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den Blick concentriren zu können. Ganz unbeweglich auf seinem Pferde, beobachtet er Alles und trifft Vorsorge für Alles in der Nähe. Bomben, Kugeln, Raketen, Blei hüllen ihn bisweilen wie in eine Wolke, und er scheint es nicht zu gewahren, indem er die Haltung und das Ansehen Jemandes hat, der ein vorzügliches Kunstwerk in aller Seelenruhe betrachtet. Wankt aber eine Compagnie im Bataillon, dann sieht man ihn vorwärts stürzen und, sein Kriegsgeschrei erhebend, die weichenden Soldaten zum Angriff zurückführen. – Das Gefühl, welches in ihm vorherrscht und in dem alle anderen Gefühle wie die Strahlen im Centrum sich zusammenfassen, ist die Liebe. Er liebt den Menschen, als Einzelnen und als Ganzes, die ganze Menschheit wie sie ist, er liebt das Geschaffene – die Natur, erfreuet sich an der Schöpfung, an dem Wiehern des Pferdes, an dem Fluge der Vögel, an dem Fortschießen der Fische, an dem Duft der Blumen, am Grün der Pflanzen, an der Klarheit der Gewässer und an der Majestät des Meeres. Seine ganze Seele athmet Liebe. Die Schlechten beklagt er, indem er sagt, man müsse ihnen die Wege bahnen, um gute Menschen zu werden. Mit Zorn redet er nur von den Mächtigen, welche, anstatt die Völker glücklich zu machen, sie aus Niederträchtigkeit, aus Genußsucht oder Herrschsucht beständig in Angst und Schmerz erhalten.“




Vom Kriegsschauplatz.
Veile und das Gefecht vom 8. März.

Nach dem ewigen Schneesturme und den eisigen Regenschauern war endlich einmal ein Tag gekommen, der das Nahen des Frühlings ahnen ließ, als ich in einem unter unsäglichen Schwierigkeiten aufgetriebenen gliedermarternden hohen holsteiner Stuhlwagen von Kolding gen Veile fuhr. Die jütische Ostküste ist ein reizender Fleck Erde und wird’s immer mehr, je weiter man sich von der eintönigen flachen nordschleswigschen Landschaft entfernt. Der Boden erhebt sich zu ganz stattlichen Hügeln, die mannigfache höchst anmuthige Thäler und Thälchen durchschneiden, und wird in der Umgebung von Veile selbst wahrhaft romantisch. Wie ein Eiland stieg tief zu meinen Füßen der an sich unbedeutende Ort aus einem kleinen Landsee auf, welcher durch Canäle mit der malerischen Einbucht der Ostsee, dem Veiler Fjord, in Verbindung gebracht ist.

Wie blau, wie friedlich lag das Meer; wie still und heimelig lockte der See; wie anmuthig waren die Linien der freilich noch unbelaubten Buchengehölze und der dunkelen Fichtenbestände, die aus dem Grunde bis zu dem Rücken der Höhen aufsteigen, welche den Thalkessel einfassen; – wie schön mußte es hier erst sein, wenn ringsum das junge saftige Sommergrün die freundlichen Landhäuser und Gehöfte umrahmt und umflüstert! Einen Augenblick hatte ich vergessen, wie entsetzlich diese liebliche Idylle aus ihrer träumerischen Ruhe gescheucht worden war, welches blutige Schauspiel sich vor wenig mehr denn acht Tagen hier inmitten des „jütischen Paradieses“ abgespielt hatte, – aber nur einen Augenblick. Die Erinnerungen an das Gefecht vom 8. März drängten sich immer mehr und immer schauerlicher zusammen auf der Straße, die ich dahin rumpelte; das dumpfe Gedröhn, das von Osten, von Fridericia, her an mein Ohr schlug, mehr als Alles aber das finstere, mißtrauische, feindselige Gebahren der Menschen, denen ich unterwegs begegnete oder die ich in den ärmlichen Schenken traf, vor denen unsere Gäule auf der drei Meilen langen Tour verschnaufen mußten – für uns selbst war an Verpflegung und Erquickung in diesen elenden schmutzigen Herbergen nicht zu denken – mahnten mich eindringlich daran, daß es keine Luftfahrt war, auf der sich der pflichtgetreue Berichterstatter der Gartenlaube befand, den vielmehr lediglich sein Beruf, mit eigenen Augen zu sehen und mit eigenen Ohren zu hören, was er schildert, weiter nordwärts im verheerten, ungastlichen jütischen Lande trieb.

Welches furchtbare Bild aber bot sich mir erst, als ich von dem letzten steilen Hange in die Stadt hinabkam! Da standen viele Häuser ohne Dach, anderen fehlten große Stücke der Vorderwand, fast in keiner der nördlichen Gassen war noch ein Fenster zu bemerken, die Schornsteine überall herabgerissen, – so hatte das dänische Geschütz hier gewüthet, das die heranbrausenden Sturmcolonnen der Oesterreicher begrüßte.

Der Tag von Veile ist einer der blutigsten des gegenwärtigen Feldzugs gewesen, doch abermals zum glänzenden Triumphe der österreichischen Tapferkeit und Kriegstüchtigkeit geworden, wie es überhaupt scheint, als seien die kaiserlichen Truppen bestimmt, überall da in den Vordergrund zu treten, wo es gilt, im Kampfe mit der blanken Waffe, Mann gegen Mann, den eigentlichen Heldenmuth an den Tag zu legen, während die Preußen ihre Erfolge bis jetzt fast ausschließlich der Ueberlegenheit ihrer schnellfertigen und weittragenden Geschosse verdanken.

Das Gefecht vom 8. März mit seinem in heller Nachmittagsstunde entbrannten grausigen Straßen- und Barrikadenkämpfe, an denen sich die fanatischen Bürger, ja halbschürige Buben betheiligten; das endliche Erstürmen der nördlichen Hügel, von wo aus, hinter Gräben und Holzverhauen, eine dänische Batterie ihre explodirenden Shrapnels dem von den südlichen Höhen anrückenden und die Stadt kämpfend durchrennenden neunten österreichischen Jägerbataillon und den Regimentern Hessen und Belgien entgegensandte; wie eine Abtheilung der letzteren selbst eine Stelle des Fjords durchwatete, um dem Feinde von rechts in die Flanke zu fallen und ihn in seiner stärksten Position, in einem Hohlwege, anzugreifen, durch welchen sich die Straße nach Horsens zieht, – das Alles haben die Tagesblätter zweifelsohne bereits mehr oder minder ausführlich und mit größerer oder geringerer objectiver Treue berichtet; ich will also in weitere Einzelheiten dieses unter der persönlichen Führung des verehrten „Vater Gablenz“ errungenen neuen Sieges der österreichischen Waffen nicht eingehen. Nur die Bemerkung sei mir verstattet, daß der kriegsschauplätzliche Künstler diesen letzgenannten entscheidenden Act des blutigen Werkes, das Gemetzel in der Schlucht auf der Horsenser Chaussee, zum Gegenstände seines schmerzlich lebensvollen und traurig wahren Bildes gewählt hat.

Es war ein schwerer Moment, als die österreichischen Bataillone über einen den gedeckten dänischen Kanonen völlig offenen morastigen Anger in diese Schlucht eindrangen, von einem unaufhörlichen Kleingewehrfeuer umwettert, welches der Feind aus seinen Verhauen auf sie niederhageln ließ. Doch vorwärts geht es, immer vorwärts, achtlos der Cameraden, die ringsum stürzen; plötzlich erschallt ein donnerndes Hurrah und das Bajonnet beginnt zu arbeiten. Abermals Hurrah und wiederum Hurrah, die Kanonen schweigen, und in tollen Sätzen, immer um sich hauend und stechend, springen die Löwenmuthigen rechts und links die steilen schlüpfrigen Abhänge hinan, wo sich hinter Erdwällen und Barrikaden die dänischen Schützen geborgen hatten. Da hielt der Feind nicht länger Stand und begann eiligst Fersengeld zu geben. Er hatte schwere Verluste gehabt, obschon den Oesterreichern, die nur 4000 Mann zählten, fast um die Hälfte überlegen und in einer außerordentlich günstigen Stellung, die er für unnehmbar gehalten haben mochte. Welchen heilsamen Schrecken die kühnen, unermüdlichen und blitzschnellen Oesterreicher dem „tappern Landsoldaten“ abermals eingejagt haben, läßt sich denken. „Alles in der Welt, nur nicht wieder diesen Weißröcken gegenüber, die den hellen Gottseibeiuns im Leibe haben!“ – so haben sich mehrfach gefangene Dänen geäußert. – Leider war inzwischen die Nacht hereingebrochen, so daß die Verfolgung des unaufhaltsam fliehenden Feindes nicht energisch betrieben werden konnte; sonst dürfte kaum ein Mann des dänischen Corps entkommen sein.

Beim Eindringen in den beschriebenen Engpaß war es auch, wo im gegenwärtigen Kriege der erste Schleswig-Holsteiner sein jugendliches Heldenleben im Kampfe gegen den verhaßten Unterdrücker zum Opfer brachte. Bei Veile fiel der Oberlieutenant im österreichischen Regimente „König von Belgien“ Hugo Rathlev, ein Sohn des derzeitigen Amtmanns in Kiel, des Justizraths Rathlev.

Zwar noch zu jung, um sich an der ersten Erhebung der Herzogthümer im Jahre 1848 thätig betheiligen zu können, fand er sich doch durch dieselbe in seiner von Kindheit an genährten Neigung zur Kriegerlaufbahn bestärkt und endlich 1856 die Gewährung seiner langgehegten Wünsche. Der damals achtzehnjährige

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 252. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_252.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)