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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

haben, und dann faßte Hellmuth den jungen Mann unter den Arm: „So! es ist mir weniger um das Geld, so weh auch der Verlust dem Geschäftsmann gethan haben würde, als daß ich mich nicht einmal in Ihrer Besonnenheit getäuscht habe – und nun kommen Sie mit mir, die Mädchen wollen sehen, was aus ihrem Johannes geworden ist.“

Und so hatte ihn der Principal die Treppe nach dem ersten Stocke hinauf geführt, und als sich dort die Thür des großen Zimmers geöffnet, war sein erster Blick auf Anna gefallen, die sich wohl zur vollen Jungfrau entwickelt, aber doch kaum eine Veränderung in den feinen, bleichen Zügen und den großen, sinnenden Augen gezeigt, und wie unter einer plötzlichen Ermuthigung hatte er seine Augen nach der weiter zurückstehenden Gestalt gehoben.

„Da ist der Johannes, und ich kann Euch nur sagen, daß er es verdient, wenn Ihr ihm recht warm die Hand drückt!“ hatte Hellmuth gesagt, allein die Worte waren Gruber vor dem Anblick der im vollen Glanze des Liebreizes und der Eleganz ihm entgegenstrahlenden Eugenie kaum zum Gehör gekommen; selbst in seinen wachen Träumen von ihr hatte er sich nicht bis zu diesem Bilde jugendlicher Schönheit verstiegen. Ihr Auge aber hatte in sichtlicher Befriedigung die gereifte Gestalt des jungen Mannes, wie er noch in seinen Reisekleidern vor ihr stand, überlaufen, und dann war sie mit leicht ausgestreckter Hand ihm einen Schritt entgegengetreten.

„Ich freue mich recht, Herr Gruber, Sie wiederzusehen,“ hatte sie gesagt, dann aber, als sie seinen schweigsamen Händedruck gefühlt und in sein zitterndes Auge gesehen, sich, wie in einer leichten Verlegenheit und ihm ihre Hand entziehend, nach der Schwester gewandt. „Er hat sich recht verändert, meinst Du nicht, Anna?“

„Wenigstens etwas zu seinem Vortheile, denke ich – der Johannes aber ist er trotz des modernen Haarschnitts geblieben!“ war als Antwort erfolgt, und wie von dem klaren Ton der Worte aus seiner Befangenheit gerissen, hatte sich Gruber nach der Sprecherin gewandt, dieser in voller Herzlichkeit die Hand entgegenstreckend.

„Und Sie, Fräulein Anna, sind ja auch trotz aller äußeren Veränderung noch die Alte!“

„Ich hoffe es und bin auch ganz zufrieden damit!“ war die lachende Erwiderung des Mädchens gewesen, mit der sie ihm leicht und umstandslos die Hand geschüttelt; „jedenfalls denke ich, werden wir so gut mit einander durchkommen, wie es früher geschehen!“

„So, Kinder, und damit wollen wir Herrn Gruber nicht weiter aufhalten, er ist kaum von einer anstrengenden Geschäftsreise aus dem Wagen gestiegen!“ hatte Hellmuth die Begrüßung geschlossen. „Mit Ihnen aber, liebster Freund, spreche ich morgen früh ein Weiteres; ich werde mehr als bisher eines umsichtigen Vertreters, wie Sie sich mir erwiesen, bedürfen, da mir die Mädchen manche Zeit rauben werden und ich auch etwas für meine Gesundheit thun will – bis morgen früh also!“

Und damit war der junge Mann gegangen, um nach einem kurzen Abendbrod sein Zimmer zu suchen, die soeben erhaltenen Eindrücke mit sich selbst zu verarbeiten und von Eugenie zu träumen. An die Zukunft dachte er in den nächsten Stunden nicht, er gab sich voll und rücksichtslos dem Rausche hin, welcher ihn bei dieser ersten Begrüßung überkommen. Am andern Morgen wurde die Ertheilung der Procura an Gruber, sowie dessen volle Vertretung des Principals, wenn dieser nicht anwesend sei, dem Geschäftspersonal mitgetheilt – Meier hatte sich mit einer völlig theilnahmlosen Miene dabei verhalten – wenn aber auch der junge Mann damit zu einer Stellung gelangt war, an welche er früher kaum zu denken gewagt, so schienen doch seine Beziehungen zu Hellmuth’s Familie sich anders gestalten zu wollen, als es dem neuen Procuristen in dem Gefühle seines jungen Glückes vorgeschwebt. Wenn er auch im Hause wohnte, boten sich die Gelegenheiten einer Begegnung mit den Mädchen doch nur selten; die während der Wochenabende vielfach vorfahrende Equipage, die jedesmal auch den Principal vom Comptoir rief, deutete die mannigfachen gesellschaftlichen Verbindungen an, welche der Letztere um der Töchter willen angeknüpft, und mit einem Weh im Herzen, das er sich kaum selbst eingestehen mochte, sah Gruber oft das strahlende Gesicht, mit welchem Eugenie sich von Willmann in den Wagen helfen ließ. Sonntags Mittags war er zwar regelmäßiger Gast an Hellmuth’s Familientische; dann aber hatte der Principal so viel zu erzählen und vertraulich zu fragen, daß er kaum daran denken konnte, den Mädchen eine besondere Aufmerksamkeit zu widmen, und hatte sich der Vater auch endlich zu seinem Mittagsschlafe zurückgezogen, so war ihm doch niemals der Muth gekommen, sich in dem darauf folgenden Gespräche anders als in den gewöhnlichen Formen zu bewegen.

„Wissen Sie wohl, Herr Gruber, daß Sie noch mehr als Johannes sind, der doch wenigstens seine Herzensmeinung furchtlos aussprach?“ hatte Anna eines Sonntags Nachmittags, als Eugenie durch einen Zufall aus dem Zimmer gerufen worden, plötzlich begonnen, und dem jungen Mann war vor dem wunderlichen Blick ihres Auges das Blut in die Wangen geschossen.

„Ich verstehe Sie nicht ganz, Fräulein –“

„Nun ja, die Worte, die Sie gern zu meiner Schwester sprechen möchten, zittern Ihnen oft sichtlich auf den Lippen, daß ich bisweilen aus reiner Barmherzigkeit davongegangen bin, was Ihnen aber noch mehr den Muth genommen zu haben scheint. Ich will Ihnen sagen, daß Eugenie Sie recht lieb hat, und den Beweis dafür mögen Sie daraus nehmen, daß, wenn ich mich mit Ihnen hier recht gründlich gelangweilt habe, Sie von ihr noch ganz interessant gefunden werden –“

„Aber Fräulein, wie darf ich denn – was Sie hier so ruhig aussprechen –!“ hatte Gruber in einer ihn plötzlich überkommenden Verwirrung gesagt.

„Ja, es ist jedenfalls etwas Entsetzliches!“ war die achselzuckende Erwiderung gewesen, mit welcher sich das Mädchen erhoben hatte und, den Gast allein zurücklassend, der Schwester gefolgt war.

(Fortsetzung folgt.)




Und sie bewegt sich doch![1]

Zum Jubelgedächtniß eines Erlösers der Wissenschaft.

Sinnend die Blicke zum Himmel erhoben,
Forscht Galilei dem Sternenlauf nach,
Strebt zu entziffern die Räthsel da droben;
Und in dem grübelnden Geiste wird’s Tag.

5
     Ob auch die Satzung spricht:

     „Erde, du regst dich nicht!“ –
Lauter und stärker in deutlicher Klarheit,
Mit unumstößlicher, ewiger Wahrheit
     Ruft es der Himmel noch:

10
     „Ja, sie bewegt sich doch!


Und der Jahrhunderte Wahn zu vernichten,
Schreibt er sein großes, unsterbliches Buch.
Wahrheit, sie ist ihm die erste der Pflichten,
Treibt ihn, zu stürzen veralteten Trug.

15
     Wer es auch immer spricht:

     „Tellus bewegt sich nicht!“ –
Hier mit Beweisen und leuchtenden Gründen
Will ich der denkenden Welt es verkünden!
     Brechet des Irrthums Joch!

20
     „Hört’s! Sie bewegt sich doch!

  1. Wir glauben den nachfolgenden Aufsatz nicht besser einleiten zu können, als wenn wir das untenstehende schwungvolle Gedicht sowohl als die es illustrirende Randzeichnung aus Nr. 28, Jahrg. 1855 der Gartenlaube noch einmal zum Abdruck bringen, um so mehr, als bei der damals verhältnißmäßig noch kleinen Auflage unseres Blattes mehr als hunderttausend inzwischen erworbenen Abonnenten Bild und Poesie vollkommen neu sein werden.
    D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_100.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)