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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Sehen wir davon ab zu untersuchen, ob der Sage eine wirkliche Erscheinung zu Grunde liegt oder nicht, sondern stellen nur allgemein die Frage auf: Ist eine ähnliche Erscheinung überhaupt möglich? – so können wir dieselbe getrost bejahen und beifügen, daß nicht nur das räthselhafte Schiff sich zeigen kann, sondern daß auch das Schiff ein Sturm und Unwetter weissagender Bote ist. Zur Erklärung dieses scheinbaren Wunders bedarf es nur einer rasch eingeleiteten Abkühlung der Luft, wodurch die Bedingungen zu der unter dem Namen Seegesicht, Kimmung, Fata morgana bekannten Luftspiegelung hervorgerufen werden können, welcher letzteren auf dem Meere gewöhnlich Stürme folgen.

Die Luftspiegelung läßt uns entferntere Gegenstände an Orten erblicken, an welchen sie sich in der Wirklichkeit nicht befinden; ihr wahrer Ort liegt entweder höher oder tiefer, zuweilen auch seitwärts von dem scheinbaren. Je nach Umständen erblickt man den Gegenstand und sein Bild zugleich – letzteres häufig verkehrt, – oder man sieht Gegenstände, welche in gerader Richtung zu sehen unmöglich wäre, da sie hinter andern Objecten liegen oder sich für den Beobachter unter dem Horizonte befinden. So sah z. B. Vince am 6. August 1806 von Ramsgate, unfern der Themsemündung, aus das ganze Schloß von Dover, während man sonst bei schönem Wetter, des davor liegenden Bergrückens halber, nur die Spitzen der vier höchsten Thürme erblicken kann. Scoresby sah, während einer Reise auf den Wallfischfang am 24. Juni 1822 an der grönländischen Küste plötzlich das Schiff seines Vaters so deutlich über dem Horizonte, daß er mit einem Dollond’schen Fernrohre jeden einzelnen Theil desselben erkennen konnte, während die genaue Rechnung ergab, daß sein Schiff von jenem 71/2 deutsche Meilen entfernt war. Durch einfache Rechnung ergiebt sich, daß das Schiff mindestens 4 Meilen jenseits des eigentlichen Horizontes und mehrere Meilen jenseits der Grenze des unmittelbaren Sehens gewesen sein muß.

Durch physikalische Versuche läßt sich nachweisen, daß die Luftspiegelung durch ungleiche Erwärmung oder Abkühlung einzelner Schichten der Atmosphäre bedingt ist. Eine solche ungleichmäßige Abkühlung einzelner Luftschichten werden aber – namentlich auf dem Meere – rasch eintretende Gewitter verursachen, besonders dann, wenn letztere sich aus einzelnen rasch vergrößernden, gleichsam aus sich selbst herauswachsenden, wildbewegten schwarzen Wolken entwickeln, wie dies in den westindischen Gewässern und in der Nähe des Caps der guten Hoffuung – hier heißt dieses Wolkengebilde. „Ochsenauge“ – häufig der Fall ist, wobei der Luftdruck sich schon vor dem Ausbruche des Sturmes bedeutend vermindert.

Befinden sich während des Ausbruches eines derartigen Gewitters zwei Schiffe in solcher Entfernung von einander, daß sie sich bei dem gewöhnlichen Zustande der Luft nicht sehen können, was bei etwa drei Meilen für die Verdeckhöhe, bei fünf Meilen für die Masthöhe der Schiffe eintreten wird, so wird in den meisten Fällen das eine Schiff früher den Sturm bekommen als das andere, da die heftigsten Stürme doch immer eine Viertelstunde Zeit brauchen, um fünf Meilen Weges zu durchlaufen. Häufig treten jedoch die Stürme nicht so plötzlich ein, sondern werden durch minder heftige Luftbewegungen eingeleitet, wodurch jener Zeitraum bedeutend vergrößert wird. Ist diese ungleichmäßige Abkühlung der Luft den Bedingungen der Luftspiegelung entsprechend, dann wird das eine Schiff plötzlich den überraschenden Anblick haben können, ein segelndes Schiff zu sehen, während es unmittelbar vorher dessen Nähe nicht ahnen konnte. Da die Luftspiegelung häufig vergrößernd zu wirken scheint, wie man namentlich ausf arktischen Expeditionen beobachtet haben will, und außerdem am Meereshorizonte – bei der den Gewittern häufig vorausgehenden großen Durchsichtigkeit der Luft – alle Gegenstände scharf begrenzt erscheinn, so wird die Erscheinung des Schiffes um so frappanter wirken; der Entfernung, der bedeutenden Strahlenbrechung, sowie der durch das Gewölke geschwächten Beleuchtung wegen, muß das Schiff ein eigenthümliches Ansehen bekommen, wobei nur die Phantasie etwas nachzuhelfen nöthig hat, um es geisterhaft zu machen. Bei der nach und nach eintretenden Ausgleichung der Temperatur aller Luftschichten verschwindet darauf das Schiff eben so geheimnißvoll wie es gekommen; für die erstaunten Seeleute bricht aber jetzt der Sturm ebenfalls los, und der fliegende Holländer, dessen Erscheinen, wie gezeigt, einer vollständigen Erklärung unterliegt, trägt dann nach der Ansicht des Seemanns die ganze Schuld alles augenblicklichen und, entgeht man glücklich den Gefahren dieses Sturmes, jedes während der weitern Reise das Schiff treffenden Ungemachs.

Daß wirklich den Gewittern und Stürmen häufig Luftspiegelungen vorausgehen, ist durch viele Beobachtungen dargethan, sodaß von vielen Seefahrern die Luftspiegelungen für ein Prognostikon eintretender Stürme gehalten werden.

Sowie die Erscheinung des fliegenden Holländers sich vollständig erklären läßt und – abgesehen von aller Ausschmückung durch Unverstand und Aberglauben durchaus nicht so unbedingt dem Reiche der Märchen einverleibt werden muß, so mögen manchen ähnlichen Sagen Ursachen zu Grunde liegen, deren Erforschung nicht nur von Interesse für den Ursprung der ersten, sondern auch für das große Gebiet der Erscheinungen selbst sein dürfte.

H. F. 




Der größte Baum der Welt, so schreibt uns der Reisende Gustav Wallis aus Brasilien, dürfte sich am Rio branco in der brasilianischen Provinz Amazonas befinden; wenigstens überschreiten seine Dimensionen alles ähnliche bisher Bekannte, selbst den berühmten Baobab Senegambiens, sowie die Wellingtonien Calidorniens nicht ausgenommen. Es ist Eriodendron Samaūma, ein Glied der Bombacineen, einer Familie, die bekanntlich mehrere großwüchsige Baumarten enthält und zu der ja auch der obige Baobab gehört. Der Kronendurchmesser des beobachteten Baumes beträgt 220 Fuß, wonach also, da die Krone regelmäßig ist, ein Umfang von 660 Fuß sich ergiebt. Es wird dadurch eine Bodenfläche von nicht weniger denn 36.300 Q.’ überschattet, hinreichend, einer Truppe von mehr als 10.000 Soldaten Schutz zu gewähren. Alle Samaūmas erreichen eine bedeutende Größe, die Jeden, der sie zum ersten Male sieht, in gerechtes Erstaunen setzt: Sie dienen daher gemeiniglich in weiter Ferne als Richtschnur; besonders läßt sich dies von vorstehend bezeichnetem Exemplare sagen, das wie ein mit Wald bestandener Berg weithin herüberleuchtet. Die Hauptäste sind stärker als mancher Eichenstamm und horizontal nach allen Richtungen ausgestreckt.

In den Gabeln derselben nistet häufig der Tuyuyu, eine riesige Storchart (Tantalus Loculator) mit schwarz- und rothbandirtem Halse und einem mächtigen speerförmigen Schnabel; die Brasilianer nennen ihn hierauf anspielend „der Soldat“. Die Größe eines von mir erlegten Exemplares betrug 41/2’ bis zum Scheitel, während die ausgespannten Flügel einen Durchmesser von 81/2’ ergaben, Verhältnisse, die gewiß selten unter den Vögeln sind. So hätte also die Natur, Gleiches zu Gleichem gesellend, dem mächtigen Samaūmabaume in dem Tuyuyu einen würdigen Bewohner gegeben, zwei Gegenstände, gleich geeignet, als Beispiele von den Wundern und der Ueppigkeit tropisch-amerikanischer Zonen zu dienen.




Ein unverwüstlicher Stoff. Zur Zeit des letzten italienischen Krieges wurde der Gartenlaube unter dem Titel „Die erste Waffenthat. Aus den Erinnerungen eines österreichischen Officiers“, die Erzählung einer Episode mitgetheilt, die sich in jenem Kriege zugetragen haben sollte. Die Geschichte war interessant, die Form ihrer Darstellung gewandt, und die Redaction, welche keinen Grund hatte, an der schriftstellerischen Ehrenhaftigkeit des Einsenders zu zweifeln, nahm die Skizze als einen Originalartikel in die Spalten ihres Blattes auf. Später erfuhr sie – denn keine Redaction in der Welt kann Alles gelesen haben, was in irgend einer Literatur erscheint oder erschienen ist – daß die hübsche Erzählung lediglich die Bearbeitung einer schon zehn oder zwölf Jahre früher veröffentlichten kleinen Novelle von Prosper Mérimée war. Unumwunden gestanden wir darauf ein, daß man uns getäuscht hatte.

Jetzt hat das ergötzliche Stücklein jedoch abermals seine Dienste thun müssen. Man hat es auf schleswig’schen Boden verpflanzt, in das blutige Gefecht von Oeversee, dem neuen Locale angepaßt und geeignet zugeschnitten, legt es einem der nach der Heimath zurückgebrachten verwundeten österreichischen Officiere in den Mund und tischt es als funkelnagelneue Kriegsthat in den Frankfurter Familienblättern, der Beilage zum Frankfurter Anzeiger, mit unbefangener Gemüthlichkeit dem Publicum frisch drauf los wieder auf.

Wahrhaftig, dem guten Mérimée muß das Herz im Leibe lachen über die Unverwüstlichkeit seiner Novelle; nichts kann ja die Trefflichkeit seiner Skizze schlagender darthun, als dies beständige Wiederaufleben derselben in allerhand Form und Gewand. Und wer mag absehen, in wie vielen Metamorphosen die Episode noch in der deutschen Journalistik sich umtreiben wird?

Indeß hielten wir es doch für das Beste, unsere Leser vor diesem „unverwüstlichen Stoffe“ zu warnen.




Die Volksausgabe von Uhland’s dichterischen Werken. Für eine Volksausgabe von Uhland’s Gedichten und Dramen ein empfehlendes Wort einzulegen, scheint uns ein sehr überflüssiges Unterfangen. Wenige Namen haben dem deutschen Volke einen süßeren Klang als der Ludwig Uhland’s, des großen deutschen Dichters, dessen Lieder und Balladen uns Allen von Kindheit an ein theueres und unentreißbares geistiges Besitzthum geworden sind, des nicht minder großen deutschen Patrioten, dem Nichts den Sinn für Recht, für Wahrheit und für Freiheit zu beugen vermochte, auf den das alte Wort gedichtet scheint:

„Er war ein Mann, nehmt Alles nur in Allem.“

Wohl aber wollen auch wir unsere Leser recht nachdrücklich hinweisen ausf diese von der J. G. Cotta’schen Buchhandlung veranstaltete billige Gesammtausgabe der Dichterwerke Uhland’s, wie sie jetzt in zehn Lieferungen abgeschlossen vorliegt und auch die beiden meisterhaften Dramen „Ernst Herzog von Schwaben“ und „Ludwig der Baier“ enthält, die leider bis jetzt nur wenig in das Volk gedrungen waren und doch, durch den nationalen Vorwurf, die poetische Conception und den Ausdruck der reinsten deutschen Gesinnung, Alles, was unsere neuere dramatische Literatur zu bieten hat, hoch überragen.



Kleiner Briefkasten.



M. V. in H – stdt. Was Sie aus WiggersSchilderung seines Besuchs auf Caprera herausgelesen haben, vermag unser blöder Verstand nicht zu begreifen. In dem ganzen Artikel ist der schleswig-holsteinschen Frage mit keiner Sylbe gedacht, auch ist uns nicht im Traume eingefallen, auf Garibaldi als auf einen Retter des bedrängten Bruderstammes im Norden hinweisen zu wollen; nicht erst die Antwort, welche er unlängst der Dänendeputation in London ertheilt, hat uns die Ueberzeugung gegeben, daß der große italienische Patriot von den deutschen Verhältnissen, gleich der Mehrzahl seiner Landsleute, eine ziemlich nebelhafte Vorstellung besitzt, und wir sind überdies von der Wahrheit durchdrungen, daß das Vaterland sein Heil nimmermehr aus fremden Händen erwarten darf. Auch was Sie von einem Allianz-Pacte fabeln, den Wiggers im Namen der deutschen Volkspartei mit dem Einsiedler auf Caprera abgeschlossen habe, ist zu lächerlich, als daß es eines Wortes der Widerlegung bedürfte. Der Wiggers’sche Artikel ist nichts anderes und strebt nichts anderes an, als eine Schilderung der Eindrücke, welche ein bekannter freisinniger deutscher Mann von seinem Besuche bei Garibaldi und dessen einfacher undiplomatischer Natur wie von dem spartanisch schlichten Hauswesen desselben empfangen hat, und so und nicht anders wird die Mehrzahl der Leser unseres Blatten die Skizze aufgefaßt haben.

A. L. in Berlin. In einer der nächsten Nummern der Gartenlaube werden Sie eine Illustration vom Kriegsschauplatze finden, auf die wir Sie im Voraus aufmerksam machen zu müssen glauben: eine Abbildung der zweiten dänischen Schanze bei Düppel in ihrer gräßlichen Verheerung nach dem Sturme, welche unser Specialartist, Hr. Otto Günther aus Weimar, noch am Nachmittage des 18. Aprils, unmittelbar nach dem furchtbaren Angriffe, skizzirt hat, so daß Sie auf eine ganz authentische Zeichnung rechnen dürfen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 304. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_304.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)