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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

sofern ein vermöglicher Verurtheilter immer zwei beliebige Aerzte finden werde, welche zwei sentimentale Friedensrichter bestimmen können, ihn für geisteskrank zu erklären, und das um so eher, je gräulicher ein Mörder sei;[1] während die Presse also in dieser Weise, zum Theil mit großer Bitterkeit, gegen den vermöglichen Townley auftrat, wurde in entgegengesetzter Richtung für den armen Wright agitirt. An der Spitze dieser Agitation stand der Advocat der Anklage selber, Herr Sleigh. Derselbe war rastlos in seinem Bemühen, Sir George Grey zu bewegen, bei der Königin den Gnadenact zu befürworten, indem er seine Ueberzeugung aussprach, „daß der Angeklagte, hätte er einen Vertheidiger gehabt, von den Geschwornen nur des Todtschlags schuldig befunden worden wäre.“ In gleicher Weise verwendeten sich bei dem Minister die das Gefängniß besuchenden Richter. Eine Monstreversammlung von Arbeitern bat in einer motivirten Eingabe, unter Hervorhebung der unerhörten Ueberstürzung der Untersuchung, um Begnadigung des Verurtheilten; ebenso sechshundert Handelsleute in Lambeth, dem Hauptbezirke Londons, in dem Wright gewohnt hatte. Sir George aber erwiderte: „Hätte Wright sich nicht selber schuldig erklärt, so würde eine ihrer Pflicht bewußte Jury dies gethan haben. Nichts spreche für eine von Seiten des Weibes gegen den Delinquenten verübte Gewaltthätigkeit, wodurch derselbe gereizt worden sei. Allerdings sei die Ermordete „von heftigem Charakter und bösartig“ gewesen, dies sei aber kein Beweis dafür, daß sie am Sonntag, den 13. December, in der Frühe den Verurtheilten angegriffen habe. Der gleichen Ansicht sei der Vorsitzende Richter.“ Sir George bedauert, einen Mann von „bisher gutem Charakter“ zum Tode verurtheilt zu sehen, kann sich aber, im Hinblick auf die bisherige Praxis (!), nicht entschließen, bei Ihrer Majestät die Begnadigung zu beantragen. Eine Petition an den Prinzen von Wales wurde abgewiesen, weil jedes Einschreiten seinerseits „inconstitutionell“ wäre, und eine der Königin direct übergebene Bittschrift mit der Antwort abgefertigt, „daß Ihre Majestät es nicht unternehmen könne, ihren Räthen zu rathen.“

Auf Dienstag, den 12. Januar 1864, wurde die Hinrichtung festgesetzt. Die Regierung befürchtete Unordnungen und traf deswegen Vorsichtsmaßregeln in großem Maßstabe. Dieselben waren jedoch überflüssig, denn das Volk demonstrirte in anderer Weise, friedlich, aber ergreifend. Am Montag, den 11., circulirten im südlichen Stadttheil Londons, wo die Execution vor sich gehen sollte, Zettel mit Trauerrand, des Inhalts: „Feierlicher Protest gegen die Hinrichtung Samuel Wright’s. Männer und Frauen von London, haltet Euch fern von dem traurigen Schauspiel der Ungerechtigkeit! Nur der Himmel soll auf das Verbrechen schauen, das der Henker begeht. Schließet und verhüllet alle Fenster! Engländer, wenn Wright gehängt wird, dann giebt es zweierlei Recht in England: eines für den Armen, und eines für den Reichen!“ Die Protestation wirkte. Nur Gesindel der niedrigsten Art sammelte sich am Dienstag vor dem Horsemongerlane-Gefängniß, wo die Hinrichtung stattfinden sollte. Das betrunkene Gesindel jauchzte und verhöhnte den „Hängeminister“ Sir George. Alle Läden und Fenster in den umliegenden Straßen waren geschlossen und verhängt. Arbeiter besetzten die Zugänge, die Neugierigen beschwörend, den „Platz der Schande und des Justizmords“ zu meiden. Während sonst mehr als 20.000 Menschen dem traurigen Schauspiel einer Execution in London beizuwohnen pflegen, waren diesmal kaum 3000 erschienen, darunter wenigstens 1000 Constabler.

Um neun Uhr wurde Wright auf’s Schaffot geführt. Gefaßt und festen Schrittes ging der Mann zum Tode. Er wurde mit furchtbarem Zuruf empfangen. Das Volk sah in ihm nicht den Missethäter, sondern nur das Opfer eines störrigen Bureaukratismus. Wright dankte für die Anstrengungen, die das Volk gemacht habe, sein Leben zu retten. Dieses aber schrie und brüllte: „Schande, Schande, Justizmord! – Wo ist Townley?“ Wright verbeugte sich tief. Zwanzig Mal drang zu ihm der Zuruf allgemeinen Mitleids; zwanzig Mal verbeugte er sich, selbst als ihm schon die weiße Kappe über die Augen gezogen war. Eine Minute später hing er leblos am Galgen, während wahnsinniges Gezisch, Pfeifen und das Geschrei: „Wo ist Townley?“ durcheinander tobte.

Das entmenschende Schauspiel einer solchen Hinrichtung giebt kein vortheilhaftes Bild von dem Culturzustande des „freien“ Volkes von England. Am 13. Januar aber erfolgten in London neue Monstreversammlungen, welche Adressen an’s Parlament beschlossen für Abschaffung der Todesstrafe, zugleich erklärend, Sir George Grey habe sich des Postens eines britischen Ministers unwürdig gemacht. In den Londoner Blättern geht indessen der Streit über die Bedeutung der Parlamentsacte von 1840 fort. Die Einen behaupten, in Folge des „Separat-Gutachtens“ müsse Townley lebenslänglich in einem Irrenhause verwahrt werden, während die Anderen anführen, sobald die Geisteskrankheit desselben geheilt, worüber die Irrenärzte zu entscheiden haben, sei Townley wieder wie zur Zeit der Verurtheilung und müsse dann der Spruch vollzogen werden.

Die Freunde der Humanität und die Gegner der Todesstrafe werden aus beiden Fällen, aus dem Fall Townley sowohl, wie dem Fall Wright, bedeutendes Capital machen für Abschaffung dieser Strafe, allen aber liefern die merkwürdigen Processe den schlagendsten Beweis, daß die Handhabung der Gerechtigkeit sehr übel bestellt ist in einer Nation, die sich in ihrem Uebermuthe gern in jeder Beziehung für die Musternation der modernen Zeit hält.




Aus den Landen des verlassenen Bruderstammes.
6. Ein Brief unsers Specialartisten.
Flensburg, am 12. März 1864. 

„Was lange währt, wird gut.“ Möchten Sie, verehrter Herr Herausgeber der Gartenlaube, und die Riesenarmee Ihrer Leser dazu, dies alte Sprüchwort auch stichhaltig finden, wenn Ihnen die Zeichnungen zu Gesichte kommen, die ich heute als einer Ihrer wohlbestallten „Specialartisten vom Kriegsschauplatze“ südwärts dirigire! Wohl hätten Sie schon früher Schöpfungen meines Bleistifts haben können, aber, was die englischen, französischen und süddeutschen illustrirten Blätter auftischen, Phantasiegebilde, die man zu Hause ganz gemüthlich selbst componiren und auf der Berliner und Wiener Wachtparade in aller Bequemlichkeit beschauen kann, wollten Sie nicht haben und mochte ich noch weniger Ihnen geben. So mußte ich denn erst wirklich auf dem Theater der Ereignisse und so recht im dicksten Getümmel sein, um Motive zu meinen Skizzen zu gewinnen. Daß aber die Künstlerfahrten Ihres Specialartisten einen ganz ordentlich militärischen Charakter gehabt und sich nicht allzuweit hinter den einprasselnden blauen Bohnen gehalten haben, das wird Ihnen schon aus meinen neulichen Zeilen ersichtlich gewesen sein.

Wahrhaftig, an Strapazen und Anstrengungen fehlt es nicht in diesem Winterfeldzuge bei dem anhaltenden scharfen Ostwind, dem ewigen Schneegestöber, dem selten nebelfreien Horizonte und einer Kost, die auch für den allergesündesten und ausgepichtesten Magen eine harte Nuß wird. Das unaufhörliche Einerlei von dicken Linsen und Erbsen will auf die Länge gar nicht „rutschen“, und doch ist’s ein Glück, daß von Kost überhaupt noch die Rede sein kann. Dazu grundlose Morastwege, in denen man bis zum Knie einsinkt, wochenlang nicht aus den Kleidern und nur ausnahmsweise einmal ein menschliches Bett. Alles Das hat Ihr tapferer Specialartist pflichtschuldig und berufsmäßig mit durchgemacht und sogar neulich mit auf Vorposten gelegen, in der vordersten Vedettenkette bei der Nübler Wassermühle, dicht dem Feinde gegenüber hinter demselben Verhau, welches die eine seiner heutigen Skizzen bis auf jede Einzelheit getreulich darstellt.

Mit dergleichen, meist aus Reisig und Holzbündeln gebildeten Verhauen oder Barrieaden schützen sich hier unsere Vorposten überall, damit der Feind sie nicht ohne Weiteres überrumpelt. Ganz ähnlich verbarricadiren die Feldwachen auch die von ihnen besetzten Häuser und Gehöfte, um im Nothfalle selbst einem numerisch überlegenen Angriffe mit Erfolg Widerstand leisten zu können.

Indeß alle diese Beschwerden lassen sich ertragen und werden von den Truppen mit Selbstverleugnung, ja mit Freudigkeit überstanden; dürften sie doch danach, jetzt vor den Düppeler Schanzen zu zeigen, wie der alte preußische Muth, die Tapferkeit aus den Schlachten des siebenjährigen Krieges und von der Katzbach und von Dennewitz, von Leipzig und von Belle-Alliance als Erbtheil fortleben im heutigen Geschlechte, – wenn man nur auch von


  1. Der berühmte Criminalist Köstlin äußerte: die Aerzte geben sich nie mehr Mühe, das Leben eines Menschen zu retten, als wenn ihm die Justiz dieses Leben abgesprochen hat.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_220.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)