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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

der Stadt bleiben; ich mußte ihn mit allem Gelde, das ich im Hause hatte, versehen, und dann nahm er, seinen kleinen Sohn mit sich führend, von mir mit dem Versprechen Abschied, Nachricht von sich zu geben, sobald er die Grenzen unseres Staates hinter sich habe. Heute aber, nach länger als zwanzig Jahren, habe ich durch seinen inzwischen zum Manne erblühten Sohn die erste Nachricht von ihm erhalten.

Anfänglich arbeitete ich in möglichster Vorsicht und Verschwiegenheit mit dem mir anvertrauten Gelde,“ fuhr der Sprecher nach einem tiefern Athemzuge fort, „als sich mir aber einzelne glückliche Chancen eröffneten, änderte ich die Firma „Hellmuth“ in „Hellmuth und Co.“ um, was zugleich die vergrößerte Geldmacht, mit welcher ich auftrat, rechtfertigte. Ich hatte in meinen Spekulationen Glück, und eiserner, unverdrossener Fleiß, immer wacher Blick und richtige Combination machten mein Geschäft zu dem, was es jetzt ist. – Nun aber steht die Sache einfach so: erkenne ich den Vater dieses jungen Herrn Maçon als den wirklichen Compagnon des Geschäfts an, so handelt es sich nicht um Herauszahlung des von diesem eingeschossenen Capitals mit Zinsen, sondern er hat ein Eigenthumsrecht am Geschäfte in demselben Verhältnisse, wie sein Capital zu dem meinen stand – und dann würde mein Antheil kaum ein Zehntel betragen.

Abgesehen nun davon, daß ein bestimmter Vertrag niemals zwischen uns abgeschlossen wurde, so bin ich auch mit meinem Gewissen völlig darüber fertig, daß mein Kopf und meine Arbeit es gewesen sind, welche unser Geschäft in die Höhe gebracht, daß ich nicht alle meine Geisteskräfte angespannt und meine Nachtruhe geopfert habe, um einen Fremden reich zu machen, und ich würde wohl auch mit dem jungen Menschen mich schnell genug über seine Ansprüche einigen, wenn nicht dieser Meier wäre, der an seiner Seite steht und aus meinem möglichen Ruin für sich selbst ein Glück zusammenlesen möchte. Welchen Gebrauch er noch von der Kenntniß der Verhältnisse zur Untergrabung meines Credits machen wird, weiß ich nicht – ich habe Ihnen jetzt die Lage der Dinge mitgetheilt, damit Sie Allem, was auch von irgend einer Seite kommen möge, mit voller Ruhe und Sicherheit entgegentreten. Im Uebrigen bestimmt mich der eben erlebte Vorfall, noch heute ein entscheidendes Wort mit dem jungen Manne zu sprechen, das uns wenigstens Sicherheit über das zu Erwartende geben soll. Und nun wird es hohe Zeit, mich wieder oben zu zeigen!“

„Noch ein einziges Wort,“ unterbrach Gruber, welcher mit großen, aufmerksamen Augen der Erzählung gefolgt war, Hellmuth’s Bewegung nach der Thür, „wollen Sie mir nicht erlauben, Willmann von dem Hauptsächlichen zu unterrichten? Er hängt mit seltener Treue an Ihrer Familie und besitzt daneben einen Instinct, welcher ihn Vieles, was mir erst durch Ihre Mittheilung klar geworden, bereits hat errathen lassen – außerdem aber könnten immer Fälle eintreten, in welchen ein vertrauter Diener, der klar durch die Sachlage sieht, viel werth ist!“

Hellmuth nickte gedankenvoll. „Sie mögen Recht haben,“ sagte er nach einer kurzen Pause, „und bei Willmann ist keine Gefahr, handeln Sie danach – oben aber werde ich Sie entschuldigen!“ schloß er, mit einem kurzen Striche über seine Stirn das Gemach verlassend.

Als er den obern Corridor betrat, tönten ihm die vollen Klänge des Flügels entgegen, und beim Oeffnen des Besuchszimmers sah er, daß er hier noch kaum vermißt worden sein konnte. Anna mit leise gerötheten Wangen hatte das Instrument eingenommen, die ausgiebige Kraft desselben zu voller Geltung bringend, während Maçon, völlig in die Töne verloren, den Kopf in die Hand gestützt dasaß und jeder Wendung des Spiels zu folgen schien – Eugenie aber, wie ihren eigenen Gedanken nachhängend, in einem Fauteuil lehnte. Bei dem Geräusche, welches das Schließen der Thür verursachte, brach indessen die Spielende mit einem raschen Blicke auf den Eintretenden ab und erhob sich. „Ich wollte Ihnen nur das zeigen, was sich ohne viele Worte kaum ausdrücken läßt,“ sagte sie, sich leicht gegen den Gast verneigend, „das, was ich deutsche Musik nenne, so sehr auch ein Meister dazu gehört, um ihr zu ihrem vollen Rechte zu verhelfen!“

„Du hast mich auf das Glatteis geführt, Papa!“ rief Eugenie mit einem Anfluge von übler Laune, „Herr Maçon ist ein Musikverständiger und selbst ein halber Künstler, gegen den allenfalls nur Anna durch ihre gründlichen Studien bei der Großmutter unsere Ehre retten konnte!“

„Verzeihung, Fräulein!“ erwiderte Maçon sich rasch aufrichtend, „Sie haben meine harmlose Aeußerung, die nur meine Auffassung des Musikstückes Ihnen bezeichnen und durch ein paar gespielte Takte andeuten sollte, zu scharf genommen – Sie sehen, wie ich selbst jetzt dafür bestraft worden bin – und doch,“ wandte er sich nach Anna um, welche still bei Seite getreten war, „kann ich Ihnen nur von ganzem Herzen für diese Strafe danken!“

„Bitte, Herr Maçon,“ erwiderte die Letztere, noch sichtlich vom Spiel angeregt, „es war nur ein Recht, das unsere heimathliche Musik verlangte!“ Damit schritt sie, wie von einer plötzlichen Scheu überkommen, dem Fenster zu.

„Ich muß um Entschuldigung wegen meines längern Ausbleibens bitten,“ begann jetzt Hellmuth, „und ich möchte fast Ihre Freundlichkeit, Herr Maçon, noch in weiterem Grade beanspruchen. Es sind soeben einige geschäftliche Anfragen an mich ergangen, die jedenfalls in Bezug auf Sie stehen, und wenn Ihnen eine kurze Vorlage des Betreffenden im Augenblick nicht unangenehm wäre –“

„In Bezug auf mich?“ fragte der Angeredete, einigermaßen befremdet, „ich stehe jedoch ganz zu Befehl, wenn die Damen mich für die Zeit unseres Gespräches entschuldigen wollen –!“

„Hoffentlich wird uns die Angelegenheit nicht gar zu lange aufhalten!“ versetzte Hellmuth, indem er dem Gaste voran schritt. Mit den entschuldigenden Worten: „Bis auf Weiteres denn, meine Damen!“ folgte Maçon der gewordenen Aufforderung.

(Fortsetzung folgt.)




Berliner Skizzen.
1. Auf dem Neuen Canale.
Von Rudolph Löwenstein.[1]

Wären die Gebrüder Grimm mit ihrem Wörterbuche bis zum Buchstaben U gediehen, so hätten sie sicherlich bei dem Worte „Unverfroren“ bemerkt: „mit diesem beiworte bezeichnet der berliner einen menschen, der auch in dunkler zeit heitren herzens und hellen geistes bleibt.“ – In den politischen Stürmen unverschnupft, unter dem Trucke staatsbürgerlicher Lasten nicht verknubbert, bei zwanzig Grad Pannaché nicht verkältet und bei dreißig Grad Hitze unverfroren – so muß ein richtiges Berliner Kind nicht blos sein, sondern auch sind.

Der unverfrorene Berliner harrt sehnsüchtig des Tages, da sich die erste feste Kruste auf die trägen, durch und um die Residenz schleichenden Gewässer legt. Die Spree trotzt innerhalb der Stadt mit fast impertinenter Ruhe der Gewalt des Winters und läßt sich nur in besonders tyrannischen Jahren in eisige Fesseln schlagen; die Panke, ein kleines Bächlein, dessen Dasein sich weniger durch Wasser als durch böse Dünste verräth und das sich aus Melancholie – in die Spree stürzt, ist ein zu schmales Podium für den Eiskothurn; der Grüne, der Zwirn- und der Kupfergraben – und wie die Verzweigungen der Cloaca maxima von Berlin heißen – sind gar zu trübe Rinnsale und dem Berliner verhaßt wegen der himmelschreienden Sünden, durch die sie ihn während des Sommers corrumpiren und in schlechten Geruch bringen. – Draußen aber vor den Thoren bereitet der Winter die krystallenen Tanzplätze. Die kleinen Seen und Tümpel des Thiergartens laden zuerst mit schimmerndem Parquetboden die Tanzlustigen ein, während die Spree noch mit „offenen Armen“ Berlin umfängt. Die Rousseauinsel, im Sommer das heimlichste, lauschigste Plätzchen des Parks, wo der Mond sich spiegelt in wellenlosem Weiher und neugierig guckt in die dichten Ufergebüsche, wo der Philosoph einsam wandelt und sentimentale Liebespärchen durch die Laubgänge huschen – wie


  1. Mitredacteur des Kladderadatsch.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_132.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)