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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

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No. 24. 1864.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Der Zeuge.
Von J. D. H. Temme.
(Fortsetzung.)
2. Ein eifersüchtiger Bräutigam.

Der geräumige und hübsche Leiterwagen hielt neben dem Hôtel, unterhalb der Veranda.

„Wie viele Personen können darin sitzen, Gustav?“ fragte die Braut ihren Bräutigam.

„Es sind vier Bänke darin, Ida. Auf jeder haben zwei Personen Platz. Es reicht also gerade für uns.“

„Wir sind aber unser nur sieben.“

„Du vergißt den Kutscher.“

„Pah, mag er sich auf seine Pferde setzen.“

„Es ist kein Sattelpferd da.“

„So setzt er sich vorn auf den Wagen, vor der ersten Bank.“

„Aber warum, Ida? Er hat ja Platz im Wagen.“

„Warum? Wie sollten wir denn sitzen?“

„Nun, wir Beiden sitzen auf einer Bank beisammen.“

„Dachtest Du zuerst an Dich, oder erwiesest Du mir die Ehre? Aber weiter!“

„Den finstern Herrn darf man nicht von seiner Frau trennen.“

„Ah, Gustav, da dachtest Du an Dich!“

„In wiefern?“

„Du bist eifersüchtig und der finstere Herr ist es – Ihr streitet Euch darum, wer es am meisten ist –“

„Ida!“

„Weiter! Der Onkel und die Tante sind noch da, und der Domherr. Wie werden sie sitzen?“

„Hm, Ida –“

„Ach, da bist Du wohl in Verlegenheit?“

„Ich?“

„Mit Deiner Eifersucht, Freund Gustav!“

„Aber, Ida, ich begreife Dich nicht!“

„Hm, mein Freund, die Tante ist meine Tante, und der Onkel ist Dein Onkel.“

„So ist es.“

„Aber sie haben uns nicht zusammengekuppelt.“

„Nein, Ida, unsere Herzen fanden sich in freier Wahl aus Liebe.“

„Hm –“

„Zweifelst Du daran, Ida?“

„Gott bewahre mich. Wenigstens nicht an unserer Freiheit. Meine Tante war sogar anfangs gegen uns. Aber weißt Du, warum, Gustav?“

„Sie hatte gemeint, der Onkel habe mir zugeredet.“

„Und was war dabei für sie der tiefere Grund?“

„Hm, Ida –“

„Höre, Gustav, wir wissen, oder vielmehr, wir ahnen, oder recht eigentlich, wir fühlen es Beide; denn wir haben von keinem Menschen ein Wort darüber gehört. Wir haben uns aber bisher Jeder gescheut, es dem Andern zu sagen, und das darum, weil die Tante meine Tante, und der Onkel Dein Onkel ist. Aber wir wollen Eheleute werden, Gustav!“

„Wären wir es schon, Ida!“

„So laß uns schon jetzt keine Geheimnisse, und vor Allem keine Heucheleien gegeneinander haben.“

„Wir wollen nicht, Ida.“

„Weißt Du, daß meine Tante eine der edelsten Frauen und Dein Onkel der bravste Mann von der Welt ist?“

„Gewiß weiß ich das, Ida, und ich weiß auch, wie Du das meinst.“

„So? Dann sprich Du von Deinem Onkel.“

„Sprich Du zuerst von der Tante.“

„Es sei. Ein junges, bildschönen Mädchen besaß Alles, was ein junges Mädchen und durch sie einen jungen Mann glücklich machen kann; denn sie hatte einen klaren, für alles Schöne und Gute empfänglichen Geist. Sie hatte das reinste, das unschuldigste Herz; Geist und Herz hatten eine seltene Bildung erhalten – aber sie war arm. Ein junger Mann, der in allen jenen Vorzügen und vortrefflichen Eigenschaften dem jungen Mädchen nicht nachstand, der aber gleichfalls arm war, lernte das junge Mädchen kennen; sie liebten einander, konnten aber kein Paar werden, weil sie Beide arm waren; um so inniger, um so herzlicher liebten sie sich. Mit einem Schmerze, der die jungen Herzen zu zerreißen, zu brechen, zu vernichten drohte, mußten sie sich trennen, aber von nun an liebten sie sich erst recht mit der reinsten, erhabensten und heiligsten Liebe der armen, starken und in ihrer Stärke so reichen Herzen, liebten sich für die Ewigkeit. Das junge Mädchen war meine Tante, der junge Mann war der Domherr. Sie entsagten und trennten sich. Achtzehn Jahre lang hatten sie nichts von einander gehört. Vor drei Tagen, auf dieser Reise, trafen sie sich zufällig wieder. Wir haben sie Beide seitdem Tag für Tag, Stunde für Stunde gesehen. Soll ich noch ein Wort hinzufügen?“

„Nein, Ida; kein Wort für Deine Tante.“

„Auch nicht für den Domherrn, Gustav? Er ist der Tante würdig geblieben.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 369. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_369.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)