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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

No. 20.   1864.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. 0Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.




Der Heimathschein.
Erzählung von Fr. Gerstäcker.
(Fortsetzung.)


Der Wirth war aber nicht der Mann, der sich lange einem solchen Zwang beugte, und da sich auch Barthold nicht wohl dabei fühlte – die Frauen wären den ganzen Tag darin sitzen geblieben – so trat bald eine Aenderung zum Besseren ein. Die nöthigen Redensarten von Ehre und Freude und Hoffnung einer solchen Verbindung etc. etc. waren gewechselt, was von Speisen noch vertilgt werden konnte, war vertilgt, und der Wirth brachte jetzt, während Lieschen den Kaffee und Kuchen besorgte, Cigarren. Da war es ordentlich, als ob mit dem aufsteigenden Dampfe derselben der böse Zauber bräche, der auf ihnen Allen gelegen.

Die beiden Männer kamen bald auf ein Gespräch über Vieh und Felder, was sie Beide interessirte; dadurch lenkten die Frauen auf ihre Wirthschaftsangelegenheiten ein, und im Handumdrehen war die noch vor Kurzem so steife hölzerne Gesellschaft in ihre natürlichen Bewegungen, ja selbst in den natürlichen Ton ihrer Stimmen zurückgefallen, und die Unterhaltung floß von da an leicht und ungezwungen.

Auch Lieschen thaute auf, und vielleicht auch durch das wirklich Matronenhafte der sonst gar noch nicht so alten Mutter ihres Bräutigams angezogen, setzte sie sich zu ihr und plauderte bald mit ihr so frei und herzlich von der Leber weg, als ob sie von Kindheit auf miteinander bekannt und befreundet gewesen wären. Das aber schmeichelte der Frau Barthold auch; Lieschen sah dabei in ihrer städtischen Kleidung so vornehm und „ansehnlich“ aus, daß jene ordentlich stolz auf ihre zukünftige Schwiegertochter wurde und nicht satt werden konnte, ihr zu wiederholen, wie sehr sie sich freue, sie zur Tochter zu bekommen und ihrem Sohne eine solche Frau geben zu können. Dabei unterließ sie freilich auch nicht, alle die Tugenden und Vorzüge ihres eigenen Hans aufzuzählen, und Lieschen fand da wohl eben soviel Freude daran, ihr zuzuhören.

Den beiden Männern wurde es aber bald zu eng in der Stube. Bauern halten nie lange in einem Zimmer aus, denn die freie Luft ist ihnen Bedürfniß, und während die Frauen noch beim Kaffee sitzen blieben, gingen die Andern miteinander hinunter auf den Hof und in die Ställe und, da die Pferde gerade nahebei ackerten, auch einmal ein Stück hinaus auf das Feld.

Ihr Weg führte sie dicht hinter dem Pfarrgarten vorbei, und weil es Barthold einfiel, daß er Hansens Taufschein eingesteckt hatte, konnten sie den hier eben so gut gleich abgeben. Hier stand dem alten Barthold auch eine Ueberraschung bevor, denn der Geistliche schien gar nicht gewußt zu haben, daß Hans katholisch sei; zu einer „gemischten Ehe“ schüttelte er aber bedenklich den Kopf und bedeutete den alten Barthold, daß er unter keinen Umständen ein Aufgebot erlassen könne, bis er nicht vom General-Superintendenten einen sogenannte Dispens gelöst hätte.

Der Alte wollte schon über die neue Schwierigkeit wild werden, allein der Traubenwirth nahm ihn unter den Arm und sagte, als sie wieder draußen im Wald waren: „Macht Euch keine Sorge, Barthold, ein Dispens vom Consistorium ist schon zu erlangen, und geben sie ihn nicht, nun, dann fahren wir hinüber nach Gotha und lassen die jungen Leute da trauen. Dort sind sie vernünftiger. Das junge Paar kann dann gleich seine Hochzeitsreise nach der Wartburg machen,“ fügte er lächelnd hinzu.

Mit diesem Trost schlug sich der alte Barthold denn auch bald die ärgerlichen Gedanken aus dem Kopfe, noch dazu, da sie hier in offenes Land und zu ein Paar neugekauften Pferden des Wirthes kamen, für die er sich ganz besonders interessirte. So verging ihnen die Zeit rasch, bis der Dreiberger Bauer plötzlich merkte, daß die Sonne schon bald am Horizont stand, und erschreckt ausrief: „Aber Wetter noch einmal, wir haben uns bei dem Herrn Pfarrer zu lange aufgehalten, und ich muß machen, daß ich wieder zu meiner Alten komme, die wird sonst böse. Im Dunkeln möcht’ ich auch nicht gerade den Weg nach Dreiberg zurückfahren.“

„Es sind ein paar böse Stellen drin,“ sagte der Wirth.

„Na, es geht,“ meinte Barthold störrisch, „aber mein Wägelchen ist nicht so recht darauf eingerichtet, und die Frau könnte brummen. Wann kommt Ihr denn einmal nach Dreiberg hinüber?“

„Ich weiß nicht, ob ich die Woche noch kann,“ sagte der Wirth, „denn morgen haben wir hier eine große Kindtaufe im Ort, wo bei mir getanzt wird, und am Sonnabend bringe ich meine Alte nicht aus dem Haus. Wenn’s aber irgend möglich zu machen ist, so rutschen wir den Freitag doch noch hinüber.“

„Rutschen?“ dachte Barthold mit dem Weg in der Erinnerung, aber er sagte nichts, und die beiden Männer schritten jetzt wieder dem Wirthshaus zu.

Ueber die Aussteuer der Brautleute war heute noch kein Wort gesprochen worden, obgleich der Wirth darauf gewartet hatte. Anfangen davon mochte er aber auch nicht, und Barthold hielt es nicht für schicklich, das gleich bei der ersten Begegnung vorzunehmen. Wenn der Traubenwirth zu ihm nach Dreiberg kam, dann wollten sie das wohl bald in Ordnung bringen. Schneller jedenfalls, als die Geschichte mit dem Consistorium, die ihm doch im Kopfe herumging.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 305. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_305.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)