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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

„Ich bin ja kein Angelo, mache Ihnen keine Vorwürfe wegen Ihrer tollen Wirthschaft. Sie sind nun einmal ein Lebemann, ein Cavalier, echtes Vollblut mit allen nobeln Passionen. Wie Sie leben, leben müssen, bedürfen Sie mindestens zwölftausend Thaler Renten. Das finde ich durchaus lobenswerth; der Mensch steigt um so höher in meiner Achtung, je mehr er braucht. Leider wirft Ihnen Ihr eigenes Vermögen nur zweitausend ab. Zwar hege ich eine hohe Meinung von Ihrer Liebenswürdigkeit, Grazie und Ueberredungsgabe – wie Sie dem Silberbauer einen Wechsel in die Hände spielten, war ein Meisterstück! Aber das geht nicht immer. Eines Tages werden Sie nur noch Gläubiger und keine Creditoren haben. Sie müssen sich also zu verbessern suchen –“

„Wenn ich meine Cousine heirathe –“

„Nun, wenn Sie Ihre Cousine heirathen, was dann? Dann werden Sie ihr am Morgen nach der Hochzeit ein Sündenbekenntniß machen und von Wucherern Geld auf das Schloß aufnehmen müssen, um Ihre Schulden zu bezahlen. Und dann, da Sie kein Hans Träumer wie Ihr Cousin sind, sich nicht in Bücher vergraben, nicht Milch statt Sect trinken, werden Sie sich in diesem alten Eulennest sehr bald langweilen, werden mit der Gräfin ein Hôtel in der Residenz beziehen und also doppelte Rechnung machen. Grund und Boden hier werfen eine hübsche Summe ab, aber sie wollen auch klug verwaltet und ausgenützt sein, und Sie sind kein Landwirth.“

„Mit der Zeit kann ich es werden.“

„Nie! Sie haben Ihre Seele der Gesellschaft, dem Spieltisch und dem Ballet verschrieben. Diese drei Teufel geben Einen nicht los, das weiß ich aus eigener Erfahrung. Andrerseits werden Schloß, Land und Wald an Ihnen zehren, denn man hat auch das Mittelalter nicht umsonst. Kurz, ich sehe Ihren sichern Ruin, durch die Heirath zwar verzögert, aber dann rapid, schrecklich, hoffnungslos.“

Es entstand eine kurze Pause. Montigny pfiff leise vor sich hin. Dann hörte Waldenburg den Baron mit gedämpfter Stimme fortfahren: „Ich zeigte Ihnen den Rettungsweg. Herrn von Stranzau’s Schwiegervater, der Jud’ Levy, will sein Töchterchen, die gnädige Frau, durchaus in einem Ritterschloß sehen. Levy kann ein Fürstenthum bezahlen … Sie wissen, Stranzau thut nichts ohne mich. Gesprächsweise ließ ich einmal ein Wort von Waldenburg fallen. Das ist ja meiner Schwiegermutter Ideal! schrie Stranzau. – Unter Levy’s Leuten befindet sich ein alter Waldenburger. Dieser scheint die Bankiersfrau auf die Romantik der Bergschlösser gebracht zu haben. Denn sie schwärmt für nichts mehr, als für ein thurmgeschmücktes, verwittertes Schloß in pittoresker Landschaft, für lange Corridore, hohe Säle und geheimnißvolle Treppen. Ich, immer in Gedanken, in Sorgen um Sie, lasse einen Schimmer von Möglichkeit blicken, Schloß Waldenburg zu erwerben. Stranzau überschlug sich vor Freude, und seit jener Stunde bin ich bei Levy’s bon enfant.“

„Levy ist ein Geldmensch, ein Speculant. Er wird mich beim Kauf übervortheilen.“

„Bah, diese Börsenhelden haben ihre schwachen Seiten. Nach Ihrer Hochzeit machen Sie sobald als möglich Levy’s Bekanntschaft. Sie laden Stranzau und Schwiegereltern nach Waldenburg ein und spielen hier den liebenswürdigen Wirth. Das weibliche Israel wird entzückt sein, die Männer bearbeite ich, und – heißen Sie mich einen Schwätzer, wenn Sie nicht ein brillantes Geschäft machen! Dann sind Sie das alte Gemäuer los, haben ein baares Capital und können in der Residenz die Stellung einnehmen, die Ihnen gebührt.“

„Wenn aber Stephanie in den Verkauf nicht einwilligt?“

„Montigny?! Muß ich das von Ihnen hören? Eine Frau, die uns liebt, nicht einwilligen? Sie scheinen sich heute vorgenommen zu haben, naiv zu sein …“

„Meine Cousine liebt mich jetzt; sie wird mir auch ihre Hand reichen; wenn sie mich aber besitzt, fürchte ich eine Wandlung. Denn ihre Seele hat Schmetterlingsflügel, wie die meinige. Das Errungene reizt nicht mehr. Sehr bald wird es Scenen geben. Ich habe manchmal hundert Teufel in mir. Diese Scenen werden uns abkühlen, und dann – ach, Aßperg, wir sind doch Alle Träumer! Mein schneller Sieg über Stephanie, anfangs mein Triumph, meine Wonne, ruft jetzt Bedenken in mir wach: sie wird dem zweiten Gatten nicht treuer sein als dem ersten …“

„Also sehen Sie sich vor!“

„Ich habe eine dunkle Ahnung, Stephanie wird nach der Hochzeit sich Nein zu sagen angewöhnen, wie sie jetzt zu Allem Ja spricht.“

„Also sehen Sie sich vor, mein Lieber! Machen Sie einen klugen Contract! Sichern Sie sich in gewissen klingenden Fragen vor diesem Nein!“

„Parbleu, das werd’ ich. Ich will wenigstens goldne Fesseln tragen.“

„Und was Waldenburg betrifft –?“

„Waldenburg wird verkauft … Still! Wer geht da?“ Montigny sprang empor und schlug das Gezweig auseinander. Er sah Heinrich mit einem ernsten Blick vorübergehen. Erblassend taumelte er zurück und rief: „Himmel, mein Cousin!“

„Sind Sie toll?“ sagte Aßperg, durch die Oeffnung blickend.

„Es ist der Kaplan.“

„Ganz recht,“ erwiderte Montigny, der mit Mühe sich faßte. „Gestern bestritt ich selbst jede Aehnlichkeit, aber in diesem Augenblick – in diesem Augenblick, schwör’ ich Ihnen, erschien er mir wie Heinrich’s Gespenst.“

Der Baron maß Edgar mit bedeutungsvollem Blick. „Unglücklicher,“ sagte er, „Sie haben noch ein Gewissen.“

„Wenn der Schleicher uns belauscht hat?“

„Das werd’ ich sofort erfahren,“ sprach Aßperg und verließ den Laubengang. Nach wenigen Minuten kam er zu Heinrich zurück. „Beruhigen Sie sich,“ lächelte er zufrieden. „Herr Stein versteht kein Wort Französisch.“

(Fortsetzung)




Ein Tag in Shakespeare’s London.
Zur dreihundertjährigen Shakespeare-Feier.
Von Julius Rodenberg.
1. Von Whitehall bis zur Meermaid.

Obwohl London im 16. Jahrhundert nicht viel mehr Einwohner zählte, als Köln, und nicht ganz so viel, als Hamburg heute besitzt, so galt es doch schon damals für eine der größten Städte in der Christenheit, und unser deutscher Tourist Hentzner, welcher 1598 dort war, berichtet daher mit aufrichtigem Staunen, daß der Umfang dieser Stadt „beinahe eine ganze Meile beträgt“. Damals, wie heute, gab es eine City von London und eine City von Westminster, aber die Vorstädte, deren Häusermassen heute das Stein- und Mörtelmeer von London schwellen, waren damals noch grüne Felder und blumige Wiesen, und die City von Westminster selber war nicht viel mehr als eine Vorstadt von Palästen, der Sitz des Hofes und der Edlen von England. Hier war die damals schon alte Abtei und Kathedrale von Westminster, die Halle des Parlamentes und York-Place, eine prachtvolle Residenz, erbaut von Cardinal Wolsey, aber von Heinrich VIII. seinem ehemaligen Günstling nach dessen Sturz geraubt und darauf „mit ihrem reichen Vorrath von Kostbarkeiten, ihren Tapeten von Gold- und Silberstoff, ihren Tausenden von Stücken feiner holländischer Leinwand und ihren Vorräthen von Silber-, ja sogar schönem Goldgeschirr, welches zwei große Tafeln bedeckte,“ von dem Monarchen in höchsteigenen Gebrauch genommen. Seitdem hieß diese Residenz „Whitehall“, und hier, im Glanze von Englands glorreichsten Tagen, saß Elisabeth, „von Gottes Gnaden Königin von England, Frankreich und Irland, die Beschützerin des Glaubens“, auf dem Throne.

Wo jetzt das Gewirr dunkler Höfe und die übelberüchtigten Seitengassen des „Strand“ bis an die schlammigen Ufer der Themse reichen, da standen damals die Stadthäuser der Bischöfe, der Gesandten und der großen Lords. Schöne Gärten umgaben sie und an

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 244. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_244.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)