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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

seinen und er hielt in seiner Bewegung inne. „Anna, bin ich im Irrthume gewesen, oder fürchten Sie ein ungehöriges Wort von mir?“ fragte er halblaut, und die volle Seele klang in seinem Tone.

Sie sah sich rasch um und schien im Erblicken der verschiedenen Gruppen in ihrer Nähe schnell ihre gewöhnliche Haltung wieder zu gewinnen. Dann überließ sie dem jungen Mann ihren Arm, welcher sie mit den warmen Worten: „So, ich danke Ihnen!“ in leichtem Schlendern nach einem der weniger gefüllten Theile des Saales führte.

„Sie sind mir noch die Antwort auf eine Frage schuldig,“ begann er hier, „die ich in dem Drange einer Minute an Sie that, in welcher sich mein ganzer fernerer Lebensgang und außerdem nicht mein eigenes Schicksal allein entscheiden mußte. – Es mag Erklärungen auch ohne Worte geben,“ fuhr er fort, „aber in den Verhältnissen, wie sie liegen, bedarf ich einer klar und muthig ausgesprochenen Aeußerung, eines offenen, fest zustimmenden Auges. Entsinnen Sie sich noch meiner Frage?“

„Es ist heute erst das dritte Mal, daß Sie mich zufällig und nur auf kurze Begegnung sehen!“ erwiderte sie.

„Und diese drei Male genügen Ihnen nicht?“ rief er lebhaft und bog in dem gleichen Augenblicke rasch nach einem der offenstehenden, noch leeren Seitenzimmer ein. „Habe ich Sie nicht,“ fuhr er, hier stehend bleibend und fest ihre beiden Hände fassend, fort, „das erste Mal durch Nacht und Morast auf meinen Armen getragen, wie ich Ihren Fuß auf dem ganzen Lebenswege vor jedem unebenen Tritte bewahren möchte? waren Ihnen meine Arme nicht stark genug? Und das zweite Mal – wissen Sie denn nicht, daß Sie mir mit dem, was Sie deutsches Salz nannten, ganz deutlich sagten: Ich könnte Dich hassen für die Weise, in der Du mich nach dem mir geleisteten Dienste ignorirt hast, als solle dies eine Strafe für meine frühere Zurückhaltung sein – für die Weise in der Du jetzt unter uns trittst, als dürfe Dich kaum eine Unfreundlichkeit von irgend einer Seite berühren; ich könnte Dich hassen darum – wenn ich es nur vermöchte! Denn hätten Sie sich wohl, einem gehaßten oder auch nur gleichgültigen Fremden gegenüber, so gedrängt gefühlt, ihm zu zeigen, was deutsche Musik sei, und damit ihm Ihre ganze Seele zu öffnen? – Und das dritte Mal –? ich war wild, ungestüm; aber hätte ich es sein können, wenn nicht schon ein fester Glaube an Das, was ich als mein einziges ferneres Glück erkannt, in mir gelebt, wenn dieses Glück nicht von der einen Minute, die mir gegönnt war, abgehangen hatte – und diese drei Male, Anna, sollten nicht genügen für eine klare bestimmte Antwort?“

Sie stand vor ihm, als bebe ihr geheimes inneres Leben noch immer davor, den Schleier, der es bis dahin verhüllt, von sich zu werfen. „Wissen Sie wohl,“ sagte sie, während ein süßes Lächeln um ihren Mund aufstieg, „daß Eugenie Sie einen modernen Dämon nennt, der nur des rechten Willens bedürfe, um eine Seele zu bestricken –?“

„Aber Sie, Anna, Sie glauben an einen guten Dämon!“ unterbrach er sie in drängender Hast.

„Ich will es!“ sagte sie, ihm voll in das Gesicht blickend, während er den Druck ihrer beiden feinen Hände fühlte; dann aber riß sie sich mit einer kräftigen Bewegung los und eilte mit plötzlich überströmenden Augen nach dem Hintergrunde des Zimmers. Er warf einen raschen Blick um sich, hinaus in den von Musik, Glanz und Duft durchwehten Saal, wo sich die Gäste zu der sich entwickelnden Polonaise gruppirten, und war mit drei Schritten dem Mädchen nach. „So nicht, Anna, so nicht! morgen habe ich Worte zu sprechen, zu denen ich volle Ueberzeugung bedarf – und dies ist unsere Verlobung!“ rief er gedämpft, während sein Arm zugleich die feine Gestalt umschlang. Sie hob das Gesicht unter Thränen lächelnd zu ihm – zwei, drei Mal legte sich sein Mund wie im vollen bewußten Genusse der Berechtigung auf ihre weichen Lippen; dann aber entwand sie sich ihm von Neuem, schlug die Hände vor das Gesicht und flüchtete nach einem der Divans, die Gluth ihrer Wangen in den elastischen Kissen bergend. „Ich gehe, meine Anna,“ flüsterte er ihr zu, einen leisen Kuß auf ihr duftendes Haar drückend, „ich habe hier nichts mehr zu suchen – morgen sehen wir uns wieder. Dann sollst Du Deinen guten Dämon erkennen lernen.“ – – Hellmuth wurde an diesem Abend sowohl von dem Hausherrn als von verschiedenen andern Seiten nach dem verschwundenen Maçon gefragt, zog aber immer nur die Achseln in die Höhe und sagte: „Er kam zu mir, damit ich ihn meinen Töchtern zuführe – das ist Alles, was ich von ihm weiß!“

Und als er später die veränderte Stimmung gegen ihn, auf welche er an diesem Abende am wenigsten gerechnet, zur Genüge meinte genossen zu haben und die beiden Mädchen aufsuchte, fand er bei diesen eine eben so unerwartete Bereitwilligkeit, mit ihm den Ball zu verlassen. Eugenie behauptete, noch nie ein solches Assortiment der langweiligsten Tänzer bei einander getroffen zu haben, und Anna, die jedes Engagement zum Tanze ausgeschlagen, wollte von den peinlichsten Kopfschmerzen befallen worden sein.

Als der Wagen, der die Familie heimführte, die Nebenstraße passirte, welche theilweise durch das Seitengebäude des stattlichen Hellmuth’schen Hauses gebildet ward, blickte im obersten Stock des Ersteren noch ein hell erleuchtetes Fenster hernieder.

„Dort oben sitzt er nun noch bei irgend einer Arbeit oder einem dummen Buche,“ flüsterte Eugenie der Schwester zu, „und kümmert sich nicht darum, ob ich mich langweile oder nicht. Ich glaube beinahe, er verlangt, daß ich ihm eine Erklärung mache!“

„Es giebt Erklärungen auch ohne Worte,“ gab Anna, noch halb in ihren Gedanken verloren, zurück, „und mehr konntest Du ohne bestimmte Aufmunterung kaum von ihm erwarten!“

„Ohne Worte!“ wiederholte die Erstere schmollend, „darauf verstehe ich mich nicht. Ich wollte lieber, er könnte es zu einem einzigen deutlichen und herzhaften Satze gegen mich bringen, und wäre es selbst im Bösen!“

Anna schüttelte leise den Kopf. „Man soll das Böse nicht herbeirufen, es kommt schon gar zu oft von selbst!“ sagte sie.

Das Halten des Wagens schnitt das weitere Gespräch ab.

(Schluß folgt.)




Bilder aus dem Thiergarten.
Von Brehm
3. Im Raubvogelgebauer.

Der Unterschied zwischen Thiergärten und Thierschaubuden springt hauptsächlich dann in die Augen, wenn man sich von den Raubsäugethieren zu der übrigen Bewohnerschaft eines Thiergartens wendet. Die Raubsäugethiere können leider auch im Garten kaum anders gehalten werden, als in der Menagerie: – starke, eiserne Gitter vor einem verhältnißmäßig kleinen Käfig sind die Bedingungen, welche der Beschauer wegen nicht wohl umgangen werden können. Man hat zwar in der Neuzeit auch für die Katzen würdigere Wohnräume zu bauen angefangen, und namentlich dem Thiergarten zu Dresden gebührt der Ruhm, zuerst ein entsprechendes Raubthierhaus errichtet zu haben; im Allgemeinen aber gehören gerade die Raubthiere noch zu den beklagenswerthesten Gefangenen eines Thiergartens.

Anders ist es mit ihren Vertretern in der zweiten Classe. Die Raubvogelgebauer fast aller Thiergärten sind mehr oder minder großartig und verfehlen deshalb auch den beabsichtigten Eindruck nicht. Freilich ist auch der größte Gebauer dem Adler ein erbärmlicher Käfig; freilich kann von uns kein Raum geschaffen werden, welcher ihm genüge; dem ungeachtet muß man anerkennen, daß wenige Gehege in den Thiergärten so zweckentsprechend eingerichtet sind, wie gerade die für die Raubvögel bestimmten Gebauer. Man darf behaupten, daß die Vögel eben soviel Freiheit erhalten, als sie erhalten dürfen. Sie finden, wenn der Raum im Uebrigen zweckentsprechend eingerichtet ist, Alles, was ihnen Noth thut, und beweisen durch ihr Benehmen bald genug, daß es ihnen in ihrem Gefängnisse wohl behagt.

Das Raubvogelgebauer des Hamburger Thiergartens gehört zu den besteingerichteten, welche bis jetzt erbaut worden sind. Der ganze Bau ist freilich, wie sich bereits herausstellt, für Hamburg viel zu klein, die einzelnen Räume aber genügen größtentheils dem

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