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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Wachsthum gerade des Köpenicker Feldes gehabt hat. Von hier aus gehen die meisten Wagen in das Innere der Stadt; der Oranien- und der Moritzplatz entsenden von fünf zu fünf Minuten einen zweispännigen Zug, der sich, ehe er sein Ziel erreicht, zwei, auch drei Mal seiner lebendigen Last entledigt und dafür neue Ladung nimmt.

Die Berliner Omnibus unterscheiden sich wesentlich von ihren Londoner und Pariser Vorbildern: sie sind weder so elegant bespannt, noch so pünktlich bedient, noch endlich so zweckmäßig organisirt, als jene. Der Einführung einer geregelten Correspondenz, eines Bündnisses aller Unternehmer stemmen sich – ein Zeichen echt deutschen Wesens – Sonderinteressen und Sondergelüste entgegen: Keiner will sich entschließen, dem allgemeinen Besten auch nur ein Titelchen seiner fuhrherrlichen Souverainetät zum Opfer zu bringen, und so kreuzen sich denn Wagen, Linien und Interessen in wirrer Unordnung. Daß bei uns Wagen, Kutscher und Conducteure unter strengster polizeilicher Aufsicht stehen, die jedes Vergehen gegen das „Reglement“ und die Fahrordnung unnachsichtlich straft, versteht sich ebenso von selbst, wie daß Alles, was zum Dienstpersonal der Wagen gehört, dem straffen, soldatisch-knappen Uniform-Zuschnitt unterworfen ist. Wie die strengen Religionsgesetze der Juden großentheils von sanitäts-polizeilicher Weisheit dictirt sind, so ist auch Vieles in dem Reglement nur durch die zarte Besorgniß der Polizei für Leben und Gesundheit der nomadisirenden armen Kutscher zu erklären. Das scharfe Gebot: „Du sollst auf dem Bock nicht rauchen“ und das gleichscharfe: „Du sollst den Rockkragen stets bis an’s Kinn zugeknöpft halten“, was sind sie anders, als Zeugnisse jenes schönen patriarchalischen Regiments, das Alle vom Junker bis zum Roßknecht umfaßt?

Den schlimmsten Stand hat bei den Wagen – in jeder Beziehung des Wortes – der Conducteur: den Behörden für jeden Fehltritt, seinem Principal für jeden Schwänzelgroschen mit seiner Caution verantwortlich, ist er durch das „Reglement“ gezwungen, auf dem Trittbret zu stehen oder, falls es besetzt ist, zu schweben. Die Wagen sind nämlich so ökonomisch eingerichtet, daß jeder Zoll zum Transport von Menschenfleisch verwendet ist. Oben und unten, vorn und hinten – Plätze, aber destoweniger Platz. Schaudernd blickt der weichherzige Thierfreund auf die an die Last von 25 Personen gefesselten, mühselig keuchenden Rosse, und eine Thräne des Mitgefühls rollt über seine Wangen. Wehe den Insassen des Wagens, wenn sie plötzlich von einem Zweihundertpfünder bedrängt werden! Angstvoll gepreßt in schauderhafte Enge, blicken sie den Dicken an, der sich mit seiner Breitseite Platz zu machen sucht. „O Jott, mein bestes Hühnerauge!“ seufzt ein Lackstiefler. „Himmel, mein Kleid!“ zürnt eine Köchin. „Conducteur, lassen Sie mir raus, mir wird ohnmächtig!“ ächzt ein Dämchen. Dreimal Wehe der seidenen Robe, die sich in den Morgenstunden der Markttage zwischen den Kattun der Omnibus-Besatzung verirrt! Körbe, Kiepen, Fischnetze, Gänseleichen, frisch gemordete Hühner und enthäutete Hasen rechts und links! Pöklings-, Härings- und Käsedüfte, Orange und Knoblauch, Zwiebel und schwarze Seife zusammenfließend in einen einzigen unaussprechlichen Duft! Fleuch, Wanderer, fleuch in solchen Morgenstunden den Wagen mit seinen bausbäckigen Casserolburschen und Küchendragonern, fleuch, und wärest Du so müde, daß Du Deine Gebeine nicht allein mehr fortschleppen könntest. Fleuch, wenn Dir Dein Leben lieb ist und Du darauf hältst, in gutem Geruch bei den Leuten zu stehen, denn es ist schon oft vorgekommen, daß ein Hecht in seiner Todesangst nach dem Nachbar seiner Mörderin geschnappt hat, daß beutegierige Krebse dem Netze entschlüpft sind und die Beine eines Passagiers angeknabbert haben, daß eine heimtückische Köchin den Marktkorb mit durchsickerndem Eigelb auf die weißen Pantalons eines Stutzers gestellt und eine Andere dem duftenden Jockey-Clubbisten heimlich einen Häring in die Rocktasche prakticirt hat.

Willst Du aber die Annehmlichkeiten des Omnibus genießen und Studien über Berlin und Berliner machen, dann wähle einen Tag, da kein Markt ist, und durchstreife die Stadt vom Zigeuner-Viertel bis zum Pantinen-Viertel, d. h. vom Moritzplatze bis in das sogenannte „Voigtland“. (Es wohnt nämlich in der Gegend des Moritzplatzes, in den von Bauspeculanten zum großen Theil auf Schwindel erbauten Häusern ein gar seltsames, in ewigem Umzüge begriffenes Volk, das von den Wirthen zum Austrocknen der Wohnungen gratis aufgenommen wird, und an dieses Proletariat haben sich die aus dem Innern der Stadt mehr und mehr verdrängten sittlich Verwahrlosten angeschlossen. Im Voigtlande dagegen, ehemals der Brutstätte des Elends, klirren jetzt lustig Räder, Hämmer und die Holzpantinen der Arbeiter.) Hast Du den Weg mehrere Male während einer Woche gemacht, so wirst Du auch manche feste Kunden des Omnibus kennen gelernt haben – den Wechsel-Kommissionär und den Gerichtsrath, die schon früh auf Arbeit fahren, die Musiklehrerin und die Choristin, die um 10 Uhr ihr Werk beginnen, den Geh-Doctor und die Wickelfrau, die um 11 Uhr ihre Visiten machen, die Schulmeister, die Mittags zur Krippe eilen, und so fort bis zur Abendstunde, wo sich der Wagen mit Theaterlustigen jedes Standes und Geschlechtes füllt. Vielleicht hast Du gar schon eine interessante Bekanntschaft gemacht, denn die Berliner sind gesprächig und ihre Frauen und Töchterlein oft nicht blos gesprächig, sondern geschwätzig, und es findet sich ja so leicht Gelegenheit zur Anknüpfung einer Unterhaltung, zumal wenn der Sitz so eng ist, daß man der Nachbarin beschwerlich fallen muß. Man bittet um Entschuldigung, klagt über die jammervolle Einrichtung des Wagens, über das fortwährende Anhalten und Einsteigen, verläßt den Omnibus nicht eher, bis die nette Nachbarin aussteigt, freut sich über den glücklichen „Zufall“, daß man denselben Weg gehen müsse – und die Bekanntschaft ist fertig! – Ja, es giebt Leute, die sich des Omnibus nur in der Hoffnung auf ein kleines Abenteuer bedienen, und manch alter Don Juan, mancher Leporello, der „nicht länger Diener sein“ will, schleicht sich abendlich in das Innere der rothbelaternten Wagen. – Der Lord vom Mühlendamm mit dem rothen Bart der Backen, der Nase des Adlers und dem Kneifer des Auges wandelt Lust durch die Straßen der Stadt. Von fern sieht er eine stattliche, seidenumwallte Gestalt, gefolgt von einem King-Charles. Kein Zweifel – sie ist’s, die Holde, nach deren Herzen und Ducaten er schon so lange seufzt! Es ist ihr King-Charles, ihr Mylord! – Ihr nach! Sie steigt in den Omnibus, Mylord mit ihr. Der Lord aber des Mühlendamms fliegt ihr auf Sehnsuchtsfittigen nach – er erreicht den Wagen – kein Platz mehr inwendig – die Holde ist im Fond verschwunden – er postirt sich als Schildwacht auf dem Außensitz. Vergebens versucht er, in den Wagen hineinzublicken: der Conducteur und Trittbret-Genossen sperren ihm die Aussicht. So oft der Wogen geöffnet und geschlossen wird, stößt er einen Schmerzensschrei aus, denn die Wagenthür hat sich darauf capricirt, seine Kniescheiben zu schleifen; so oft der Wagen hält, harrt er gespannten Auges, ob sie nicht aussteigen werde. Eine halbe Stunde hat er diese Qualen erduldet, da öffnet der Conducleur – ein Damenfuß wird sichtbar – sie muß es sein – noch kann er ihr Antlitz nicht erkennen – noch hängt sie mit drei Viertheilen ihrer crinolinbehafteten Existenz innerhalb des Wagens – der Conducteur reicht ihr die Hand und hilft sie herausbugsiren jetzt wendet sie sich um – die Passagiere des Omnibus athmen frohlockend auf – der Lord aber ruft erschrocken aus: „Meun Gott, wölch optücalüsche Täuschung! zweu Cöntner Fleusch, dreußüg Oellen Seudenzeug, zöhn Pfund Crünolüne – sie ist es nicht! – Für meinen Haß zu schwer, zu stark für meine Liebe! Fare well!




Ein Besuch auf der preußischen Flotte.

In der Meerenge Gellen, zwischen Stralsund und Rügen, liegt das kleine Eiland Daenholm, die Hauptstation, gewissermaßen das Mutterhaus der jungen preußischen Flotte. Nach dieser Insel also lassen wir uns von einem östlichen Außenwerke Stralsunds, dieses mächtigen preußischen Seebollwerks, überfahren.

Unsere Blicke werden zuerst von der großen Sternschanze angezogen, die auf dem linken Theile der Insel auf einem Hügel sich hoch über die Meeresfläche erhebt und mit ihren schweren Geschützen nach Rügen und Stralsund hin und nach beiden Längen die Meerenge beherrscht. In der Mitte der Insel erheben sich ansehnliche Gebäude, das Wohnhaus des Commandanten und die Kaserne; rechts führt uns ein längs eines Canals sich schlängelnder Fußsteig zu einem kleinen, zum Aufenthalt für geringere Schiffe ausgebaggerten Bassin. Hier ist das eigentliche Asyl für die kleineren,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 334. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_334.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)