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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Angelo trat schnell dazwischen. „Wunderlich!“ rief er, „ich finde gerade die Stimme nicht ähnlich. Mein unvergeßlicher Freund besaß ein weniger tiefes, aber weicheres Organ … Doch, gnädige Frau, erlauben Sie mir, mich zu empfehlen. Schon geht die Sonne nieder, und ich habe noch einen weiten Weg vor mir.“

Da Stephanie ganz in Gedanken verloren schien, ergriff Fräulein Fanny das Wort und bot dem Scheidenden die Benutzung von Pferd und Wagen an. Aber Angelo lehnte es ab.

„Ich bin ein Feind aller Bequemlichkeit,“ sagte er. „Meine gnädigste Gräfin, ich empfehle Sie Gottes und der Madonna Schutz. Leben Sie wohl!“

„Leben Sie wohl!“ sprach die Gräfin und reichte Angelo ihre Hand, die eisig kalt war. Sowie beide Männer das Gemach verlassen hatten, warf sich die schöne Frau auf einen Divan und begann heftig zu weinen. Fanny trat erstaunt zu ihrer Gebieterin, kniete nieder und legte Stephaniens Haupt schmeichelnd, tröstend und liebkosend auf ihren Arm, an ihre Brust. Sie verwünschte Angelo und vor Allem ihn, der in Stephanie traurige Erinnerungen weckte. Sie an der Gräfin Stelle würde ihn nicht einmal noch sprechen, sondern ihn kurzweg dem Herrn Angelo nachschicken.

„Nein, nein!“ rief die Andere hastig, „er soll bleiben. Ich will ihn sehen, ihn sprechen hören. Wie Heinrich’s Schatten will ich ihn betrachten. O, diese Stimme, mein Gewissen erwachte bei ihrem traurigen Klang und rief mir zu, welch’ ein leichtsinniges, treuvergeßnes Weib ich bin.“

Mon Dieu,“ versuchte Fanny zu scherzen, „welch’ ein verleumderisches Gewissen! Kommen Sie, gnädigste Gräfin, lassen Sie uns Ihrem Cousin und dem Grafen Aßperg entgegengehen. Wie würde Herr von Montigny erschrecken, Sie hier in Thränen und Verzweiflung zu finden, und wie würde er lachen, wenn er die Ursache davon erführe! Die Aehnlichkeit, die unbedeutende Aehnlichkeit eines armen Bettelmönchs mit dem Grafen Heinrich von Waldenburg! Und vielleicht würde Ihr Cousin auch nicht lachen, vielleicht sich tief verletzt fühlen, denn er bildet sich ein, gewisse Erinnerungen eines Herzens verdrängt und dies schöne Herz für sich erobert zu haben.“

„Glaubst Du, Montigny wäre – würde …?“

„Eifersüchtig,“ ergänzte die schlaue Schmeichlerin die Erröthende, die sich emporgerichtet und mit offenbarem Behagen Fanny’s Worten gelauscht hatte. „Gewiß ist er eifersüchtig auf Alle, die ihm seine Dame streitig machen, seien sie nun lebendig oder todt.“

„Todt, wie traurig das klingt!“

„Aber Montigny lebt, Montigny liebt, die kleine Fanny bittet für Montigny.“

Stephanie legte dem schelmisch lächelnden Mädchen die Hand auf den Mund. „Still,“ sagte sie, „Du bist ein verzogenes, unartiges Kind! …. Wir wollen Edgar – Herrn von Montigny entgegengehen.“

Unterdessen hatte Angelo in Heinrich’s Begleitung das Schloß verlassen. Sie gingen durch das Dorf, das zu beiden Seiten der Landstraße sich hinabzog. Wohl war die Sonne hinter den Bergen, aber noch ergoß sich eine Fülle goldenen Lichts durch den reinen Aether. Schimmernd lag es auf der breiten, festgeglätteten Straße, an den weißen Häusern mit vorspringendem Giebeldach und bunten Schildereien, an den grauen Kalkfelsen dahinter. Auf der Bank neben der Hausthür saßen uralte Mütterchen und Greise mit Gesichtern, die von der Zeit versteinert schienen, und stierten in das lärmende Getriebe der flachshaarigen Kinder, die Ringelreihen tanzten, dort sich haschten, hier sich balgten. Kräftige Männer und Frauen standen auf den steinernen Stufen, die zum Eingang führen, und plauderten mit einander. Aus manchem Erdgeschoß klang die Cither, und droben an der Balustrade der hölzernen Galerie, welche jedes Haus umgiebt, lehnte zwischen Nelkentöpfen und ausgespannter Wäsche eine sonnengebräunte Maid, den Kopf auf beide Arme gestützt, und sah ernst und nachdenklich aus wie ein ägyptisches Sphinxgesicht. Wo Angelo und Heinrich vorbeigingen, grüßten die Männer und knixten die Frauen, aber kaum daß der Eine oder Andere ihnen nachblickte. „Niemand erkennt mich,“ sagte Heinrich wehmüthig.

„Du hast die Feuerprobe bestanden,“ sprach der Andere. „Verstorben, vergessen.“

Ein offener Korbwagen kam ihnen entgegen, zwei Herren in Jägertracht saßen vorn, zwei Forstmänner auf dem Rückplatz.

Angelo’s Gruß wurde kalt erwidert; der eine von den Herren kutschirte und peitschte unbarmherzig auf die schönen Braunen los, die den Wagen zogen. Sie fuhren in’s Schloß.

„Montigny und Graf Aßperg,“ sagte Heinrich finster. „Gehört Aßperg auch zu den „lieben“ Gästen meiner Frau?“

„Er und sein Weib.“

„Sein Weib?“ rief der Andere heftig. „Die berüchtigte Gräfin Wanda Aßperg ist in meinem Schloß, in Stephaniens Nähe? Ich habe vor Jahren schon meiner Frau diesen unwürdigen Umgang untersagt. Stephanie gab mir damals Recht; sie verabscheute das aller Scham und Tugend bare Weib. Und jetzt würdigt sie es ihrer Freundschaft?“

„Die Aßperg ist witzig, amüsant. Die Geschichte von damals ist in der Gesellschaft vergessen. Nichts wird auf der Welt leichter vergessen als ein Scandal, ein Versprechen und ein Todter.“

„Wer waren die zwei grünen Bursche hinter meinem Cousin?“

„Der neue Förster mit seinem Gehülfen.“

„Ist denn mein alter, guter Redlich todt?“

„Nein, aber entlassen. Cousin Montigny fand Redlich zu alt und den Alten zu redlich. Als auf Herrn von Montigny’s Rath, Wunsch oder Befehl – nenn’s wie Du willst! – der Zorningerforst abgeholzt werden sollte, that der Förster Redlich Einsprache. Das zog ihm der gnädigen Frau Unwillen zu, und er wurde entlassen, der Forst aber abgeholzt.“

„Den treuen Diener kann ich belohnen,“ sagte Heinrich schmerzlich, „aber der schöne Forst, die Krone meiner Wälder! Ihn zu zerstören, anstatt stolz darauf zu sein, daß wir einen solchen Forst hegen und halten können!“

„Holz ist baares Geld, und da es sich jetzt zuweilen ereignet, daß Mangel an Baarem ist –“

„Träumst Du?“ unterbrach ihn flammend der Graf. „Meine Frau ist reich.“

„Gewiß, aber sie hat fixe Ideen, die viel, sehr viel Geld kosten. So bildet sie sich ein, Herrn von Montigny’s sprüchwörtliches Unglück im Spiel paralysiren zu können, indem sie sein Bankier beim Spiele ist. Da war Baron Orman jüngst zu Gast. Er kam mit einem einzigen Koffer, aber das war ein Wunderkoffer, denn als der Herr Baron abreiste, trug er den ganzen Zorningerforst darin fort. Leider glaube ich, daß auch die Aßperg’s ähnliche Wunderkoffer haben.“

„Aber was sagt denn der Verwalter?“

„Der neue Verwalter? O, das ist ein gefälliger Mann und ein Tausendkünstler, ein wahres „Tischlein decke dich.“ Die Gräfin braucht nur zu sagen: Geld! so schafft er Geld. Und wie bequem ist er! Er bringt fünfzig, und die Gräfin schreibt hundert; abgemacht! Keine Schwierigkeit, kein Gerede, keine langweilige Ueberlegung. Alles glatt und geschmiert und doch in bester Form!“

Der Andere seufzte. Ein kleiner, schmutziger Junge trat in diesem Augenblick an sie heran und bettelte.

(Fortsetzung folgt.)




Aus dem deutschen Schriftstellerleben.
Erinnerungen an Hermann Marggraff.
Von Friedrich Hofmann.

In den letzten zehn Jahren konnte man in Leipzig, früher auf dem Wege nach Gohlis, in jüngster Zeit auf der belebten Straße zwischen den Brockhaus’schen Geschäftsgebäuden und dem äußersten Ende der Kohlenstraße am bayerischen Bahnhofe, tagtäglich in den Abendstunden einem Mann begegnen, dem manches Auge mit Wohlgefallen nachblickte, denn nie sah man ihn allein, immer umgab ihn ein Kranz köstlich lachender blonder Lockenköpfchen. Ein Knabe und drei bis vier Mädchen, Alle mit ihren Schulränzchen behängt, bildeten seine regelmäßige Begleitung, sie hielten sich an seinen Händen, an den Kleidern fest, umschwärmten ihn mit der lieblichsten Kinderlust, die munteren Augen lachten nur ihm, und wie die Gruppe so dahinzog, erkannte man leicht, daß es ein Stückchen von einem Familienbilde war, das auch auf der Straße ein um die Umgebung unbekümmertes Ganzes blieb.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 212. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_212.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)