Seite:Die Gartenlaube (1864) 180.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

„Herr Gruber, Sie gehen nach dem Comptoir und erwarten mich dort!“ sagte er endlich.

Aber durch den strengen Ton seiner Worte der Scham und Befangenheit, die sie mit Purpur übergossen, plötzlich entledigt, trat Eugenie vor den wie niedergeschmettert dastehenden jungen Mann. „Ich habe Gruber heraufholen lassen, Vater, da ich hörte, daß er aus unserm Hause gehen wollte, und Du wirst ihn jetzt darum nicht vor Fremden demüthigen; ich rede mit Dir und werde Alles vertreten, sobald Du allein bist!“

„Kommen Sie, Herr Hellmuth, ich versichere Sie, daß sich Alles zur Zufriedenheit lösen wird,“ warf Maçon dazwischen, „Fräulein Eugenie hatte völlig Recht, dergleichen Angelegenheiten lassen sich nur unter vier oder sechs Augen ordnen!“ Es war ein fast muthwilliger Ton, der in den Worten klang, und Hellmuth, sichtlich schon befremdet von dem ungewohnten, bestimmten Wesen seiner Tochter, wandte verlegen den Blick nach seinem Begleiter, „folgen Sie meinem Rathe!“ sprach dieser, und augenscheinlich nur mechanisch ließ sich der Kaufherr nach der Thür des Besuchszimmers führen.

Mit einem hellen Roth in den feinen Zügen erhob sich Anna von ihrem Sitze am Fenster, als die beiden Männer eintraten, aber ein glänzender Strahl von Glück war es, der aus ihrem Auge den voranschreitenden Maçon empfing, ehe sie vor seinem feurigen Blicke die Lider senkte.

„Hier ist unsere Haupt-Instanz, Herr Hellmuth, und Sie erlauben mir, daß ich sogleich zur Verhandlung schreite, da ich doch einmal meine Sache selbst verfechten soll,“ begann der junge Mann, als wolle er den Hausherrn damit jedem andern Gedanken entreißen. „Die Sache ist die, Fräulein, daß ich heute darum nachgesucht habe, mit Sohnesrecht in Ihre Familie treten zu dürfen, daß der Papa aber die Entscheidung seinen Töchtern, als den hauptsächlich davon Berührten, überlassen hat. Nun bitte, Fräulein,“ fuhr er in weicherem Tone fort, die Hand des tief erglühenden Mädchens ergreifend und sie dem regungslos blickenden Vater näher führend, „sagen Sie ihm doch, daß Sie wenigstens nichts gegen mich haben, daß sich sogar unsere Herzen bereits gefunden und daß wir nur seine Verzeihung erwarten, wenn es hinter seinem Rücken geschah –“

„Ich verstehe Sie nicht völlig, Herr Maçon –“ ließ sich Hellmuth hören, den unsichern Blick abwechselnd auf den beiden vor ihm Stehenden ruhen lassend.

„Vater!“ rief das Mädchen und warf sich an seine Brust, das glühende Gesicht an seiner Schulter bergend.

„Einfach, Herr Hellmuth,“ sagte Maçon, in voller Herzlichkeit die Hand des alten Kaufmanns ergreifend, „lassen Sie uns den neuen Bund festschürzen und sie hier, die schon mit ihrem Herzen mein ist, das bindende Glied zwischen uns sein. Ich darf es sagen, Sie machen keinen Unwürdigen zum Sohne!“

„Anna? Anna? Sie wollen Anna zur Frau?“ fragte Jener, als traue er noch immer dem Gehörten nicht.

„Ja, Anna, Herr Hellmuth!“ erwiderte der junge Mann mit einem Lächeln des Glücks.

„Und Du –?“ der Alte hob fast in Hast den Kopf seiner Tochter; als er aber in deren schwimmendes Auge blickte, schien erst die Gewißheit des Unerwarteten zu seinem vollen Bewußtsein zu kommen und er löste das Mädchen leicht von seinem Halse. „Das heißt Schlag auf Schlag, laßt mich erst zur Klarheit mit mir selbst gelangen!“ rief er und begann einen hastigen Gang durch das Zimmer, sich dann, die Stirn reibend, dem Ausgange zuwendend, als wolle er in volle Einsamkeit mit sich selbst flüchten.

Durch die sich öffnende Thür aber trat ihm jetzt Gruber, bleich, doch in der Haltung eines Entschlossenen entgegen. „Herr Hellmuth –!“

„Kommen Sie jetzt auch noch?“ unterbrach ihn der Angeredete, seinen Schritt wie erschrocken anhaltend.

„Erlauben Sie mir nur ein einziges Wort, Herr Hellmuth,“ rief Maçon, mit einem Handdrucke das Mädchen verlassend und dem Alten zueilend. „Ich trete nicht mit leeren Händen in Ihr Geschäft, ich bringe diesem außerdem eine Zahl neuer lucrativer Verbindungen zu, wir werden weit über Ihre jetzigen Arbeitskräfte zu thun erhalten, und Sie werden es wohl noch segnen, Herr Hellmuth, wenn einmal zwei Söhne an Ihrer Seite stehen können –“

„Ich kann Ihnen nur sagen, lieber Herr,“ unterbrach ihn der Alte, „daß Sie auf dem besten Wege sind, meinem Verstande ebenso jeden Halt zu nehmen, wie Sie jegliches Fundament, auf das ich gebaut, unsicher gemacht haben. Sie werden die Güte haben, mich jetzt mir selbst zu überlassen!“ Und den Kopf zurückwerfend, schritt er an dem Procuristen vorüber aus dem Zimmer.

Maçon aber faßte die Hand des Letztern. „Kommen Sie, Herr Gruber, Sie sollen sehen, daß ich Sie bei unserer ersten Zusammenkunft nicht umsonst meiner Zuneigung versichert habe – holen Sie Ihre Schwester, Anna; er soll zwei Paare glücklich machen, wenn er zurückkommt!“




Die Firma Hellmuth und Compagnie blüht heute noch in ausgedehnter Thätigkeit unter der Leitung der beiden Schwiegersöhne des Begründers. Der Alte war, nachdem er sich in späteren Jahren aus dem Geschäfte zurückgezogen, eigenthümlich rasch verfallen. Mit dem nothwendigen Ende seiner Geschäftsthätigkeit schien auch jedes andere Interesse am Leben in ihm erstorben zu sein, und eines Tages ward er todt auf dem Sopha in seinem Zimmer gefunden, wohin er sich die ersten zehn Jahrgänge von den Hauptbüchern des Geschäfts hatte bringen lassen.

Meier war nach seinem verunglückten Versuche, eine Selbstständigkeit für sich zu erzwingen, wieder zu einer Buchhalterstelle in einem Concurrenzgeschäft von Hellmuth gelangt; aber die Nemesis schien ihn zu verfolgen. Die Verhältnisse, welche ihn aus Hellmuth’s Comptoir entfernt, waren nicht verschwiegen geblieben, und er wurde aus kaufmännischer Anstands-Rücksicht wieder aus seiner neuen Stellung entlassen. Dann ward er Makler, aber nur mühselig gelang es ihm, unter der allgemeinen Abneigung den nöthigsten Unterhalt zu gewinnen. Seine letzten Tage wurden nur durch regelmäßige Gaben Hellmuth’s, deren Ursprung er nie erfuhr, gefristet. „Er hat sich zwanzig Jahre treu erwiesen und blos einmal vom Teufel blenden lassen!“ hatte der Geber auf das stille Kopfschütteln Willmann’s, welcher allein und geheim die Ablieferung des Geldes vermittelte, wie zu seiner eigenen Rechtfertigung gesagt, und damit war jeder Widerspruch für immer beseitigt gewesen.

Willmann aber, dessen kahlen Scheitel nur noch wenige schneeweiße Haare bekränzen, schafft trotz einer Kurzathmigkeit, die sich eingestellt, noch immer im Hause – ist aber mehr in der Kinderstube des Gruber’schen Ehepaares, an das er sich eng angeschlossen, daheim, als im Comptoir. Behauptet er doch, daß ohne ihn wohl Manches anders in dem Schicksale des Paares gekommen wäre, aber nur, wenn ihn eine besondere Stimmung zu der Dienerschaft nach der Küche bringt, läßt er sich herbei, einzelne Andeutungen zu geben über die frühern Zeiten und die unsichern Fundamente, auf welche der alte Herr gebaut gehabt.




Aus dem englischen Schriftstellerleben.[1]
Erinnerungen an Thackeray. Von Julius Rodenberg.

In jener Gegend von London welche dem Liebhaber alter Erinnerungen theuer ist, im Westen der Stadt, wohin der Seegeruch des Hafens, der Lärm der City und das Wagengerassel von Oxford- und Regentstreet nicht dringen, unter den Kastanien des Parkes und in der Nähe des Palastes von Kensington, steht seit einigen Jahren ein neues, schönes, solides Haus, aus rothem Backstein mit weißen Sandsteinecken, Säulen und Balcon – ich sage ein neues Haus, obgleich es aussieht, als ob es ein altes wäre, fast so alt, wie der


  1. Als ein Gegenstück zu diesem mit allem äußern Erfolge überschütteten Londoner Autorleben, werden wir in einer der nächsten Nummern unsern Lesern das Leben eines Leipziger Schriftstellers erzählen, der, obwohl auch reich begabt, unermüdlich thätig und hochgehalten von den Besten seines Volkes, sich keine Rococo-Paläste bauen und keine gepuderten Lakaien halten konnte, sondern, wie ein echter deutscher Dichter, mit Noth und Sorge gekämpft hat bis zur letzten Stunde und Noth und Sorge den Seinen als Erbe hinterläßt.
    D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 180. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_180.jpg&oldid=- (Version vom 23.3.2021)