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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

No. 17.   1864.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. 0Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.





Der Schatten.
Erzählung von Carl August Heigel.
(Fortsetzung.)


Stephanie lag Nachmittags im weiten weißen Hauskleid auf einer Causeuse des gelben Zimmers. Aus dem lose gescheitelten Haar blickte ein blasses, leidendes Gesicht voll Angst auf die Baronin Aßperg. Diese saß Stephanien gegenüber.

„Und Sie glauben in Wahrheit an Gespenster? in allem Ernst, Josephine?“

Certainement. Wir haben auch das vor den Bürgerlichen voraus, daß es auf unsern Schlössern spukt.“

„Ich danke für dies Vorrecht.“

„Strambergs z. B. haben eine schwarzgekleidete Dame. Auf Schloß Stauff zeigt sich zuweilen ein großer Hund mit feurigen Augen. Bei meinem Vetter in Warchin gehen unsichtbare Tritte und ein leises Aechzen um Mitternacht durch einen gewissen Corridor. Hier erscheint der Hausgeist als Schatten.“

„Aber mein seliger Mann,“ sagte Stephanie, „mein Mann, der mich mit alten Familiengeschichten und wunderlichen Anekdoten leidlich quälte, erwähnte niemals eines Schloßgespenstes.“

„Vielleicht ist es ein junger Schatten und in Sie verliebt. Wie rührend: ein schmachtender Schatten allnächtlich vor der Schwelle Ihres Boudoirs! Man wird künftig von „kühlen“ Schatten gar nicht mehr reden können.“

„Ah, Josephine, erst ängstigen Sie mich, und dann behandeln Sie die Sache lächerlich.“

„Pardon, ich finde das im Gegentheil sehr tragisch … doch, Scherz bei Seite, liebe Gräfin, verlassen Sie dies alte, unheimliche Schloß so bald als möglich. Und wenn der Schatten nichts weiter bedeuten sollte, als daß er Ihre Wangen blaß wie heute färbt, fliehen Sie! In der Residenz giebt es keine Gespenster. O, und dort sehnt man sich so sehr nach Ihnen. Prinz Ferdinand fragte mich neulich so angelegentlich nach meiner schönen Freundin, so angelegentlich –“

Stephanie erröthete. „Seine Hoheit waren immer sehr gütig gegen mich.“

„O, das war mehr als die Sprache der Güte, das war –“ die Baronin unterbrach sich mit einem bedeutungsvollen Lächeln, sah Stephanie mit ihren schwarzen Augen forschend an und fuhr dann, in den Schooß blickend, fort: „Wunderbar, wie sich das trifft! Während der Prinz für meine schöne Freundin schwärmt, scheint seine Gemahlin Herrn von Montigny –“

„Montigny?“ rief Stephanie und fuhr aus ihrer bequemen Stellung auf.

„O,“ sprach die Baronin ruhig, „hören Sie das heute zum ersten Mal? Es ist allgemein bekannt, daß Ihr Cousin von jener Seite mit besonderer Auszeichnung behandelt wird.“

„Und ahnt, weiß mein Cousin –?“ fragte die Andere voll Ungeduld.

Die Baronin, ohne in die brennenden Augen ihrer Freundin aufzusehen, spielte mit einer Seidenquaste. „Ich denke, Herr von Montigny ist in der Deutung von Blicken nicht blöde. Man spricht von seiner Ernennung zum Kammerherrn …“

Stephanie stand rasch auf und durchschritt das Gemach. Der starre Blick, die zuckenden Lippen, die tiefathmende Brust verriethen den Kampf in ihrem Innern. Zuletzt siegte die Leidenschaftlichkeit des Weibes über den Stolz und die Zurückhaltung der Aristokratin. Weinend warf sie sich Josephinen in den Schooß und rief: „Ach, ich bin grenzenlos unglücklich, verrathen und verlassen!“

Jene umarmte und küßte die Schluchzende, streichelte ihr Haar und gab ihr zärtliche Namen. „Fassung, Fassung, meine Liebe!“ sagte sie. „Ich ahnte nicht den Pfeil in Ihrem Herzen. Warum auch zogen Sie mich nicht in Ihr Vertrauen? O, längst dann hätt’ ich Ihnen entdecken können, daß Edgar Sie liebt, Sie anbetet. Die Wahrheit zu gestehen, fand ich Sie bisher sehr kalt, sehr grausam gegen Edgar.“

„Ich kalt, ich grausam gegen ihn? O, wo waren Ihre Augen?“

„Im Vergleich mit ihm schienen Sie fühllos. Er konnte sein Herz nicht verleugnen. All sein Denken und Reden waren Sie, immer Sie. Aber, theure Stephanie – man muß den köstlichen Paradiesvogel halten und binden, sonst flattert er wider Willen in ein anderes Netz.“

Die schöne Frau erhob sich. „Sie haben Recht, Josephine,“ sagte sie sinnend. Dann, in ihren eignen Gedanken erglühend, fuhr sie fort: „Wer kann, wer darf mich hindern, den Mann, den ich liebe, vor der Welt mein zu nennen? Ich bin ja so jung, ich liebe das Leben, den Frohsinn. Freudlos legte ich an Heinrich’s Arm den ersten Frühling zurück. Soll ich auch die Rosenzeit vertrauern? Meinen voreiligen Schwur hat der Tod gelöst; frei bin ich vor Gott und Menschen. Und diese Freiheit geb’ ich hin, um Freude dafür einzutauschen!“

„Endlich!“ rief Josephine und zog die Freundin an ihr Herz. „Endlich denken und sprechen Sie, wie ich an Ihrer Stelle längst gesprochen und gehandelt hätte. Wie beneid’ ich Sie um Ihre Empfindung! wie lacht Ihnen die Zukunft! Und wer ist, der Ihre Wahl schmähte? Man braucht Sie und Edgar nur zu

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_257.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)