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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

No. 22.   1864.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. 0Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.




Der Heimathschein.
Erzählung von Fr. Gerstäcker.
(Schluß.)


8.0 Wie die Kirmeßbauern ihr Recht ausüben.

Und das ging jetzt lustig da oben zu, denn ein solches Musikcorps war noch nicht im Orte gewesen, so lange Dreiberg stand. Das schmetterte durch den Saal, daß die Tanzlust sich aller Gäste bemächtigte. Die ersten drei „Reihen“, wie man es dort nennt, gehörten aber wiederum den Platzpaaren, die damit gewissermaßen die Kirmeß eröffneten; aber als die erst getanzt waren, hatte Jeder freien Zutritt, d. h. er mußte sich vorher bei den Platzburschen um fünf Groschen ein Band lösen, das er dann, wie eine Eintrittsmarke, im Knopfloch trug. Das berechtigte ihn zu freiem Tanz und freiem Bier bis zum Abendbrod.

Nach den drei ersten „Reihen“ oder Tänzen hatten die Platzjungfern, für die ganze Kirmeßzeit, das Recht, sich ihre Tänzer selber auszusuchen, wenn sie eben Extratouren tanzen wollten. Nur der Platzbursche, der sich die Maid gewählt, konnte einspringen, wenn er wollte, und einen Tanz verlangen – und das verstand sich auch von selbst und war ganz in der Ordnung.

Hans tanzte aber vor der Hand nur die ersten Reihen mit Lieschen, denn als erster Platzbursche bekam er zu viel zu thun, um neu Hinzukommende, die sich dem Tanz anschließen wollten, mit Bändern zu versehen, und Lieschen hatte sich nach ihm Herrn von Secklaub, der sich auch ein Band gelöst, ausgesucht, und zwar für zwei Tänze hintereinander. Dann forderte sie die beiden anderen Platzburschen auf, und darauf wieder Herrn von Secklaub. Aber auch aus der Stadt waren ein paar Bekannte herausgekommen, denen sie diese Gunst gewährte, und sie versäumte keinen einzigen Reihen bis zum Abendbrod.

Katharine hielt sich mehr zurück, obgleich sie es auch nicht gut vermeiden konnte, den und jenen aufzufordern. Mit den anderen Platzburschen mußte sie natürlich auch tanzen, und Hans, der heut ganz wild und ausgelassen war, schwang sich mit ihr lustig im Kreise.

„Mach’ kein so traurig Gesicht, Kathrin,“ sagte er dabei zu seiner Tänzerin, „die Leute glauben Dir’s ja sonst gar nicht, daß Du fidel bist, und warum sollten wir heute nicht Alle fidel sein, es ist ja Kirmeß!“

„Ich bin ja lustig, Hans,“ sagte sie leise, ganz glücklich jetzt. „Hab’ ich denn wirklich so ernst ausgesehen?“

„Wie der Herr Pfarrer auf der Kanzel,“ lachte der junge Bursche, „aber sieh nur, wie der Mosje da drüben, der mit von Wetzlau gekommen ist, die langen Beine herumwirft. Er will uns hier auf dem Dorfe zeigen, wie man tanzen muß, aber wir wollen einmal sehen, ob er aushält, wenn’s erst einmal in die dritte Nacht hinein geht. Da wird er wohl auf dem Rücken liegen und alle Viere strecken. Das weiß der liebe Gott, die Stadtleute haben gar kein Mark in den Knochen.“

„Wie hübsch Lieschen tanzt!“ sagte Katharine.

„Ja,“ meinte Hans, „aber man sieht’s gar nicht vor den langen Kleidern. Ich weiß nicht, die Stadtmoden gefallen mir doch lange nicht so gut, wie unsere Tracht, Du siehst viel hübscher aus, Kathrine, mit Deinen kurzen Röcken.“

Katharine war blutroth geworden, doch der Tanz war gerade aus und Hans wurde zu einer neuen Bändervertheilung abgerufen, da er vor dem Abendbrod dies Geschäft übernommen hatte, und bis um neun Uhr, wo es zum Essen ging, kam er nur noch ein einziges Mal zum Tanzen, dann wurde er ja aber auch von seinem Amt abgelöst und konnte sich ganz seinem Vergnügen überlassen.

Natürlich führte jeder Bursche sein Mädchen zu Tische, und die Platzpaare saßen obenan, Hans mit Lieschen in der Mitte, und die anderen Beiden rechts und links, und wenn auch eben nicht viel gegessen ward, getrunken wurde desto mehr. Der Tisch brach aber trotzdem fast unter den verschiedenen Speisen, und Kalbsbraten, Schweinebraten, Truthahn, Gans, Enten, Hühner und Schinken deckten mit einer Menge von Zuspeisen und süßen und sauren Sachen die Tafel wirklich von einem Ende bis zum anderen. Der Bauer, so mäßig er sonst lebt, hält etwas darauf, daß bei solchen Gelegenheiten die Speisen gut und hauptsächlich in Masse dasein müssen. Und hier war es noch besondere Ehrensache, daß es auf ihrer Kirmeß an nichts fehle, damit die Burschen, die von anderen Dörfern herüber gekommen waren, sich nicht am Ende später über die Festgeber lustig machten.

Es war das überhaupt eine eigene Sache mit dem Besuch von anderen Dörfern, und dieser, wenn auch gestattet, doch immer nur mehr geduldet, als gern gesehen. Mit dem größten Vergnügen konnten die Burschen kommen, mit trinken und mit tanzen, aber sie durften kein Mädchen „aus unserem Dorfe“ besonders auszeichnen, oder gar Abends heimführen wollen. Nachher gab es böses Blut. Die Burschen wurden dann, zwar nicht gerade von den Platzburschen, aber von den Uebrigen, geneckt und gehänselt. Man spielte ihnen jeden Schabernack, den man nur gelegentlich anbringen konnte, und setzten sie sich zur Wehr oder nahmen sie nicht Alles gutmüthig hin, dann kam es auch wohl zu Thätlichkeiten und der Tanzboden verwandelte sich plötzlich aus einem Lust- in einen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 337. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_337.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)