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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

der weiß auch, selbst wenn er seine „deutsche Geschichte“ nicht gelesen und sein entschlossenes Auftreten als Parteimann von 1847 an in der „Deutschen Zeitung“, in der „Zeit“, in der „Süddeutschen Zeitung“ nicht verfolgt, daß er weder obenhin eine Meinung sich bildet, noch auch leichthin eine einmal gefaßte Meinung aufgibt. Der Mann sucht zwar nicht den Kampf, aber er fürchtet ihn auch nicht. Er hat, wie seine ganze zähe, opferfreudige Partei, zu lange nach rechts und nach links mit scharfen Waffen Front gemacht, um des bloßen lieben Friedens wegen zu schweigen oder gar zuzustimmen. Ludwig Häusser ist ein unverwerflicher Zeuge dafür, daß man ein „Gothaer“ und ein „deutscher Professor“ obendrein und doch „jeder Zoll ein Mann“ sein kann. Ohne gerade durch bedeutende oder durch regelmäßig schöne Züge zu bestechen, zieht doch die feste, selbstbewußte Haltung des kräftigen Körpers und der fast bis zur Strenge gesteigerte sittliche Ernst in dem geistig durchwehten Gesicht unwillkürlich an. Diese graublauen Augen, die hinter der Brille hervor Einem scharf entgegen blicken, diese breite, entschlossene Stirn, diese etwas vorstehende Unterlippe über dem festgeformten Kinn verrathen uns, daß wir trotz des stubengebleichten, glatt rasirten Gesichtes keinen gewöhnlichen Stuben- und Alltagsmenschen vor uns haben. Wenn Löwe-Calbe vielleicht als Arzt durch den Anblick des körperlichen Menschenelends mild und nachsichtig geworden, so scheint Ludwig Häusser durch das Studium der Geschichte und der darin auftretenden sittlichen Mängel des Menschengeschlechtes einen angeborenen Sinn für Recht und Pflicht noch geschärft und den kategorischen Imperativ zu seinem leitenden Princip erhoben zu haben. Bei aller gewinnenden Freundlichkeit im geselligen Verkehr bricht diese Seite seiner inneren Natur doch jederzeit in seinem Beruf, in seinen Schriften, in seinem öffentlichen Wirken hervor. Dieser Ernst, den jedoch Gemüth und Geist in Verbindung mit einem reichen gesättigten Wissen gleich sehr vor der Gefahr des Pedantismus schützen, beherrscht auch seine Reden. Wenn ich Löwe-Calbe einen Redner in Moll genannt, so ist Ludwig-Häusser ein geborener Redner in Dur, selbst dann, wenn er als echtes, blondes Kind der fröhlichen Pfalz in liebenswürdigem, geistvollem Humor bei Tischreden überschäumt. Darin unterstützt ihn freilich auch eine der klangvollsten tiefen Männerstimmen, die ich je gehört. Wie der Ernst und die klare Ruhe seiner Gedanken, so versetzt auch schon der mächtige, melodische Ton seiner Stimme den Zuhörer in eine gehobene, fast möchte ich sagen, feierliche Stimmung, und mich wenigstens überkommt es bei seinen Reden fast regelmäßig so, als wenn ich die Feiertagsglocken der Heimath in meinem Innern widerklingen hörte.

Als akademischer Lehrer hat Ludwig Häusser zwar fast täglich Gelegenheit, seine Redegabe zu üben, er ist jedoch dabei auch durch seine Stellung gezwungen, in besonders gewiesener, belehrender Form zu sprechen. Aber so reich und kräftig ist dieser Geist, daß er als Redner gegenüber großen Massen jede Erinnerung an den gewohnten Ton zurückzudrängen vermag, ohne der eigenen, wie der Würde der Sache irgend etwas zu vergeben. Es giebt Volksredner, die mit enthusiastischerem Beifall belohnt werden, aber es giebt ihrer wenige, die es wie Häusser verstehen, ihre Zuhörer so zu sich herauf zu heben. Er wiegt uns nicht, wie Löwe-Calbe, auf weichem Arm, er faßt uns wie mit starker Hand fest an und zwingt uns durch den sittlichen Ernst seiner Gedanken ihm mit unseren Gedanken zu folgen. Und wir folgen ihm gern; denn er giebt zugleich mit voller Hand und immer frisch aus Geist und Phantasie gequollen, und so viel er uns auch giebt, wir haben doch nie das Gefühl, daß er nun zu Ende sei, wir glauben vielmehr, daß er noch immer tiefer hinunter langen und immer neue Schätze heraufholen könne aus der reichen Vorrathskammer seines Wissens und seines Gemüthes.




Blätter und Blüthen

Das unterirdische Berlin. In früherer Zeit waren die Keller in Berlin nichts weiter als Räume zur Aufbewahrung verschiedener Lebensmittel und angenehmer Getränke. Die zunehmende Bevölkerung hat ihnen eine andere und höhere Stellung angewiesen, indem sich die Keller allmählich in Wohnungen für Tausende von Menschen verwandelten. Andere erhoben sich sogar zu dem Range von beliebten Vergnügungslocalen und Frühstücksstuben. Die Keller emancipirten sich und wurden ein gesuchter Artikel von großer socialer Bedeutung. Freilich ist zwischen Keller und Keller noch immer ein großer Unterschied, wie zwischen einem strahlenden Brillanten und gemeinen Kieselstein. Auch hier berühren sich die äußersten Gegensätze der Gesellschaft, die jammervollste Armuth und der glänzendste Luxus. Es giebt in Berlin Kellerwohnungen, bei deren Anblick den Menschenfreund ein tiefer Schauder erfaßt, elende feuchte Löcher ohne Luft und Licht, von deren Wänden das Wasser herniederläuft, deren Boden mit Pilz und Schimmel bedeckt ist, bewohnt von traurigen, hinfälligen Gestalten, von scrophulösen Kindern, blödsinnigen Greisen, oder der Hefe des Lasters. Hier herrscht Jahr aus Jahr ein Noth, Hunger und Krankheit, der gräßliche Typhus und das Heer der epidemischen Krankheiten. Einige Stufen höher steht der Keller des armen Handwerkers, der eine bessere Wohnung noch nicht bezahlen kann. Vorzugsweise liebt der poetische Flickschuster die unterirdischen Räume, aber auch andere Gewerbe haben eine besondere Neigung für Kellerwohnungen, wie die Barbiere und Fleischwaarenhändler, unter denen Einzelne in den bescheidenen Räumen ein nicht unbedeutendes Vermögen mit der Zeit zusammensparen. Ebenfalls zu dem Geschlecht der Kellerwürmer gehört der „Budiker“ oder Victualienhändler, der meist ein glänzendes Geschäft mit den ersten Lebensbedürfnissen macht und öfters aus seinem Keller in die erste Etage emporsteigt, um als Rentier sein Leben zu beschließen. Gewöhnlich aber zieht er es vor, bis zu seinem Ende Käse, Butter und Heringe zu verkaufen, seine Kunden zu bedienen, trotzdem er Hauseigenthümer geworden ist und sein Geld auf sichere Hypotheken ausleiht. —

Zahllos ist das Heer der Frühstücks- und Speisekeller in ihren verschiedenen Abstufungen und Schattirungen, Die niedrigste Stellung nimmt hier der sogenannte „Bumskeller“ ein, der von den Arbeitern, Tagelöhnern und Bummlern fast ausschließlich besucht wird. Man findet daselbst wunderbare Getränke von zweifelhaftem Geschmack und Farbe, die unter dem Namen Kaffee oder Chocolade für 6 Pfennige die Tasse verabreicht werden, Diners zu 21/2 Silbergroschen, Coteletten und Beefsteaks von höchst verdächtiger Natur und als Compot jene riesigen sauren Gurken, deren bloßer Anblick schon hinreicht, gelinde Anfälle von Cholera hervorzurufen. Die Hauptsache ist jedoch weniger das Essen als das Trinken, worin von einzelnen Stammgästen in der That das Außerordentlichste geleistet wird. Die ganze Atmosphäre duftet nach saurem Weißbier, dem Berliner Nektar, und nach Nordhäuser Korn, der zur besseren Verdauung des Weißbiers nicht immer mäßig genossen wird. Unter solchen Umständen ist es nicht zu verwundern, wenn sich die Gemüther leicht erhitzen und Handgreiflichkeiten vorkommen, die meist mit der Herausbeförderung des Ruhestörers zu enden pflegen. Dieser hat dabei den Vortheil, die Kellertreppe statt hinuntergeworfen heraufgeworfen zu werden.

Einen glänzenden Contrast zu dem Bumskeller bildet der feine Delicatessenkeller, in dem sich besonders nach dem Theater die bessere (?) Gesellschaft einzufinden pflegt. Derselbe ist stets höchst elegant, zuweilen luxuriös eingerichtet, mit Sammttapeten, schwellenden Divans, Rococospiegeln, Gemälden und strahlenden Kronleuchtern versehen. Außer dem gemeinschaftlichen Salon giebt es hier eine Reihe von einzelnen Cabineten für besondere Gesellschaften, welche allein für sich bleiben wollen. Manche Mysterien werden hier gefeiert, mancher kleine Roman abgespielt, obgleich die Polizei die Geheimnisse der besonderen Cabinete nicht länger dulden wollte und zu diesem Zwecke die Thüren aushoben und durch leichte Vorhänge zum Leidwesen so mancher zärtlichen Paare ersetzen ließ. Dennoch fehlt es nicht an kleinen Abenteuern, heimlichen Rendezvous, und noch immer bieten die Delicatessenkeller in Berlin dem Novellisten einen reichen Stoff und manches piquante Kapitel für seine socialen Studien. —

Den Schluß bilden die „Verbrecherkeller“, von der Polizei geduldete Vergnügungslocale für notorische Diebe, Strolche, liederliche Dirnen und ähnliche gefährliche Individuen. In diesen unterirdischen Höhlen, von Fusel und mephitischen Ausdünstungen erfüllt, hält das Laster ungeschoren seine Orgien. Bei den Klängen eines wüsten Leierkastens oder einer verstimmten Violine dreht sich im wilden Taumel der Auswurf der Gesellschaft, die Elite der Verbrecherwelt. Hier feiert der berüchtigte Gauner seine Triumphe und freut sich der Anerkennung seiner Standesgenossen, hier macht der junge Anfänger auf der Verbrecherbahn Bekanntschaften, die für sein ganzes Leben entscheiden, hier findet er Freunde, Helfer und die Geliebte, für die er stiehlt und im Nothfalle mordet. Es herrscht eine bacchantische Wildheit, eine unbeschreibliche rohe Lust und Ausgelassenheit in diesen Räumen, wüstes Geschrei, toller Lärm, dazwischen das Jauchzen der ausgelassenen Dirnen, der gröhlende Gesang der Männer, unterbrochen durch einen plötzlichen Streit, wobei die Messer blitzen und nicht selten schwere Verwundungen vorkommen. Mitten in dem höchsten Wirrwarr wird es plötzlich todtenstill, die Musik verstummt, Alles flüchtet nach der Thür und zu den verborgenen Ausgängen, die jedoch von der Sicherheitspolizei besetzt sind. Es findet eine Razzia statt, um einige gefährliche Verbrecher auszuheben. Dazu dienen diese Keller, wo man sicher ist, die ganze saubere Gesellschaft anzutreffen. Wenige Augenblicke später werden eine Anzahl von Dieben, die sich bisher allen Nachstellungen zu entziehen gewußt, unter bewaffneter Begleitung und mit den nöthigen Handschellen versehen, aus dem Tanzlocal nach der Hausvoigtei abgeführt. In dem Verbrecherkeller ist es dunkel geworden, und nur in der Nähe sieht man noch einige verdächtige Schatten, die vor dem dämmernden Morgenlicht verschwinden und in ihre heimlichen Spelunken sich verbergen.


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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_096.jpg&oldid=- (Version vom 22.2.2017)