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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Aus den Landen des verlassenen Bruderstammes.
5. Schloß Gottorp.

Es war ein ungewöhnlich stürmischer und kalter Maitag im Jahre 1849, wie man sie trotz des Nachtigallenschlages in den herrlichen Buchengehölzen nur auf der schmalen cimbrischen Halbinsel kennt, als ich allein in einer wenig comfortablen Postkutsche von Eckernförde aus mich zum ersten Male der uralten Schleistadt, dem historisch berühmten Schleswig, näherte. Wir hatten den Bustorfer Teich, den man auch See nennen könnte, erreicht, welcher sich vor der Vorstadt Friedrichsberg in die Schlei ergießt, da gewahrte ich gerade vor mir einen durch nichts Besonderes sich auszeichnenden Thurm von nur geringer Höhe.

„Schloß Gottorp!“ sagte der Postillon, ließ am Eingange der Stadt sein Horn erklingen und trieb die Pferde zu rascherem Laufe an. Zwischen den Häusern von Friedrichsberg verlor ich das berühmte Schloß, mit dessen Namen die Geschicke des Landes so eng verknüpft sind, schnell wieder aus den Augen, und bekam es erst in seiner vollen Ausdehnung auf dem breiten Dammwege zu Gesicht, welcher, Gottorp in kurzer Curve umgehend, nach der eigentlichen Stadt Schleswig führt.

Gottorp liegt auf einer Insel am äußersten Westende des Schleibusens, welcher durch den eben erwähnten Chausseedamm von dem eigentlichen Meerstrome abgeschnitten ist und nur einen kleinen, stillen, an manchen Stellen reich mit Schilf bewachsenen Teich oder See bildet. Der Bau des Schlosses fällt in die Mitte des zwölften Jahrhunderts. Architektonische Schönheiten wüßte ich demselben nicht nachzurühmen; es imponirt jedoch durch seinen gewaltigen Umfang wie durch seine Höhe und macht einen bedeutenden Eindruck. Daß man dem abseit von der Stadt gelegenen ernsten Bau zuerst und immer gern wieder von Neuem seine Blicke zuwendet, dazu mag für denjenigen, welcher geschichtlichen Sinn hat, sowohl die Vergangenheit des Schlosses selbst wie sein Name viel mit beitragen.

Ursprünglich war das Schloß Residenz des Bischofs von Schleswig, auf dessen Befehl es erbaut ward. Noch heute macht es den Eindruck einer fürstbischöflichen Hofhaltung, an welche besonders auch die verhältnismäßig geräumige Schloßkirche, in der Mitte des gewaltigen Vierecks gelegen, erinnert. Geistliches Eigenthum blieb indeß Gottorp nur reichlich hundert Jahre; denn schon 1268 erwarb es Herzog Friedrich II. durch Tausch und gestaltete es sofort zu einer Festung um, zu welcher es sich durch seine abgeschlossene Lage mitten in dem tiefen, schwer zugänglichen See vortrefflich eignete. Diesen Charakter, dem es in zahlreichen Kämpfen während des Mittelalters Ehre machte, hat es bis auf den heutigen Tag behalten, obwohl es schon seit dem Jahre 1544 zur Residenz für die Herzöge von Holstein-Gottorp durch den dänischen König Friedrich II. umgestaltet ward. Bis zum Jahre 1713 blieb es fortdauernd Residenz dieser Herzöge. Später verlegte man den Sitz der Regierung für Schleswig-Holstein, sowie das schleswig’sche Ober- und Landesgericht in die umfangreichen Baulichkeiten des Schlosses, wodurch leider die Mehrzahl seiner Gemächer ihr fürstliches Aussehen verloren. Noch in den ersten Jahren nach der Erhebung war es Sitz der Regierung der Herzogthümer, wie denn vorzugsweise in der Stadt Schleswig sich die Intelligenz des ganzen Landes concentrirte.

Nach Entwaffnung der Herzogthümer 1851 und dem darauf folgenden Wiedereinzug der Dänen in die ihnen verhaßte Schleistadt verwandelte man Gottorp in eine Caserne, die es bis auf die Gegenwart geblieben ist. Nur einige Zimmer wurden in wohnlichem Zustande erhalten, damit gelegentlich in Schleswig eintreffende und daselbst kurze Zeit sich aufhaltende fürstliche Personen ein ihrem Range angemessenes Unterkommen finden möchten. Oft freilich ward Schleswig dieser Ehre nicht theilhaftig. Der verstorbene König Friedrich VII. wußte zu gut, daß die braven Bewohner dieser Stadt ihm und seiner Regierung zu grollen das vollste Recht hatten. Er vermied es daher, Schleswig zu besuchen, wenn nicht gerade ein besonderer Anlaß dazu vorlag. Die Herzöge aber aus dem Hause Glücksburg lebten theils in Kopenhagen, theils in Kiel oder traten in auswärtige Kriegsdienste. Der einzige Glücksburger, welcher als Oberhaupt der ganzen Linie wohl gern in Gottorp Hof gehalten haben würde, Herzog Carl, ältester Bruder des jetzigen Königs Christian IX. von Dänemark, durfte dies schon aus Klugheit nicht thun, um sich nicht den unversöhnlichen Haß der ganzen dänischen Nation, den er ohnehin schon besaß, in noch höherem Grade zuzuziehen. Er lebte im Winter auf dem Schlosse in Kiel, während er Frühjahr und Sommer auf dem ihm gehörenden Schlosse Louisenlund an der Schlei zubrachte. Herzog Carl von Glücksburg kämpfte nämlich während der Erhebungsjahre in den Reihen der schleswig-holsteinischen Armee als guter Deutscher gegen Dänemark und mußte sich später als Amnestirter möglichst ruhig verhalten.

Schloß Gottorp, das mit seinen Mauern, welche geräumige Plätze umschließen, ein unregelmäßiges Viereck bildet, ließe sich gewiß mit Leichtigkeit zu einem respectabeln festen Platze machen, dem schwer beizukommen wäre. Da man jedoch neuerdings sich mit Belagerung und Berennung fester Plätze nur dann abgiebt, wenn sie den ferneren Kriegsoperationen durch ihre Lage hinderlich oder gar gefährlich werden können, so haben die Dänen wohl ganz recht daran gethan, daß sie von einer ernsthaften Befestigung des berühmten Fürstensitzes Abstand nahmen. Von den nahen Höhen des Thiergartens im Norden wäre das Schloß mit wenigen Bomben in Brand zu schießen, auch würde es sich leicht aushungern lassen. Jedenfalls lag es aber ursprünglich nicht in der Absicht der Dänen, Gottorp ohne vorhergegangenen Kampf in größter Eile zu räumen, sonst könnte die nächste Umgebung desselben unmöglich so aussehen, wie sie sich gegenwärtig darstellt.

Wie schon bemerkt, führt von der Südseite, welcher sich die Fronte des ehrwürdigen Schlosses zukehrt, nach dem geräumigen Schloßhofe, in dem sich eine ganz stattliche Streitmacht versammeln ließe, ein breiter Dammweg durch den See, den früher zu beiden Seiten prächtige alte Lindenbäume umsäumten.

Von diesen malerischen Bäumen ist gegenwärtig kaum noch eine Spur vorhanden. Die Dänen hatten sie alle, wahrscheinlich erst nach dem Vorrücken der österreichisch-preußischen Truppen, umgesägt, aber so mit Balken gestützt, daß sie noch beim Einzuge der Oesterreicher in die Stadt aufrecht standen. Ohne Zweifel also wollte man im Fall eines Durchbruches der Deutschen auf irgend einem Punkte der so weit ausgedehnten Danewerkstellung sich im Schlosse selbst noch eine Zeit lang zu halten suchen, um den Rückzug der Armee zu decken. Mittels der abgesägten Bäume war der Zugang zum Schlosse durch ein starkes Verhau leicht zu sperren, und unterhielten die Dänen aus den Fenstern Gottorps ein wohlgezieltes Musketenfeuer auf die ungestüm vordringenden Deutschen, so konnte es immerhin Blut genug kosten. Zwei Tage noch vor dem Abzuge der dänischen Armee aus dem so furchtbar verschanzten Danewerke hatte König Christian IX. sein Hoflager in dem uralten Schlosse seiner Väter aufgeschlagen. Der Aufenthalt kann für den arg bedrängten Monarchen, für welchen die Dänen kein Herz haben, weil er ein Deutscher ist und sie ihm nicht trauen, und den alle Schleswig-Holsteiner als den gefährlichsten Feind ihrer gerechten Sache betrachten müssen, nicht viel Anziehendes gehabt haben. Aus den Fenstern der von ihm bewohnten Zimmer erblickte er ebenso die von seiner Armee vertheidigten Schanzen des Danewerkes gerade da, wo die stärksten Befestigungen sich befanden, wie er das Aufblitzen der feindlichen Geschütze nach der Erstürmung des Königsberges bei Ober-Selk gewahren mußte. Bis nahe an das Schloß rollten die Granaten der Deutschen, und das Eis der Schlei war mit gesprungenen Hohlgeschossen bedeckt. Nur Flucht, schleunige Flucht, konnte den ungeliebten König vor größeren Gefahren schützen. . .

Den siegreich vorgehenden Oesterreichern blieb keine Zeit, auf dem Schloßhofe aufzuräumen, weshalb man denselben noch mehrere Tage später fast ganz in demselben Zustande antraf, den er zur Zeit des nächtlichen Rückzuges der Dänen gehabt haben mochte.

Da lagen neben einer Unmasse zerstampften Strohes ungeheure Stöße von Faschinen und Pfählen zu Palissaden, dort Schanzkörbe und jene abscheulichen spanischen Reiter, auf deren spitzen Eisenklingen bei nothwendig gewordenem und wirklich unternommenem Sturme auf die Schanzen mancher brave Soldat elendiglich seinen Tod gefunden haben würde. Kugeln endlich der verschiedensten Größe waren überall zu hohen Pyramiden aufgeschichtet.

Nachdem der Kriegsschauplatz weiter nach Norden verlegt wurde, trat in Schleswig wieder die alte Stille ein, die nur durch das

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_204.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)