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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

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No. 25. 1864.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Der Zeuge.
Von J. D. H. Temme.
(Fortsetzung.)

Haben Sie nie etwas von der Geschichte der blassen Frau gehört?“ fragte der Student.

„Niemals,“ antwortete das junge Mädchen.

„Sie war eine wunderschöne junge Dame.“

„Ich denke, sie ist es noch.“

„Hm, ja. Aber sie war arm. So hatte sie trotz ihrer Schönheit ziemlich unbeachtet in der Residenz gelebt. Da sah sie der Herr von Rachenberg. Er machte ihr den Hof und bot ihr seine Hand an. Sie konnte sich nicht entschließen. Aber sie hatte einen harten Bruder, von dessen Gnade sie lebte. Der Herr von Rachenberg war reich, hatte damals schon eine hohe Stellung; hatte die Aussicht, nächstens Oberstaatsanwalt zu werden; wird, wenn er diese Stelle vielleicht nur noch ein Jahr lang bekleidet hat, Präsident werden, und seine Untergebenen sehen schon jetzt den künftigen Justizminister in ihm. Der Bruder redete ihr zu, wohl nicht immer freundlich, und die Arme – ach, mein Fräulein, es wurde erst nachher bekannt, die Arme hatte eine Liebe mit einem Freiherrn von Wartenburg, eine geheime Liebe, von der die Welt nichts erfahren durfte, welche die beiden Liebenden tief in ihre Herzen verschließen mußten. Der Baron Wartenburg war noch nicht sein eigener Herr, sein Vater lebte noch. Er stand andererseits mit an der Spitze der demokratischen oder eigentlich demagogischen Partei, die damals die Throne umstürzen wollte, die eine Zeit lang die Macht gehabt hatte, deren Macht aber jetzt gerade mehr und mehr gebrochen wurde, denen als Hoch- und Landesverräthern täglich mehr und mehr der Kerker, selbst das Schaffot drohte. Die Liebenden mußten ihre Liebe in das tiefste Geheimniß hüllen. Der Bruder, der zu den entschiedensten Anhängern der Regierungspartei gehörte, hätte die Verlobte des berüchtigten Demagogen aus dem Hause geworfen. Der alte Freiherr stand ohnehin schon im Begriff, den entarteten Sohn zu enterben. Das arme Mädchen widerstand dennoch lange den Zuredungen und Drohungen des Bruders. Da wurden eines Tages alle jene Häupter der hochverräterischen Verschwörung verhaftet, es wurde ihnen der Proceß gemacht. Fräulein Julie Sommer, – so hieß die Arme – verfiel in eine schwere Krankheit. Als sie halb genesen war, erklärte der Bruder ihr seinen unabänderlichen Willen, daß sie den Herrn von Rachenberg heirathen müsse. Der durch das schwere geistige und körperliche Leiden Gebrochenen fehlte jede Kraft des Widerstandes. Sie wurde die Gattin des Herrn von Rachenberg, die Gattin des Mannes, der fast von dem nämlichen Tage an mit einer unerbittlichen Strenge, mit jener Leidenschaft der Strenge den Geliebten ihres Herzens verfolgte. Dem Herrn von Rachenberg war die Anklage in dem Processe gegen die Hochverräther aufgetragen. Nach dessen Beendigung sollte er Oberstaatsanwalt werden. Man sagte später, ihm sei auch damals schon das heimliche Liebesverständniß zwischen Fräulein Sommer und dem Baron Wartenburg bekannt gewesen. Gewiß ist, daß seine ganze Strenge mit eisernster Faust gerade den Herrn von Wartenburg packte. Dieser wurde zu lebenslänglicher Festungsstrafe verurtheilt; freilich drei oder vier der hervorragendsten Häupter der Verschwörung mit ihm.“

Die junge Braut hatte während der Erzählung doch den Onkel ansehen müssen. Aber der brave Herr Milden hatte ruhiger zuhören können, als sie.

„Hm, hm,“ sagte er, „Herr – wie ist doch Ihr werther Name?“

„Heinrich Eisen.“

„Hm, hm, Herr Eisen, Sie meinen, jene verurtheilten Hochverräther säßen in der Festung da hinten?“

„Ich meine das nicht blos, Herr Milden, ich weiß es.“

„Auch der Baron Wartenburg?“

„Auch er.“

„Potz alle Tausend, und wenn er nun einer der Entsprungenen wäre!“

„Ich hatte auch daran denken müssen, Herr Milden.“

„Und – potz, potz – Idchen, wenn wir jetzt auf einmal auf den Baron stießen –!“

„Ich vertheidigte ihn, Onkel.“

„Und ich glaube wahrhaftig, ich stände Dir bei.“

„Und Sie, Herr Eisen?“ fragte das Mädchen.

„Hm, hm, es wäre eine eigene Sache.“

„Und Sie heißen Eisen?“

„Ich werde eisern im Rechte werden.“

„Aber, Idchen,“ sagte Herr Milden, „wir wollen doch nicht wünschen, daß der arme Mensch uns begegnet. Es wäre der Tod der unglücklichen Frau.“

„Und was ist ihr seine ewige Gefangenschaft? Zumal jetzt, da sie sich ihn schon frei denkt! Ihr Herz ist überzeugt, daß er sich befreit hat. Wie sollte er auch nicht?“

„Ja, ja, und auch er glaubt daran, ihr Mann. Wie schlug ihm die helle Flamme der Eifersucht aus den Augen heraus, als sie bei den Kanonenschüssen in Ohnmacht fiel!“

„Die arme Frau!“

„Aber still, Idchen! Da sind wir oben, laß nichts merken.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 385. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_385.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)