officier mit zwölf Husaren durch die Stadt, kam aber bald wieder zurück, indem er nur die Gegend vor dem Conitzer Thore recognoscirt hatte. Er stellte sich mit seinen Leuten auf dem Markte auf, schickte einige Mann als Posten an die Thore ab und forderte, daß die beiden Prediger (außer mir war noch ein katholischer Geistlicher in der Stadt) und der Bürgermeister sogleich zu ihm kämen. Ich, der ich dies vor meiner Thür hörte, antwortete in französischer Sprache: „„Mein Herr, ich bin der eine Prediger, den Sie suchen.““ Er antwortete: „„Das ist gut, laßt sogleich den Andern auch holen und stellt Euch hierher,““ wobei er mir mit dem Säbel den Ort anwies und einen Mann Wache an meine Seite stellte, damit ich nicht davonlaufen sollte. Meine Frau schrie und jammerte in der Thüre, ich mußte aber gehorchen. Jetzt befahl der Officier dem ebenfalls herbeigekommenen Bürgermeister Schmidt, die von ihm geforderten Bedürfnisse, Lebensmittel und Geld, zur Stelle zu schaffen, was auch geschah. Zu mir sagte er dann: „„Führt mich in eine Schreibstube!““ worauf ich ihm die Kämmerei vorschlug und zeigte. Der Officier und sein Maréchal de logis nahmen mich in die Mitte und führten mich dorthin als ihren Gefangenen. Hier forderte der Officier Schreibzeug und Papier, und als ihm dies gebracht war, sagte er zu mir: „„Napoleon hat diese Provinz bis an die Weichsel erobert und ist Euer Herr; ich nehme diese Stadt in Besitz, entlasse Euch hierdurch aus Euern Pflichten gegen den König von Preußen; Ihr habt keine Verbindlichkeiten mehr gegen ihn und müßt mir jetzt auf mehrere Fragen Antwort geben. Redet Ihr eine Unwahrheit, so werdet Ihr in’s Hauptquartier geführt und aufgehangen; werdet Ihr aber gar nicht antworten, so lasse ich auf dem Markte eine öffentliche Execution an Euch vollziehen! Uebrigens will ich Euer Glück machen, wenn Ihr mir recht viel aussagt und in der Provinz unser Führer sein wollt.““ Er legte dann einen Bogen Papier vor sich auf den Tisch, auf welchen unter Anderem folgende Fragen verzeichnet worden, über welche er von mir Auskunft verlangte: Wo ist der König und die Königin von Preußen? Wo die Brüder des Königs.? Wie stark ist die preußische Armee? Wer commandirt sie? Wie groß ist die Provinz? Wie viele Rekruten liefert sie? und dergl. mehr. Ich erwiderte, daß ich das nicht wisse, und daß es außerdem wider meine Pflicht sei, auf solche Fragen Antwort zu geben. Da ergriff der Officier seine Pistole und hielt sie mir vor’s Gesicht, als er aber sah, daß auch dies mich nicht wankend machte, ließ er die Waffe sinken und entließ mich unter allerhand Schimpfwörtern und Flüchen.“

Es ist bekannt, wie jene oben erwähnten Bestrebungen des polnischen Adels, unterstützt und geschützt durch die siegreiche Armee Napoleon’s, noch im Herbste des Jahres 1806 in der Errichtung einer eigenen Regierungscommission in Bromberg vorläufig verwirklicht wurden. Diese Commission erließ, gestützt auf den polnischen Adel, der sich aller Orten schnell bewaffnete, eine Proclamation, welche zum Zweck hatte, das alte polnische Reich wiederherzustellen, und welche die Provinz Preußen als dazu gehörig reclamirte. Sie befahl, jeder Beamte, der nicht selbst die Waffen ergreifen könnte, sollte einen Mann stellen; zugleich sollte jeder eine ihm zugesandte, in Form eines feierlichen Eides abgefaßte Erklärung unterzeichnen, worin er sich vom Könige von Preußen lossagte und dem Kaiser Napoleon, dem wiederherzustellenden polnischen Reiche, und der Regierungscommission huldigte. Wer dem nicht Folge leisten würde, solle seines Eigenthums, aller Aemter und Würden verlustig und für einen Feind des Vaterlandes erklärt werden. Die Prediger sollten diese Proclamation von der Kanzel bekannt machen und die Unterthanen kräftig zum Abfall bewegen, ja man ging so weit, den König seines Reiches für verlustig zu erklären, der, wie hinzugefügt war, „sich ein neues Königreich suchen könne“. Unser Patriot nennt jene Proclamation in seinen hinterlassenen Auszeichnungen eine „respectswidrige und die schuldige Ehrfurcht verletzende Schmähschrift“, und fährt dann in der Erzählung über diese merkwürdigste Zeit seines Lebens folgendermaßen fort:

„Friedland ist von den Dörfern des Caminer Kreises umgeben, gehört aber selbst zum Conitzer Kreise. Ich erhielt von dem aufgestandenen polnischen Adel beider Kreise solche rebellische Schmähschrift, ließ mich indeß so wenig durch die darin enthaltenen Versprechungen verführen, daß mir Gott vielmehr die Einsicht und den Muth gab, unter die erste zu schreiben: „Herr, erlaube mir, in die Heerde Säue zu fahren“ (Matth. 8. 31), und unter die andere schrieb ich: „Ein – Sr. Majestät meines Königs ist mir ehrwürdiger, dem werde ich gehorchen, aber die sich so nennende Regierungscommission werde ich nie anerkennen, weil ich sie vielmehr verachte!“ Mit diesen Unterschriften sandte ich die Schreiben an die Commission zurück.

Am nächsten Sonntage – es war am Neujahrsfeste 1807 – predigte ich über das Thema: „Standhafte Treue kann nur in Gefahr bewiesen werden“, indem ich zuerst von der Größe der gegenwärtigen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_056.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)