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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

No. 15.   1864.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. 0Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.





Der Schatten.
Erzählung von Carl August Heigel.
(Fortsetzung.)

„So lange Graf Heinrich lebte,“ sagte Heinrich mit einem bedeutsamen Blick zu seinem Begleiter, „ward in Waldenburg nicht gebettelt.“

„Es ist des hinkenden Robert Sohn,“ erwiderte Angelo. „Sein Vater ward in Ungnade entlassen und nagt nun am Hungertuche.“

„Der Jäger Robert? Allerdings ein plumper Gesell, aber –“

„Er hinkt. Die Frau Gräfin hat einen ausgeprägten Schönheitssinn. Die Leute in ihrer Umgebung müssen hübsch und gewandt sein. Man will mit seinem Staat doch Staat machen. Und dann benahm sich Robert grob gegen Herrn von Montigny … Ist Dein Vater zu Hause?“ wandte er sich an den Knaben, der neben ihnen her lief und unermüdlich „Bitt’ schön! bitt’ schön!“ sagte.

„Ja, Vater und Mutter sind daheim,“ erwiderte der Junge. „Vater hat einen Rausch, und die Mutter schimpft. Bitt’ schön!“

„Laß uns eintreten,“ sagte Heinrich entsetzt. „Der Mann muß gerettet werden.“ Sie traten in eine elende Hütte, die am Ausgange des Dorfes lag. Die einzige Stube, durch eine Breterwand vom Stall getrennt, war nur schwach erhellt, die Luft darin dumpf und schwül. Am Heerd glimmten einige Kohlen und rösteten eine Hand voll roher Kartoffeln. Eine häßliche Frau mit wirrem Haar und ungeordneter Kleidung saß am Tische und säugte ein Kind. Ein älteres Mädchen balgte sich auf dem schwarzen Fußboden mit einem Dachshund; der Vater, ein bärtiger, wild aussehender Gesell, lag auf dem Bett. Als Heinrich und Angelo hereintraten, schrie das Kind, der Hund bellte, die Frau zerrte keifend ihren Mann empor, und dieser fluchte.

„Pater Angelo ist da, siehst Du denn nicht?“ schrie das Weib. „Pater Angelo vom Schloß, Du Trunkenbold!“

„Hol’ der Teufel das Schloß und Alle, die drin sind!“ lallte der Mann.

„Er weiß nicht, was er redet,“ wandte sich die Frau entschuldigend an Angelo. „Seitdem ihn die Frau Gräfin entlassen hat – was sie vor Gott nimmer verantworten kann – ist er ein Säufer. Schnaps ist Brod, Trost und Recht, sagt er. Ach, ich bin die unglücklichste Frau auf der Welt! Wir müssen elend zu Grunde gehen, aber die Gräfin soll auf ihrem Sterbebette an uns denken.“

„Gieb mir die Kugelbüchse ’runter,“ stammelte der Jäger, als er seine Frau schluchzen hörte. „Ich schieß’ ihn todt, den Hund, den Montigny. Gieb mir die Kugelbüchs’ …“

Seine Frau sprang auf ihn zu und rüttelte ihn unsanft an der Schulter. „Aufstehen sollst Du,“ schrie sie, „und Deine dummen Reden lassen! Oder man wird Dich auf’s Landgericht bringen und einsperren. Ach, Sie sagen’s nicht weiter, Hochwürden! Er ist so betrunken. Und Herr von Montigny ist an allem Unglück schuld. Sehen Sie, der selige Herr Graf war ein guter, aber ein wenig verworrener Herr. Er hätte in seinem Leben keine Gams getroffen. Wenn ihm nun ein Stück Wild in den Schuß kam, knallte mein Mann zugleich mit dem Grafen los, und der Herr Graf hat nichts gemerkt und sich über seinen eingebildeten guten Schuß gefreut. Wie nun im Frühjahr mein Mann zum ersten Mal hinterm Herrn von Montigny auf der Heinrichswand am Anstand steht und ein Gamsbock drüben vorbeisetzt, schießt Herr von Montigny und mein Mann schießt auch. Es lag ihm in der Hand vom Seligen her. Was aber thut der Andere? Sowie der Gamsbock gefallen ist, dreht er sich um und haut den Robert mit seinem flachen Saufänger. Mein Mann verschluckt’s, holt den Gamsbock, weidet ihn aus, nimmt die Kugel ’raus – es war seine Kugel – und sagt: wenn Sie allein geschossen hätten, könnte der Bock noch hundert Jahr’ leben! … da war’s aus; nach Hause kommen und seinen Abschied kriegen, war eins.“

„Betet für den seligen Herrn,“ sagte Angelo. „Vielleicht schickt er Euch Hülfe.“

„Ach, todt ist todt. Ein lebendiger Bettelmann kann mir mehr nützen, als ein todter König. Ich wollte, Herr von Montigny wäre uns gnädig, denn der ist jetzt Herr auf Waldenburg.“

„Recht hast Du, Frau,“ brummte der Jäger, der sich unterdessen ermuntert hatte. „Ich will zum Herrn von Montigny. Vivat der Herr von Montigny!“

„Komm!“ flüsterte Heinrich, „ich ersticke hier.“ Er legte ein Goldstück auf den Tisch und eilte, bevor die überraschte Frau Worte fand, in’s Freie.

Schweigend schritten sie nebeneinander her. Schon walteten tiefe Schatten, vom Fluß stiegen Nebel auf und am schwarzblauen Himmel traten Mond und Sterne hervor. „Begleite mich nicht weiter,“ sagte Angelo am Eingang eines finstern Fichtenwaldes. „Kehre in Dein unglückliches, entweihtes Haus zurück! Morgen Nachmittag treffen wir uns in der Sennhütte hinter der Heinrichswand. Gute Nacht!“

Sie trennten sich. Langsam ging Heinrich nach Waldenburg zurück. Als er über den stillen Schloßhof schritt, sprang aus einem dunkeln Winkel ein angeketteter großer Hund heulend empor.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 225. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_225.jpg&oldid=- (Version vom 20.7.2021)