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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

No. 16.   1864.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. 0Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.





Der Schatten.
Erzählung von Carl August Heigel.
(Fortsetzung.)


Sogar das frostige Herz der Durchlaucht schmolz unter Montigny’s jugendlicher Wärme, seinem Schwatzen und Schmeicheln. Sie ließ sich von ihm zu Tische führen und hörte schon nach dem ersten Gang nur noch auf ihn, vor Vergnügen mit den weißen Wimpern zwinkernd und ihres Nachbarn zur Linken ganz vergessen. Stephanie, die ihnen gegenüber zwischen dem Fürsten und einem siebenzigjährigen General wie eine Elfe zwischen zwei Eisbären saß, beneidete die Fürstin und mußte sich Gewalt anthun, um nicht immer nach ihrem Cousin zu blicken.

Musik spielte während der Tafel. Als Eis servirt wurde und der Champagner in den Gläsern perlte, ward das Gespräch lauter und allgemeiner. Heinrich, der weiland als Schloßherr an diesen Unterhaltungen hatte Theil nehmen müssen, nun aber als stummer Gast sie genauer verfolgen und prüfen konnte, erschrak über die Leerheit der Gespräche, die Unwissenheit, welche Mancher dabei verrieth, und die Herzensrohheit, die nicht selten unter gewähltem Ton hervorzüngelte.

„Alexandrine, horche doch!“ rief der taube Fürst seiner Gemahlin zu. „Sie spielen das Terzett aus der Zauberflöte.“

My dear, Du irrst Dich,“ erwiderte die Fürstin, zerstreut hinhorchend. „Sie spielen Verdi; Verdi!“ wiederholte sie lauter. „Oh, come mobili sono le donne …“

„Lieben auch Sie Verdi, Durchlaucht?“ fragte Montigny. „Verdi ist mein Componist, Heine mein Poet.“

„Dann haben wir Einen Geschmack,“ erwiderte sie. „O ich lebe und schwebe in Musik! Der Fürst hat eine erlesene Kapelle. Wenn Sie uns endlich einmal auf Stauff besuchen, soll sie nur Verdi spielen.“ Und sie versenkten sich wieder in ein leise geführtes Gespräch, während dessen die Fürstin manchmal scheu nach ihrem Gatten und auf die übrige Gesellschaft blickte. Aber der Erstere suchte die Gräfin für das neue Drainirungssystem seines Güterdirectors zu interessiren, die Andern schwatzten wirr durcheinander. Montigny’s Lippen zuckten immer übermüthiger.

Waldenburg sah Stephaniens unmuthiges Erröthen, sah ihr Auge bald auf die Fürstin, bald auf Edgar blitzen und verstand sie. Sie war eifersüchtig. Kurz nach dem Dessert erhob sie sich und gab damit das Zeichen zum Aufbruch nach der Terrasse. Dort theilte sich die Gesellschaft sofort in verschiedene Gruppen. Einige gingen auf der Terrasse plaudernd auf und nieder, Andere lehnten am Treppengeländer, die Mehrzahl lustwandelte im Park. Man trank Kaffee, die älteren Herren rauchten, die jüngeren schlossen sich den Damen an.

Waldenburg verfolgte mit den Augen seine Gattin. Sie streifte an Montigny vorüber und flüsterte ihm dabei einige Worte zu; Edgar antwortete lachend. Heinrich errieth ihn: er machte sich über die Fürstin lustig. Aber Stephanie ließ sich so schnell nicht versöhnen, sie ging in den Park hinab, wohin ihr Montigny mit verdrießlichem Gesicht folgte; dort wurden sie von einem heitern Schwarm umringt und festgehalten.

Fräulein Fanny hatte Heinrich in’s Auge gefaßt. Fühlte sie Mitleid mit dem verlassenen Mann oder fand sie es an der Zeit, dem immer keckeren Drängen eines jungen Officiers, ihres Begleiters, zu entrinnen, sie trennte sich von Letzterem und trat zu Waldenburg.

„Sie wohnten wohl nie einer so großen Tafel bei, Herr Kaplan?“ begann sie in ihrer resoluten Weise. „Uebrigens sollte ich Ihnen grollen, denn während des Diners haben Sie mich grausam vernachlässigt und ihre Aufmerksamkeit ausschließlich der Gräfin und Herrn von Montigny gewidmet. Allerdings das einzig Interessante der ganzen Tafel! Ich wette, Sie dachten an den nahen Tag, an dem Sie Beide trauen werden.“

„Liebte die Gräfin ihren Gemahl so wenig, daß sie ihn so bald vergessen könnte?“

„O ja, ich glaube, sie liebte ihn. Kurz nach dem Todesfall erhielt ich meine Stelle und fand die Wittwe wie Niobe, ganz in Thränen. Aber kann man denn immer an Leichen denken? Und sagen Sie selbst, bilden Stephanie und Edgar nicht das schönste Paar der Welt? Auch hörte ich von einem alten Privilegium, demzufolge Montigny, sobald er ihre Hand und das Schloß erhält, in den Grafenstand erhoben würde. Sie bliebe also Gräfin.“

„Ist Schönheit die einzige Bedingung einer glücklichen Ehe? der Vorbehalt eines Titels die einzige Rücksicht?“

„So meint’ ich es nicht. Ich bin überzeugt, daß die Gräfin jetzt ihren Cousin liebt, wärmer vielleicht als ihren ersten Gemahl. Ich kannte diesen nicht, aber was ich von meiner Gebieterin, von Herrn von Montigny und Andern über ihn hörte, macht mich vermuthen, daß er für Stephanie nicht der rechte Mann war. Er ein mystischer Träumer, der sich über Gott und Welt, Menschenbestimmung und was weiß ich den Kopf zerbrach; die Gräfin aber träumt niemals am Tag und Nachts gewiß nur von Bällen und Soiréen. Zu gefallen, hält sie für ihre einzige Bestimmung, und ihr Ideal ist vielleicht die Fürstin Metternich in Paris. Ich fiel aus den Wolken, als sie sich heute von einem gespenstischen Schatten etwas einredete. Bisher sah sie nur Sonnenschein auf ihrem Wege. Zu

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 241. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_241.jpg&oldid=- (Version vom 21.7.2021)